Um die Jahrhundertmitte wird die Bevölkerung von heute 6,7 voraussichtlich auf über neun Milliarden Menschen steigen: Es wird eng werden auf der Erde. Ob die heutigen Weltraumprogramme auch dazu dienen, neue Lebensräume zu schaffen? Noch gibt es keine massenhafte Bewegung ins All, doch als exklusives Tourismusziel bietet es sich schon heute an. Mit Jens Müller-Bauseneiks Erkundung des Alls beenden wir vorerst unsere Serie "Mobilität".
Gerade mal sechs Jahre ist es her, seit ein gewisser Dennis Tito mit vielen tausend Metern pro Sekunde seinem Eintrag im Geschichtsbuch entgegenraste: Im April 2001 flog der amerikanische Multimillionär an Bord einer russischen Trägerrakete als erster Weltraumtourist ins All. Und doch sorgt eine Meldung wie diese kaum noch für Schlagzeilen: Mitte April wird der gebürtige Ungar Charles Simonyi als fünfter zahlender Gast an Bord der Internationalen Raumstation ISS gehen. Derzeit beendet Simonyi, der sein Vermögen als Softwareentwickler gemacht hat, ein Trainingsprogramm im russischen Raumfahrtzentrum Baikonur und zählt die Tage bis zum Start. Er wird nicht der Letzte sein, der sich diesen noch äußerst exklusiven Lebenstraum erfüllt. Kürzlich hat etwa der bekannte Physiker Stephen Hawking sein ernsthaftes Interesse bekundet, den Kosmos nicht nur geistig, sondern auch leibhaftig durchdringen zu wollen.
Privatinvestoren besetzen den Weltraum
Vergangenen Herbst war die gebürtige Iranerin Anousheh Ansari für zehn Tage als erste Privatfrau auf der ISS, wo sie den deutschen Langzeit-Astronauten Thomas Reiter traf. Doch im Gegensatz zu Reiter, der von der Esa finanziert wird, musste Ansari für ihren Kurzurlaub tief in die eigene Tasche greifen: Rund 20 Millionen Dollar kostet das all-inclusive-Angebot der russischen Raumfahrt, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in steten Finanznöten steckt und daher seit Ende der neunziger Jahre zahlungskräftigen Kunden einen Platz in den altbewährten Sojus-Kapseln offeriert. Für schwerreiche Weltraumenthusiasten bietet die staatliche Raumfahrtagentur Roskosmos einen Gesundheits-Check auf Flugtauglichkeit, eine Ausbildung im russischen "Sternenstädtchen" Baikonur, den knapp zweiwöchigen Aufenthalt auf der ISS und natürlich den Hin- und Rückflug. Glaubt man den glücklich Heimgekehrten, dann lohnt das Abenteuer jeden Cent. Nur - ohne das nötige Kleingeld geht eben gar nichts. Oder?
Tatsächlich sind in den letzten Jahren mehrere Projekte ins Reifestadium gelangt, die nichts weniger anstreben, als den Weltraumtourismus langfristig auch für Normalverdiener erschwinglich zu machen. Die bahnbrechende Innovation liegt vor allem darin, dass hinter dem Konzept nicht länger staatliche Behörden stehen, sondern erstmals private Unternehmer. Nach 50 Jahren Raumfahrt und mit der heute verfügbaren Technik scheint es nun die echte Chance zu geben, eine bislang viel belächelte Idee zu einem echten Wirtschaftsfaktor auszubauen.
Davon bleibt auch die zähe Debatte um Nutzen und Kosten der bemannten Raumfahrt nicht unberührt. Das bisherige Hauptargument der Kritiker: Automatische Roboter und Sonden können den Weltraum billiger, effektiver und gefahrloser erforschen; der Mensch hat dort oben nichts zu suchen. Wenn der nun aber - jenseits der ursprünglichen Forschungsmotive - das All als ultimatives Reiseziel für sich entdeckt? Was wäre ein Flug zum Mond anderes als die konsequente Weiterentwicklung von Kreuzfahrten und Flugreisen um den halben Globus? Sollten sich die Prognosen bewahrheiten und der Urlaub im Orbit zu einer wichtigen Sparte im Spacebusiness avancieren, dann bedeutet das nichts weniger, als dass wir an der Schwelle zu einer Ära stehen, die der Menschheit eine wahrhaft grenzenlose Mobilität bescheren könnte.
