Baggern für Vattenfall

Polen An der Grenze zu Brandenburg sollen Dörfer riesigen Braunkohlengruben weichen. Die Bevölkerung ist schockiert
Ausgabe 42/2014

Ryszard Kowalczuk hat nicht viel Zeit an diesem Oktobertag. Der Bürgermeister von Brody, einer kleinen, beschaulichen Gemeinde an der Grenze zu Brandenburg, hat sich mit dem besten Anzug ausstaffiert. In einer Stunde kommt wichtiger Besuch aus Danzig. Es handelt sich um potenzielle Investoren, die ein verfallenes Schloss am Rande des Dorfes kaufen wollen, um es in ein Heim für an Demenz erkrankte Deutsche zu verwandeln. Ob das klappt, hängt freilich davon ab, was mit der Region sonst noch geschieht. „Die Regierung will hier ein riesiges Gebiet für den Braunkohletagebau freigeben“, so Kowalczuk, „ohne dass die Gemeinden gefragt werden. Angeblich soll es 2018 losgehen: Mit zwei Milliarden Tonnen Kohle rechnet der Staatsenergiekonzern PGE SA. Weit mehr als bisher auf deutscher Seite der Grenze gefördert wurde. Dazu müssten 13 Dörfer weichen und etwa 3.000 Menschen ihren Heimatort verlassen.

Fragt man Kowalczuk, was er davon hält, gibt es eine unmissverständliche Antwort. „Ich bin dagegen, aber es geht nicht um mich, sondern darum, was die Leute wollen. Und die haben schon 2009 bei einem Referendum klar gegen die Braunkohle gestimmt.“ Dieses Veto wurde Ende August bekräftigt, als ein deutsch-polnisches Bündnis fast 10.000 Protestler mobilisierte, die eine Menschenkette vom polnischen Grabice über den Grenzfluss Neiße bis nach Kerkwitz in Brandenburg bildeten.

Konzession zum Verkaufen

„Ein Tagebau würde bis hierher reichen“, sagt Kowalczuk und weist aus dem Fenster seines Arbeitszimmers zum nahen Wald. „Klar, der Energiekonzern PGE verspricht viele Arbeitsplätze, aber es gehen durch ihn auch viele Jobs verloren. Das ist eine Region der Landwirtschaft und des Tourismus. In diese Branchen sollten wir investieren – nicht in Braunkohle.“ Kowalczuk nimmt mich mit nach draußen, wo er auf das Wandgemälde an der Schule weist. „Schau mal, die Haare der Frau stellen den Wind dar, und da oben, das ist die Sonne. Das sollten unsere Energiequellen sein. Auf dem Schuldach haben wir schon eine Fotovoltaikanlage, ein Geschenk von Greenpeace.“

Die Regierung in Warschau scheint unbeirrt an ihren Plänen festzuhalten. „Ich denke, es geht einigen Leuten darum, eine Förderkonzession zu bekommen, die Milliarden Euro wert sein dürfte, wenn man sie an den Energiekonzern Vattenfall verkauft“, meint Anna Dziadek. Die 40-Jährige ist eine typische Polin der Nach-Wende-Generation: mehrsprachig, smart, weltläufig, auf Erfolg bedacht. Sie sitzt im Infozentrum der Stadt Guben, ein paar hundert Meter hinter der Grenzbrücke zur Schwesterstadt Gubin. Die Tochter geht in Neuzelle zur Schule, der Sohn im polnischen Brody. Anna selbst wohnt in Berlin und Posen, arbeitete als Wirtschaftsprüferin für Pricewaterhouse Coopers, aber ebenso für deutsch-polnische Kulturprojekte. „Früher habe ich mich gar nicht mit Energiepolitik beschäftigt“, erzählt sie. „Das kam erst, als ich in dieser Gegend den Bauernhof meiner Großmutter übernommen habe.“

Jeroen Kuiper ist freier Autor und hat für den Freitag bisher aus Südamerika berichtet

Die PGE SA (Polska Grupa Energetyczna) ist eine Aktiengesellschaft mit dem Staat als Mehrheitsaktionär. Laut Anna Dziadek denken die meisten Polen, falls das Unternehmen eine Bergbaukonzession bekommt, darf es die nicht weiterverkaufen. Dziadek: „Das stimmt, aber es ist nicht verboten, eine Firma zu veräußern, die eine Konzession besitzt. Um die Konzession in den Gemeinden Gubin und Brody kümmert sich die PGE Gubin GmbH und nicht die PGE SA. Und diese PGE SA kann die Tochterfirma PGE Gubin GmbH problemlos an Vattenfall verkaufen. Und dann kann der Konzern bei uns baggern.“

Wir fahren nach Grabice, wo vor Wochen die deutsch-polnische Menschenkette begann. Die Landschaft hier macht einen verschlafenen Eindruck. Die Dörfer bestehen aus alten Gehöften, ab und zu überquert eine Bauersfrau in Blümchenschürze die Straße. Herbst liegt in der Luft. „Die Leute sind nicht arm“, meint Anna Dziadek. „Viele verdienen am Tankstellentourismus oder im Metallgewerbe. Sie fertigen alle Arten von Gartenzäunen für die Deutschen. Und dann haben die Leute ja immer noch ihre Höfe. Es gibt regelrechte Großbauern, die gleich nach der Wende Staatsgüter gekauft haben. Andere arbeiten in Deutschland oder Holland, verdienen dort 1.500 Euro als Fahrer eines Trucks, haben hier noch ihr Feld und viel Geld für ein Leben auf dem Land.“

