Den Export-Weltmeister gelb anstreichen

Vom Saulus zum Paulus Widerspruch zu Wolfgang Müllers China-Artikel "Barbie-Puppen aus der Exportmaschine" im "Freitag" 40/06

Mit seinen China-Texten in den Freitag-Ausgaben 40/06 und 42/06 hatte Wolfgang Müller der These von einer forcierten Handelsexpansion Chinas widersprochen und vor dem Hang zu einem "China-Bashing" gewarnt. Er machte geltend, was unter Made in China firmiere sei oft anderswo vorproduziert - chinesische Firmen agierten häufig nur als Teilproduzenten multinationaler Unternehmen. Das drossele die Gewinne, auch seien die Preise für Chinas Exporte im Verhältnis zu den Importen klar gefallen. - Das reizte den Finanzexperten Joachim Jahnke zu Widerspruch und Debatte; er polemisiert gegen Müller, indem er darauf verweist, dass China seine Märkte zusehends gegen Vorprodukte abschottet und dank seiner extrem niedrigen Löhne nach wie vor außenwirtschaftlich große Wettbewerbsvorteile genieße. Jahnke arbeitete unter anderem als Vizepräsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und betreibt heute das Informationsportal Deutschland Globalisierung.

Ist der Autor der Texte über China aus dem Jahr 2006 noch der gleiche, der in der Freitag-Ausgabe 47/2005 schrieb? Damals erklärte er unter der Überschrift Der Big Bang steht noch bevor: "Der globale Job-Export sorgt weder bei den Empfängern wie in China und Indien noch bei den Absendern in Europa wirklich für mehr sozialen Ausgleich, sondern hinterlässt Millionen von Verlierern. Das gilt im wachstumsschwachen Deutschland ebenso wie in den USA, Großbritannien oder Schweden." Dafür bekam er damals von Heiner Flassbeck - ehemaliger Staatssekretär unter dem Finanzminister Lafontaine und heute Chef-Ökonom von UNCTAD - bei einer öffentlichen Debatte im Internetdienst NachDenkSeiten schrecklich Prügel: "Das ist der übliche Alarmismus, der gerade in Deutschland als dem Hauptgewinner der Globalisierung in den letzten zehn Jahren vollkommen unangebracht ist. ... Was gefährlich ist: Bei uns gibt es eine zunehmende Tendenz, Protektionismus zu predigen." Die Redaktion der NachDenkSeiten stellte sich damals 110-prozentig gegen Wolfgang Müller.

Nun ist der zum Paulus geworden und vertritt ganze zehn Monate später eine so dezidiert gegensätzliche Position, dass er auf den selben NachDenkSeiten unter der Überschrift China-Mythen zum Kronzeugen gegen die sich nicht nur in Deutschland ausbreitenden China-Ängste avanciert. Denn nun macht Müller gegen ein angebliches "China-Bashing" mobil und übernimmt gern die Argumente, die ihm seinerzeit Flassbeck entgegenhielt. Es heißt jetzt: "Speziell aus deutscher Sicht ist die China-Schelte einigermaßen bizarr, um nicht zu sagen absurd" - und selbstredend fällt dann der Begriff "Exportweltmeister". Führt der Mann nun Selbstgespräche mit dem anderen Wolfgang Müller von vor zehn Monaten? Ich möchte die jetzt artikulierte Auffassung des Autors einmal ernst nehmen und schreibe meine Replik in der Hoffnung, er möge sich bald ein weiteres Mal revidieren müssen.

Die USA schon verdrängt

Für mich zeigt Müllers Artikel vor allem eines, wie sich Gewerkschafter anpassen können, wenn sie im Aufsichtsrat eines Unternehmens wie Siemens sitzen, das bisher zu den großen Gewinnern der Globalisierung gehört, Jobs an BenQ auf "Nimmerwiedersehen" abschiebt, eine Gehaltserhöhung seiner Vorstandsmitglieder um 30 Prozent geplant hat und im internationalen Vergleich inzwischen zu den Multis mit der kleinsten Heimatbasis gehört. In dem vom Economist mit dem deutschen Wort Wanderlust überschriebenen Transnationalitätsindex der UNCTAD belegt Siemens mit 65 Prozent einen der Spitzenplätze noch vor Unilever, Sony, Carrefour, Ford und General Electric.

So redet Wolfgang Müller inzwischen auch nicht mehr von den Verlierern in Deutschland und behandelt sinkende Reallöhne hierzulande wie jeder lohndrückende Unternehmer als positiven Wettbewerbsfaktor. Er denkt nicht daran, dass die famosen deutschen Überschüsse, auf die er sich beruft, dank deutschen Lohndumpings in der Eurozone erzielt werden und nicht wirklich im Handel mit China (dort hat Deutschland im Vergleich zu anderen Handelspartnern die bei weitem größten Defizite). Das Argument, wir hätten die Konkurrenz aus China mit Lohnstillstand "massiv getroffen", ist nur noch als komisch zu bezeichnen, schon weil der Stillstand auf einem extrem unterschiedlichen Niveau stattfindet und die Kosten einer Arbeitsstunde in China (laut US-Regierung) in einer Größenordnung von 0,41 Dollar liegen - ein Dreißigstel dessen, was etwa ein Facharbeiter in der deutschen Textilindustrie verdient. Und die deutsche "Exportweltmeisterschaft", auf die sich Müller beruft, sollten wir uns bei einer Steigerungsrate der chinesischen Exporte von beispielsweise 33 Prozent im August 2006 gegenüber dem Vorjahr nun besser gleich abschminken oder gelb anstreichen.