Den entscheidenden Anschub erhielt diese Vision, als 1996 im Rahmen einer Privatinitiative in den USA der Ansari-X-Prize ausgelobt wurde. Zehn Millionen Dollar Preisgeld winkten demjenigen Entwicklerteam, das es als erstes schaffen würde, drei Personen mit einem ausschließlich privat finanzierten Raumschiff ins All zu tragen und anschließend heil zur Erde zurückzubringen. Innerhalb von zwei Wochen musste das Experiment erfolgreich wiederholt werden.
In den zwanziger Jahren hatte ein ähnlicher Wettbewerb den Alleinflug Lindberghs über den Atlantik angestoßen. An der Neuauflage nahmen 26 tollkühne Teams aus sieben Staaten teil und entwarfen ihre modernen "fliegenden Kisten". Am 21. Juni 2004 war es soweit: In der amerikanischen Mojavewüste startete vor Tausenden Zuschauern das erste Privatraumschiff in den Himmel. Genauer gesagt hob zunächst ein Trägerflugzeug vom Erdboden ab. Auf dessen Rücken hockte das eigentliche Raumschiff, das SpaceShipOne, welches mitsamt des Piloten Michael Melvill in 14 Kilometer Höhe getragen wurde. Nach dem Ausklinken zündete Melvill den Raketenmotor und katapultierte den Gleiter kurzzeitig auf eine Höhe von über 100 Kilometern - nach internationaler Definition war damit die Grenze zum Weltall erreicht. Nach dem suborbitalen Hopser kehrte SpaceShipOne wohlbehalten zur Erde zurück; die Generalprobe war nicht ohne Komplikationen, im Ganzen aber erfolgreich verlaufen. Bald darauf folgten die beiden "richtigen" Flüge innerhalb von 14 Tagen - und das Siegerteam um Konstrukteur Burt Rutan konnte das ausgelobte Preisgeld einstreichen.
Der TUI-Trip der Zukunft
Seitdem geht es Schlag auf Schlag: Der Abenteurer Richard Branson gründete als Ableger seines Virgin-Imperiums die Firma Virgin Galactic, die sich auf ihrer Homepage als "first spaceline" anpreist, als erste Fluglinie für Weltraumreisen. Schon nächstes Jahr will Virgin Galactic mit Rutans Nachfolgemodell, dem SpaceShipTwo, den regulären Betrieb aufnehmen. Sechs Passagiere können damit in den Erdorbit starten. Und das Ganze soll genauso unkompliziert zu buchen sein wie ein TUI-Trip auf die Seychellen; als letzte Hürde wäre lediglich ein dreitägiges Astronautentraining zu durchlaufen. Nach Angaben der Firma haben schon 7.000 Interessenten erklärt, Tickets für je rund 200.000 Dollar ordern zu wollen - das ist immerhin nur ein Hundertstel der aktuellen ISS-Preise.
Allerdings, ein solcher suborbitaler Flug würde nur auf dem Scheitelpunkt der Aufstiegskurve für ein paar Minuten Schwerelosigkeit sorgen. Dazu noch der Panoramablick über den gewölbten Globus, und schon ginge es wieder abwärts. Ein entspannter Urlaub sieht anders aus. Deshalb haben Ingenieure immer wieder mal Konzepte für ein Hotel vorgelegt, das man in der Erdumlaufbahn stationieren könnte. Vor einigen Jahren haben beispielsweise Architekturstudenten der Uni Darmstadt in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt die unterschiedlichsten Weltraumhotels entworfen, die allesamt für 80 Mann Personal und bis zu 220 Gästen ausgelegt sind. Allein die aktuellen Probleme beim Aufbau der Internationalen Raumstation zeigen jedoch, dass derart ehrgeizige Projekte noch länger Wunschtraum bleiben werden.
Im kleinen Maßstab gibt es aber auch in dieser Richtung erste Praxistests. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt schoss letztes Jahr die US-Firma Bigelow Aerospace ihre Demo-Version eines Spacehotels in den Orbit. Der Clou: "Genesis 1" entfaltete sein wahres Potenzial erst, nachdem er die Umlaufbahn erreicht hatte; beim Start noch fünf mal zwei Meter groß, schwoll er im All auf doppelte Größe an. Möglich macht dies die neuartige elastische Außenhülle des Satelliten, die aus mehreren Kunststoffschichten besteht. Sie lässt sich in der Schwerelosigkeit aufblasen und schützt dabei doch ausreichend gegen Einschläge von Mikrometeoriten. Dass die silberne Außenhaut dicht hält, stellten die munteren Bewohner des Mini-Hotels unter Beweis: In speziellen Apartments aus Plexiglas waren Küchenschaben untergebracht, die auch Tage und Wochen nach dem Start noch wohlauf waren.
