Kimchi und Käsebrot

Einwanderer Von der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts profitieren nur wenige. Wie fühlt man sich, wenn man hier aufwächst, aber nie einen deutschen Pass erhalten wird?
Ausgabe 11/2014

Wo kommst du her?“ „Aus Berlin.“ „Ich mein, wo bist du geboren?“ „In Castrop-Rauxel.“ „Nein, ich will wissen, wo ist deine Heimat?“ Solche Fragen werden mir oft gestellt. Die Antwort darauf ist nicht leicht. Ich lebe seit meiner Geburt in Deutschland. Einerseits. Meine Eltern sind Koreaner. Andererseits. Und so wie die Dinge liegen, werde ich nie einen deutschen Pass haben. Denn ich will meine koreanische Seite nicht aufgeben. Und das müsste ich. Die Möglichkeit, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu bekommen, gibt es für mich nicht. Daran werden auch die Reformpläne der Großen Koalition nichts ändern. Denn sie gelten nur für Kinder, die hier künftig geboren werden.

Meine Mutter kam 1972 nach Deutschland, sie begann ihr gerade erwachsen gewordenes Leben wie die meisten anderen Koreanerinnen als Krankenpflegerin. Mein Vater kam als Gast- und Bergarbeiter 1974. Kennengelernt haben sie sich aber erst hier in Deutschland. Sie heirateten 1977 in Neukirchen-Vluyn.

Geboren wurde ich zwei Jahre später in Castrop-Rauxel, einer leider noch immer unbedeutenden Ruhrgebietsstadt, eingekesselt von bekannteren Ortschaften wie Bochum, Dortmund oder Herne. Wir lebten in einer spartanisch-ruinösen Wohnung in der Altstadt. Dusche neben Herd. Toilette im Flur. Arbeiterkind. Dass ich Ausländer bin und nicht richtig ins deutsche Bild passte, das erkannte ich allerdings erst im Kindergarten, im Alter von drei Jahren. Bis dahin sprach ich koreanisch und wusste nicht, dass mein Aussehen für den Rest meines Lebens eine Rolle spielen sollte. Aber als die anderen Kinder anfingen, Reime wie „Sching schang schong, Chinese im Karton“ oder „Chinese, Chinese, Eierkopp mit Käse“ anzustimmen, fragte ich daheim, was das denn sei: Chinese? Meine Mutter: „Kind, wir sind aus Korea, nicht China. Das liegt in der Nähe, aber Korea ist ein eigenes Land.“ Beim nächsten Mal konterte ich: „Ich bin gar kein Chinese. Ich bin aus Korea.“ Die Reaktion machte aber auch solche Bemühungen um Differenzierung früh zunichte: „Korea?! Gibt‘s doch gar nicht!“ Korea war wohl so etwas wie das Bielefeld Asiens.

Blüten der Deutschwerdung

In der Tat wusste man in Deutschland lange Zeit wenig über das Land. Höchstens in der Tagesschau gab es ab und an mal kurze Beiträge. Meine Eltern waren jedes Mal außer sich, wenn es etwas über ihr Heimatland zu sehen gab. Selbst kleine Bildschnipsel mussten als Projektionsfläche für Heimweh, das Vermissen der Familie und Sehnsucht herhalten. Derweil gewöhnte ich mich an die mit Zeigefingern schmal gezogenen Augen meiner Kindergartenfreunde. Meine Eltern beteuerten oft, dass sie eigentlich geplant hatten, zurückzukehren. Dann kam mein jüngerer Bruder zur Welt. Die Entscheidung fiel immer schwerer. Haben die Kinder in Deutschland vielleicht eine bessere Zukunft? Meine Eltern beschlossen, hier zu bleiben.

Irgendwann zogen wir in eine kleine Doppelhaushälfte mit Garten. Ein sozialer Aufstieg. Die Nachbarn: einstige Bergleute, Taubenzüchter, Schalke-Fans, einfache, liebenswerte Menschen. Dieses Deutschwerden brachte interessante Blüten hervor. Koreanische Figurinen schmückten den Wohnzimmerwandschrank mit beleuchteter Vitrine im Gelsenkirchener Barock. Im spießigen Garten wurden Sesamblätter und andere Dinge aus der Heimat meiner Eltern angepflanzt. Große irdene Töpfe gefüllt mit fermentierter Soja- oder Chilipaste drapierten sich um den blühenden Rhododendron und das Stiefmütterchenbeet. Wir waren die einzigen Ausländer in der Siedlung. Wenn auf dem alljährlichen Straßenfest das Bier floss und sich alle über das scharfe Grillfleisch meiner Mutter hermachten, hörte man dann: „Ihr seid echt mal die guten Ausländer. Wenn die Türken nur so wären wie ihr.“