Leider verschweigt der Autor auch, wie die chinesische Regierung den eigenen Markt zusehends gegen Vorprodukte abschottet, die man lieber selbst fertigen möchte, um Arbeitsplätze zu schaffen. Viele multinationale Unternehmen, einschließlich Siemens, sahen sich gezwungen, in China große Entwicklungslabors zu eröffnen, mit denen der Einkauf ausländischer Technologie eingedämmt werden soll. Weiß der Verfasser eigentlich, dass China schon 2004 beim Export von Erzeugnissen der Informations- und Kommunikationsbranche (Mobiltelefone, tragbare Computer, digitale Fotoapparate) die USA vom ersten Rang in der Welt verdrängt hat?

Auch das Wehklagen, das den Chinesen häufig als Verkaufsargument dient (und das Müller prompt übernimmt), es bliebe kaum Geld in China, kann man nicht ernst nehmen. Die Chinesen sind gute Unternehmer und wissen durchaus, wie man von der Ausbeutung der eigenen Landsleute profitiert, ansonsten hätten chinesische Firmen keine so großen Gewinne und könnten - trotz beachtlicher Investitionen - nicht auch noch hohe Sparquoten halten. Niedrige Arbeitslöhne bei Streikverbot (der Gewerkschafter erwähnt das nicht einmal) sind auch kein Beweis für eine niedrige Wertschöpfung und für hohe Vorproduktimporte. Der Lohn bei einer Puppe, die in Deutschland für 9,99 Euro verkauft wird (und die in diesem Fall keine Barbie-Puppe sein mag), liegt pro Erzeugnis bei 46 Cent. Derartige Relationen bezeugen doch nur, wie die chinesische Arbeitskraft ausgebeutet wird - sie sagen nichts über die Wertschöpfung und darüber, wo der Wert hängen bleibt und wie der internationale Handel an dieser Ausbeutung verdient. Ein Gewerkschafter sollte sich daher sofort für eine Sozialklausel bei der Welthandelsorganisation (WTO), Stichwort ILO*-Standards einsetzen.

Auch fallende Ausfuhrpreise sind kein Argument für geringe Wertschöpfung. Sie können sinken, weil die Produktivität weit schneller als in Deutschland zunimmt, die chinesische Währung immer noch stark an den fallenden Dollar gebunden und im Verhältnis zu Leistungsbilanz und Währungsreserven (den größten der Welt) dramatisch unterbewertet ist. Zudem steigen die Einfuhrpreise schneller, weil sich angesichts des wachsenden Bedarfs die nach China eingeführten Rohstoffe verteuern. Das gilt gleichermaßen für Deutschland - die Bundesbank hat selbst festgestellt, dass dieser Teuerungseffekt nicht über die Exportpreise weitergegeben werden konnte und so eine Verschlechterung der terms of trade eintrat.

Wie zu Zeiten der Opium-Kriege

Schließlich ist auch Müllers Bemerkung abenteuerlich, China werde sich nicht von Taiwan freischwimmen können und sei auch deshalb kein wirklich gefährlicher Rivale. Dabei wird übersehen, dass es ein China Co. in Gestalt einer riesengroßen, kommerziell sehr erfolgreichen chinesischen Diaspora in Asien gibt und diese Verbindung von Kapital, Technologie und billigster Arbeitskraft gleich in mehreren Tigerstaaten für Deutschland sehr wohl eine gewaltige Herausforderung ist. Der Angriff auf den Weltautomobilmarkt zum Beispiel kann dabei nicht nur von internationalen Multis, sondern auch von rein chinesischen Firmen kommen, die gerade die von BMW aufgenordete Rover-Technologie eingekauft haben.

Ich bin immer wieder entsetzt, wie leicht die Chinesen unterschätzt werden. Es wird so getan, als lebten wir noch in den Zeiten der Opium-Kriege und hätten ein Viertel von Shanghai unter kolonialer Kontrolle. Auch im Siemens-Aufsichtsrat sollte man sich Gedanken über die eigene Zukunft machen. Sobald China über genügend Technologien verfügt, dürfte der Siemens-Hahn merklich zugedreht werden (jedenfalls für Einfuhren vom vergleichsweise teuren Standort Deutschland). Siemens dürfte dann das Made in China verstärkt als Kampfansage im weltweiten Technologiewettbewerb erleben. Freilich könnte man die fernöstliche Billigkonkurrenz dann mit osteuropäischen Billigstandorten zu bekämpfen suchen - für einen deutschen Gewerkschafter sollte das allerdings keine Lösung sein.

(*) Internationale Arbeitsorganisation in Genf


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