Wir sind mittlerweile ein paar Kilometer hinter Grabice, wo Dziadek das Schloss Luboszyce, das frühere deutsche Liebessitz, zeigt. Ein trauriger Anblick, hinter einem Torbogen verkommt ein romantisches neogotisches Kastell. Es schmerzt Dziadek. „Hier bin ich mal in den Kindergarten gegangen.“ Sie ist aufgebracht über Tristesse und Verfall. Zuletzt habe es Kauf- interessenten gegeben. „Die wollten ein Hotel daraus machen. Das Gebäude wird aber von einem Treuhänder der Wojewodschaft verwaltet, die deshalb nichts verkauft, weil dieses Terrain möglicherweise bald der Braunkohle weichen muss. Die Leute im Wojewodschaftsbüro glauben felsenfest daran.“

Vom Schloss geht es weiter zum Himbeerhof, einem Restaurant und Agrarbetrieb bei Wielotów. Viele Deutsche kommen hier im Sommer zu Besuch, um Himbeeren, Spargel und Erdbeeren zu kaufen. Für Dorota Schewior, die Eigentümerin, ist das Gehöft der Beweis, dass man in diesem Landstrich gewinnträchtig wirtschaften kann. „Das war und ist ein Agrargebiet. Wir brauchen hier keine Kohle. Ich bestelle 16 Hektar und biete viel Arbeit. Natürlich ist es schwierig, geeignete Leute zu finden. Die meisten Polen arbeiten sonstwo, deshalb beschäftige ich viele Ukrainer. Und die kann ich ohne Fördermittel der EU bezahlen.“

Wir haben es eilig. Anna Dziadek ist von der BEST SA zum Lunch in Gubin eingeladen. Am Tisch warten schon drei Gesandte der Investmentfirma, die in der Region gleichfalls ein Schloss kaufen will, um dort an Demenz erkrankte Deutsche zu betreuen. „Etwa hundert Senioren sollen untergebracht werden So etwas Ähnliches gibt es schon andernorts in Polen“, erzählt einer der Herrschaften. „Wir sind hier ganz nah an der deutschen Grenze, die Lage ist also hervorragend.“ Und während die Investoren klagen, die ins Auge gefasste Immobilie sei leider ziemlich verfallen, tafeln in den Gewölben des Kellerrestaurants Retro in Gubin betagte Deutsche und verzehren riesige Schnitzel zum Mittagsmenü an der Neiße. Auf der anderen Seite liegt das deutsche Guben.

Der Minister dementiert

Nach dem Treffen erzählt Anna Dziadek, sie glaube die Investoren seien zufrieden. „Die müssen ein bisschen jammern, um den Kaufpreis zu drücken. Ich habe ihnen gesagt, Personal zu finden, dürfte kein Problem sein. Vor kurzem wurde das Hospital in Gubin geschlossen, 65 Krankenschwestern suchen Arbeit.“ Dziadek hofft sehr, dass BEST SA keinen Rückzieher macht.

Nach dem Lunch geht es zu Zbigniew Barski, Bürgermeister der Landgemeinde Gubin. Auch Barski kann der Braunkohle nichts abgewinnen. „Die Pläne stürzen uns in Ungewissheit. Vielleicht kommt der Tagebau sehr schnell, vielleicht auch erst in 30 Jahren. So lange können die Bewohner nicht warten, wenn sie investieren wollen, aber nicht dürfen, da ihnen der Kauf von Grund und Boden verwehrt bleibt. Die meisten hier sind Nachfahren von Umsiedlern, die 1945 aus dem Osten, dem Gebiet der heutigen Ukraine, herzogen. Diese Familien waren jahrzehntelang verunsichert, weil nur die DDR die Oder-Neiße-Grenze anerkannt hatte. Jetzt wissen sie wieder nicht, wie es weitergeht.“

Es irritiert Barski, dass er schlecht informiert wird. „Mein letztes Treffen mit Vertretern von PGE SA hatte ich Anfang 2013. Vor Tagen gab es nun ein Meeting im Warschauer Wirtschaftsministerium, zu dem aber keine Bürgermeister geladen waren!“ Auf seine Beschwerde-Mail antwortete die Bergbauabteilung des Ministeriums: Sie habe von diesem Termin ebenfalls nichts gewusst. Wie inzwischen bekannt wurde, soll Minister Janusz Piechociński bei der Gelegenheit erklärt haben, das Projekt, im Raum Gubin Braunkohle zu gewinnen, sei in die offizielle Planung aufgenommen. Dies empörte Politiker aus der Region, woraufhin das Ministerium wieder zurückruderte: endgültige Beschlüsse seien nicht gefasst.

Anna Dziadek bleibt gelassen. „PGE SA versucht, die Region zu spalten. Man unterstützt NGOs, die sich für die Braunkohle aussprechen. Es werden anonyme Flugblätter verteilt, um Kohlegegner zu diffamieren. Und es wird versucht, die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Die meisten polnischen Journalisten sind leicht zu kaufen, ich erinnere mich noch, wie stolz der Reporter von der örtlichen Zeitung war, als er von PGE SA ein neues Tablet geschenkt bekam. Aber ich lasse mir die Laune nicht verderben. PGE SA hat selbst nicht genug Geld, um in Gubiner Braunkohle zu investieren. Bei der Stadt Oppeln wollte das Unternehmen ein neues Kraftwerk bauen. Gekostet hat das Vorhaben schon Millionen, die Fundamente sind fertig, aber es geht nicht weiter – Investitionsstopp!“

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden