Das war natürlich eine ziemlich dumme Frage. Was so ein P70 denn wohl wert sei, wollte ich wissen. "Über so was redet man nicht, so ein Auto hat einen ideellen Wert. Verkaufen würde ich meinen Trabant jedenfalls nie", sagt Torsten Brase, 31, Elektriker aus Riesa. Viel Zeit für meine komischen Fragen hat er sowieso nicht, er muss seinen Verkaufsstand mit Trabiteilen im Auge behalten. Trotz der dummen Fragen bin ich als Holländer hier wohlgelitten, beim 14. Internationale Trabitreffen in Zwickau. Die diesjährige Zusammenkunft ist eine besondere, man feiert, dass vor 50 Jahren der erste von etwas mehr als drei Millionen Trabanten den VEB Sachsenring verließ. Und man feiert im Sinne der Völkerverständigung. Ossis, Wessis, Ungarn, Niederländer, Sachsen und Briten, alle willkommen. Trotzdem fühlt man sich hier als Nicht-Ossi, in meinem Fall als Niederländer, ein wenig fehl am Platz. Herr Brase, der Eigentümer des P70, eines der ersten und mittlerweile sehr seltenen Trabis aus den Fünfzigern, macht mir das noch einmal klar. "Natürlich hat der Trabi was mit Ostalgie zu tun. Es war zwar längst nicht alles gut damals in der DDR, aber man muss ja auch nicht alles verteufeln. Und dummerweise passt mir dieses FDJ-Shirt ja auch noch ganz gut."
Von Leuten wie Herrn Brase gibt es Tausende beim Internationalen Trabitreffen in Zwickau. Herrlich normale Menschen. Es sind die Nachbarn aus dem Dorf, in dem unsere Eltern wohnen. Es sind Menschen mit einem normalen, regelmäßigen Leben, und mit einem Hobby: dem Trabi. Der eine spielt Fußball, der andere ist bei der Freiwillgen Feuerwehr, und der dritte ist Trabifan. Es muss etwas Beruhigendes haben, dieses Hobby. Man muss nicht reich sein, um sich einen Trabi leisten zu können. Und der Rest geht von selbst: basteln und tüfteln, alleine oder zusammen im Trabiclub. Am Wochenende mal ein gemeinsamer Ausflug, und einmal im Jahr fahren alle hierher, nach Zwickau. Der Trabi steht heute für Spaß an einem Leben, das seinen Sinn im Feierabend hat. Kostet nicht viel und schadet auch keinem. Oder, Umweltschutz? Ach, was. "Der Trabi verbraucht 5,5 Liter auf 100 Kilometern, das vergessen ja alle", sagt Ray Whinray, der aus der Nähe von Plymouth im Süden Englands hergekommen ist. Ray guckt ein bisschen unruhig, denn seine Kumpels sind aus dem westafrikanischen Gambia mit einem Trabi nach Zwickau unterwegs und noch immer nicht angekommen. Wieso das denn? "Die haben bei einer Wohltätigkeitstour nach Afrika mitgemacht, bei der die Teilnehmer am Ende ihre Wagen in Afrika zurücklassen sollten. Aber keiner wollte den Trabi, deswegen müssen sie ihn wieder zurückfahren." Der Zeitplan ist eng, knapp zehn Tage für die Fahrt Gambia - Zwickau. Im Trabi.
Die fast 2.000 Teilnehmer des Trabitreffens kann man in zwei Kategorien einteilen. Zum einen gibt es die Puristen. Das sind oft eher unauffällige Männer im mittleren Alter, die auf original und alt stehen. Einige von ihnen sind stolze Besitzer eines P50, cremefarben mit ein wenig orange oder hellblau. Die andere Kategorie sind die Reformer, die ihre Trabis tunen und pimpen, was das Zeug hält. Tieferlegen, verchromen, Woofer einbauen, krasse Neonfarben, Sportlenkrad: diese Jungs basteln und ändern pausenlos, bis ihre Rennpappe kaum noch wie ein Trabi aussieht. Aber was soll´s, denkt man sich, wenigstens sind sie von der Straße, diese manchmal etwas aggressiv aussehenden Jungs, die ihre vergilbten DDR-Zelte am Ende des Geländes aufgebaut haben. Das Melodiegegrunze, das aus den dort aufgestellten Boxen kommt, kann man kaum verstehen; wahrscheinlich ist es sogar besser, dass man es nicht versteht. Aber in Zwickau sind alle nett zu einander. Der junge Mann aus Ostvorpommern, mit einem Gedankengut, dass vermutlich rechts der CSU anzusiedeln ist, schiebt selbstverständlich den polnischen Trabi an, der im Schlamm steckengeblieben ist. Und wer komplett verschlammt ist, bindet sich ein Seil um, befestigt es am Trabi vom Kumpel und lässt sich über eine 15 Zentimeter dicke Schlammschicht ziehen. Macht Spaß! Später trinkt man zusammen ein Bier, während aus den Boxen unter dem Partyzelt aus dem Baumarkt der Hit Ein himmelblauer Trabant von Sonja Schmidt schallt.
Aus irgendeinem Grund sind immer ganz viele Holländer auf den internationalen Trabitreffen anwesend. Die Veranstalter haben keine richtige Erklärung dafür, und Peter Oppermans, 56, Vorsitzender des holländischen Trabivereins, auch nicht. Sein Auto ist, natürlich, orange und mit einer Abbildung der Kronprinzessin Maxima versehen ("wurde von einem Europameister im Airbrush gemacht"). Vier Abende in der Woche ist er mit seinen Trabis beschäftigt, erzählt Herr Oppermans. "Manchmal zwei Stunden quatschen, zwei Stunden arbeiten." Wie kommt er an Ersatzteile? "Ich habe ein eigenes Lager." Herr Oppermans war schon zu DDR-Zeiten Trabi-Händler in Holland. Etwa 100 Stück pro Jahr hat er damals verkauft; und außer ihm gab es noch rund 100 andere Anbieter in Holland. "Die Niederländer kauften aus guten Gründen Trabis: preisgünstig und einfach zu reparieren. Ein Kommunist war ich deshalb nicht nicht." Die Tour nach Togliatti in der Sowjetunion auf Einladung von Lada, die sei schon spannend gewesen, "da haben wir mächtig getrunken". Besser als die Trabi-Witze, die Herr Oppermans erzählt, sind die Geschichten, die er mit Kunden erlebt hat. Ein älteres Ehepaar kam kurz nach dem Kauf eines neuen Trabants zu ihm: "Wenn man Gas gibt, ist immer so ein komisches Tok zu hören. Und wenn man bremst, wieder dieses Tok! Was kann das sein?" Herr Oppermans untersuchte das Auto umgehend und eingehend. Das Problem: Hinter dem Fahrersitz lag eine Limonadenflasche, die beim Fahren ständig hin und her rollte.
Jaja, die Holländer. Sogar Werner Lang, mittlerweile 85, einst Chefkonstrukteur und technischer Direktor in Zwickau, kann etwas über dieses Volk erzählen. "Klar haben wir auch nach Holland exportiert. Und wissen Sie was? In Holland sind die Straßen so glatt wie Tischplatten, waren sie damals schon. Deswegen haben wir die holländischen Trabis mit weniger Federn ausgestattet." DDR-Effizienz.
Herr Lang sitzt am Samstagmorgen, genauso wie etwa fünfzehn andere ergraute, mit einem rotem Käppi vom Zwickauer Wochenspiegel ausgestattete Herren, an einer Bierzeltgarnitur. Es wird über den Gewinner der technischen Wettbewerbe auf dem Treffen beraten, Trabi-Umbau etwa. Die fünfzehn Juroren sind wie Herr Lang alle vom Fach, ehemalige Planer und Konstrukteure, und noch immer stolz darauf. Von manchem werden Sie dafür verehrt. In ihrer aktiven Zeit konnten sie leider nicht das machen, was sie wollten, nämlich den Trabi weiter zu entwickeln. Ihren gewagteren Entwürfen wurde der Segen des ZKs verwehrt. "Volkswagen kam ja in den Siebzigern mit dem Golf, ein Modell, das sehr viele Ähnlichkeiten mit unserem neuen Prototypen von 1968 hatte", sagt Herr Lang und legt beschwörend seine Hand auf meinem Arm. "Haben die es denn kopiert?", muss ich wohl fragen. "Vielleicht, vielleicht", lächelt Herr Lang.
Der alte Mann will noch einmal dorthin, wo die Trabis stehen, die sich an den technischen Wettbewerben beteiligt haben. Die Jury hat sich noch nicht entscheiden können, wer was gewinnen wird. Unterwegs verliere ich Herrn Lang aber aus den Augen, er kommt kaum voran, weniger wegen des Alters als wegen all der Menschen, denen er begegnet und mit denen er reden muss.
Derweil treffe ich Thomas Herz, 38. Er kommt aus Krefeld, ist da "zuständig für die Parkingautomaten" und kloppt die besten Sprüche. Seinen ersten Trabi kaufte er vor elf Jahren, das alte Auto war kaputt und ein Kumpel empfahl ihm einen Trabant. "Was soll ich denn mit so einer Nussschale?" Herr Herz kaufte das Ding trotzdem und fuhr zu einem Trabitreffen in Gelsenkirchen. "Da hat dann einer meinen Motor mal inspiziert, ein Ossi. Der konnte das so gut, dass er jetzt mein Schrauber ist. Ich dachte damals mit dem Motor, was wird das wohl kosten? 50 Euro, hat der Ossi gesagt. 50 Euro! Das war ja gar nichts! Als er mein Erstaunen sah, meinte er sofort: Ist ja gut, 40 Euro sind auch okay." Jetzt hat Herr Herz zwei Trabis und will noch mehr. "Ich liebe dieses Auto, am liebsten hätte ich einen im Wohnzimmer." Schwierigkeiten gibt es immer nur auf der Heimfahrt, wenn er im Westen auf einem Rastplatz steht. "Dann wollen alle meinen Trabi bestaunen. Und ich komme einfach nicht mehr weg."
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