Ich werde oft gefragt, wieso ich keinen deutschen Pass habe. Vielleicht hat es sich nie ergeben. Meine Eltern haben mittlerweile einen. Mein Bruder musste sich einen zulegen, weil er Jura studiert hat und einen braucht, um als Volljurist arbeiten zu können. Warum das so ist, konnte mir niemand erklären. Mein offizieller Status ist seit jeher der des Bildungsinländers mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis. Mein Vater, der nach dem Zechensterben bei Opel in Bochum-Langendreer viele Jahre in der Produktion gearbeitet hat, meinte mal: „Bei dir ist die Karosserie koreanisch. Der Motor und das Getriebe sind aber deutsch.“

Seit über 100 Jahren gilt in Deutschland das ius sanguinis, das sogenannte Recht des Bluts, das die Staatsangehörigkeit qua Abstammungsprinzip definiert. Das hat sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht geändert und wurde erst 2000 durch das Optionsmodell erweitert. Jetzt kann man im Prinzip zwischen deutscher und ausländischer Staatsangehörigkeit wählen. Aussiedler und ihre Abkömmlinge können so leicht zu einem deutschen Pass kommen. Geht es aber um Gastarbeiter und ihre Kinder, gibt es immer große Diskussionen über die Leitkultur, über Einbürgerungstests oder die fehlende Integration der Migranten. Selbst vor abscheulich-populistischen Unterschriftenaktionen wie die der hessischen CDU zur „Doppelten Staatsbürgerschaft“ wurde nicht Halt gemacht. Oft wird in diesem Zusammenhang von Integration gesprochen, aber Anpassung gemeint. Diese andauernde Skepsis der Politik gegenüber Ausländern führte bei mir mit wachsendem Alter zu einer emotionalen Distanz diesem Land gegenüber. Manchmal fühlt man sich nur geduldet, obwohl man doch das ganze Leben hier verbracht hat.

Begriffe wie Heimat oder Identität sind daher eine schizophrene Angelegenheit. Bei Fußballweltmeisterschaften bin ich für Südkorea, wofür ich schon einiges an Kopfschütteln geerntet habe „Wie kannst du nicht für Deutschland sein, du bist doch hier geboren?“ Beim Essen denke ich als Erstes an das Kimchi meiner Mutter. Bin ich in Südkorea, stellt sich nach ein paar Tagen ein irritierend befreiendes Gefühl ein, äußerlich nicht aufzufallen. Dafür sind meine Körpersprache, meine Gestik, fehlende Sprachkenntnisse und mein Kleidungsstil nicht konform, weshalb ich dort wiederum häufig für einen Japaner gehalten werde. Es klingt absurd, aber in Korea bin ich Ausländer auf den zweiten Blick und nach einigen Wochen wünsche ich mir nichts sehnlicher als ein doppelt gebackenes Vollkornbrot mit Butter und Käse.

Das Leben in Deutschland hat meiner Familie viel ermöglicht. Mein Vater praktiziert mittlerweile erfolgreich in Frankfurt Traditionelle Chinesische Medizin, mein Bruder und ich haben studiert. Wir hatten zum Glück nie Probleme mit rechtsradikaler Gewalt. Im Alltag begleiten mich unterdessen die kleinen Rassismen noch immer. Sei es, dass man mir in meinem Berliner Kiez ungefragt touristische Ratschläge erteilt oder wildfremde Passanten einen mit „Ni Hao“ oder „Konnichiwa“ anblaffen. Das Gegenteil von gut ist noch immer gut gemeint.

Mehr Mut, bitte!

Man könnte sagen, mein koreanischer Pass ist für mich so etwas wie mein gallisches Asterixdorf. Widerständig, aufmüpfig, und vielleicht auch kokett. Ich kenne keinen hierzulande aufgewachsenen Ausländer, der sich nicht die doppelte Staatsbürgerschaft wünschen würde. Meine Eltern müssten sich bei der Passkontrolle in ihrer Heimat nicht mehr in der Schlange für Ausländer anstellen. Wenn ich in Deutschland lande, müsste ich nicht mehr die Fragen der Zollbeamten beantworten, ob ich beruflich oder touristisch hier bin und vor allem: für wie lange. Am Ende fühle ich mich vielleicht europäisch, mit der Idee einer Entität durch Interkulturalität und Multitude konnte ich mich schon immer besser identifizieren als mit irgendeiner deutschen Leitkultur.

Mir sagte einmal jemand, das Leben sei kein Entweder-Oder. Der Doppelpass könnte mir das Gefühl geben, Europäer zu sein, ohne meine Geschichte zu verleugnen. Ich wünsche mir auch, dass die Große Koalition den Mut aufbringt, eine wirkliche Reform auf den Weg zu bringen und die doppelte Staatsbürgerschaft für alle Ausländer in Deutschland zu ermöglichen. Es sieht danach nicht aus. Vielleicht geschieht ja doch noch ein Wunder. Das nächste Mal würde ich dann sogar auch wählen gehen.

Ji-Hun Kim lebt in Berlin und arbeitet als Journalist, freier Dozent und Musikproduzent

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