Bis solche aufblasbaren Wohneinheiten auch von Menschen bezogen werden können, wird es noch einige Zeit dauern. Aber wäre es nicht sowieso viel interessanter, statt der Erde unseren kosmischen Nachbarn, den Mond zu überfliegen? Auch dieses Ziel wird bereits angepeilt: Die US-Firma Space Adventures arbeitet eng mit der russischen Raumfahrtbehörde zusammen und will spätestens Ende dieses Jahrzehnts ein Erlebnis der absoluten Spitzenklasse anbieten. Dann sollen Spitzenverdiener mit den bewährten Sojus-Raketen binnen 5 1/2 Tagen den Mond umrunden können - freilich zu einem astronomisch hohen Preis: 100 Millionen Dollar pro Sitzplatz. Die Ambitionen der Firma sind durchaus ernst zu nehmen, schließlich war sie es, die alle bisherigen Privatleute auf die ISS vermittelt hat.
Abenteuer de Luxe
Das weltweit erste und bislang führende Reiseunternehmen des neuen Tourismuszweiges bietet aber auch space-feeling für Einsteiger, zum Beispiel durch Parabelflüge. Dabei steigt ein geräumiges Flugzeug auf große Höhe und schießt sodann im Sturzflug zu Boden, wobei sich die Passagiere im gepolsterten Innenraum für eine halbe Minute im freien Fall befinden und schwerelos herumtrudeln. Interesse? Mit ein paar tausend Euro sind Sie dabei, und mittlerweile kann man solche Events auch über deutsche Anbieter buchen. Im Internet offerieren etwa die Space Travellers und die Weltraumtouristik.de ihre Dienste an. Auch diese Firmen kooperieren eng mit staatlichen Stellen in den USA und Russland sowie mit den privaten Raumschiffbetreibern. Im Programm enthalten sind außerdem so genannte Edge of Space-Flights, bei denen man im Cockpit einer Mig25 auf 27.000 Meter Höhe steigt, wo sich bereits die Erdkrümmung erkennen lässt. Wem so etwas zu gefährlich ist, der kann das Ausbildungszentrum der russischen Kosmonauten besichtigen und im klobigen Raumanzug durch riesigen Wasserbecken "schweben", in denen die echten Profis ihre Missionen üben.
Sicherlich, es sind erst wenige Weltraumbegeisterte, die solche Angebote wahrnehmen. Nur etwa hundert Deutsche nehmen pro Jahr an einem Parabelflug teil. Aber mit den Erfolgen der privaten Raumfahrt dürften diese heute noch sehr exklusiven Abenteuer immer attraktiver werden. Jedenfalls werden wir in den nächsten Jahre mitverfolgen können, wie die Weichen für einen Tourismus neuen Typs gestellt werden.
Momentan jedoch wird man sich beim Thema "Weltraumreise" noch darauf beschränken müssen, mit den Privilegierten mitzufiebern. Charles Simonyi, der nächste Gast auf der ISS, lädt auf seiner Homepage (www.charlesinspace.com) dazu ein, ihm Fragen zu seiner bevorstehenden Reise zu stellen. Fühlt er sich als Pionier einer neuen Zeit, in der eines Tages vielleicht sogar andere Planeten besiedelt werden? "Das könnte passieren. Es hängt davon ab, was Technik und Politik uns ermöglichen. Ich schätze mich sehr glücklich, einen kleinen Beitrag dazu leisten zu können." Und wenn er die Mittel dazu hat, warum auch nicht? Wer schon mal dort oben war, wird wohl stets empfehlen, es ihm gleich zu tun, wenn man denn kann. Als Simonyi kürzlich auf Neil Armstrong traf, den ersten Menschen auf dem Mond, fragte er den Veteranen, was der ihm mit Blick auf seinen bevorstehenden Flug raten könne. Die Antwort war kurz und eindeutig: "Go for it!"
Bisher erschienen in der Serie "Mobilität":
52/2006: Jens Müller-Bauseneik: Der bewegte Mensch.
03/2007: Linda Tidwell: Moderne Arbeitsnomaden. Pendeln als Lebensform
08/2007: Anja Garms/Linda Tidwell: Autopilot. Die Zukunft von Straße und Schiene
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