Spätestens seit dem Genozid vom April/Mai 1994 stand das Land im Schatten Ruandas - doch auch Burundi ist ein Staat der zwei Völker, geprägt von einer Hutu-Majorität hier und einer Tutsi-Minorität dort. Auch in Burundi kann das explosive Gemisch aus ethnischen Spannungen und sozialen Konflikten außerordentlich aggressiv und virulent sein - besonders dann, wenn es populistischen Rattenfängern wieder einmal gelingt, die Bevölkerungsgruppen zur Raserei zu bringen und aufeinander zu hetzen. Seit der Unabhängigkeit von 1962 hat das immer wieder zu Gewaltexzessen geführt, die alle zivilgesellschaftlichen Standards des Westens ad absurdum führen, damit weder erklärbar noch beherrschbar sind.
Aus dem Traum wird ein Alptraum
Der 28. August 2000 soll nun nach dem Willen des internationalen Vermittlers Nelson Mandela einen Wendepunkt für Burundi markieren. Die seit 1998 laufenden Verhandlungen in Arusha (Tansania) haben durch das Friedensabkommen einen Schlusspunkt gefunden. Ob das jedoch auch für die Exzesse der Gewalt zutrifft, die das Land immer wieder heimsuchen, gilt nicht nur deshalb als zweifelhaft, weil sechs von zehn Tutsi-Gruppen in Arusha nicht unterschrieben haben.
Am 16. August hatte eine weitere Gesprächsrunde zwischen den wichtigsten Parteien des Landes begonnen - und sie war hochkarätig besetzt: mit dem derzeitigen Präsidenten und Vorsitzenden der von der Tutsi-Ethnie dominierten UPRONA (Union pour le Progrès National) Pierre Buyoya und dem Ex-Präsidenten und Chef der Tutsi-Partei PARENA (Parti pour la Réconciliation Nationale), Jean-Baptist Bagaza. Dazu kam mit Sylvestre Ntibantunganya, einem der politischen Führer der Hutu-Volksgruppe, ein weiterer ehemaliger Staatschef. Komplettiert wurde der illustre Kreis durch den Sprecher der im wesentlichen von Hutu favorisierten Partei FRODEBU (Front pour la Démocratie au Burundi), Jean Minani, und durch Ex-Innenminister Léonard Nyangoma, Vorsteher einer weiteren Hutu-Gruppierung, der CNDD (Conseil National pour Défense et Démocratie).
Als 1998/99 der Burundi-Friedensprozess langsam Konturen gewann, war noch keineswegs sicher, ob eines Tages vor allem Präsident Buyoya über seinen Schatten springen, sprich: Direktverhandlungen mit der Opposition aufnehmen würde oder diese über Mittelsmänner geführt werden müssten. Schon dieser Umstand zeigt, wie weit Burundis führende Politiker von einem wirklichen Frieden und dessen unverzichtbarer Vorstufe - einem effizienten Waffenstillstand - entfernt waren, auch wenn Südafrika noch so vehement einem zunächst wenig ausgeprägten Verhandlungswillen zum Durchbruch verhalf.
Pogrome seit der Unabhängigkeit (1962)
1965
Missglückter Versuch von König Mwambutsa IV., einen Hutu-Premier zu instrallieren, bei anschließenden Straßenschlachten in Bujumbura kommen 1.000 Tutsi und Hutu ums Leben.
1972
Im Norden Burundis schlägt die Armee einen Hutu-Aufstand nieder. Als es danach zu Pogromen kommt, sterben 10.000 Menschen aus beiden Volksgruppen, 500.000 Hutu fliehen nach Tansania und Ruanda.
1988
Einmarsch von Tutsi-dominierten Militäreinheiten in das Kaffee-Anbau-Gebiet von Ngozi, um eine Rebellion von Pflanzern aus der Hutu-Ethnie niederzuschlagen - 22.000 Tote.
1991
Pogrome in Bujumbura gegen Oberschüler und Studenten aus der Hutu-Bevölkerung fordern Hunderte von Opfern.
1993
Ausschreitungen radikaler Tutsi-Milizen nach der Ermordung von Präsident Melchior Ndadaye (Hutu-Partei FRODEBU) am 21. Oktober 1993. Nach offiziellen Angaben sollen dabei zwischen Oktober 1993 und Januar 1994 90.000 Burunder umgekommen sein.
1996 - 2000
Nach der Machtübernahme durch Pierre Buyoya (Tutsi-Partei UPRONA) schwelt ein Bürgerkrieg zwischen der Armee und Guerilla-Verbänden der Hutu-Ethnie - Schätzungen sprechen von 10.000 Toten.
Nach wie vor waren Ressentiments und Ausgrenzungen unüberwindlich, verursacht durch die jüngste Geschichte des Landes. Besonders den blutigen Staatstreich vom 21. Oktober 1993 gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Melchior Ndadaye, einen Politiker des bis dahin diskriminierten Hutu-Volkes. Anfang der neunziger Jahre hatte Pierre Buyoya, damals schon einmal Staatschef Burundis, den Weg zu demokratischen Verhältnissen ebnen wollen. Das Präsidentenvotum am 1. Juli 1993 brachte jedoch nicht ihm, sondern besagtem Melchior Ndadaye als dem Kandidaten der Hutu-Partei FRODEBU den Sieg. Dennoch schien nun erst recht ein Traum wahr zu werden: Eine Machtübergabe von einem Präsidenten zum anderen, von der einen zur anderen Ethnie - eine Transformation, wie sie der multiethnischen Struktur des Landes entsprach. - Doch aus dem Traum wurde ein Alptraum. Tutsi-Extremisten brachten Ndadaye und etliche Mitglieder seines Kabinetts auf barbarische Weise um. Ein Teil des Hutu-Volkes - es bildet mit etwa 84 Prozent die Mehrheitspopulation in Burundi - widersetzte sich diesem Gewaltakt. Es begann - von beiden Seiten forciert - ein »Genozid auf Raten«, dem in den vergangenen sieben Jahren mehr als 100.000 Menschen zum Opfer fielen.
Seither kommt es in Burundi immer wieder zu Übergriffen, die zuweilen in Massaker münden Erst Ende Juli haben marodierende Armeeangehörige ganze Stadtteile der Hauptstadt Bujumbura geplündert und in der Banlieue 53 Bauern ermordet. Die Führung der mehrheitlich von Tutsi gebildeten Armee dementiert diese Berichte natürlich energisch.
Der Kongo-Krieg als Katalysator
Eine der Formationen, die jeden Friedens prozess offenkundig verabscheut und Gewalt zur Maxime ihres Handels erkoren hat, ist die FNL (Forces Nationales de Libération), bewaffneter Arm der PALIPEHUTU (Parti pour la Libération du Peuple Hutu). Zu ihrem Selbstverständnis gehört die Überzeugung, die ersten bewaffneten burundischen Hutu-Kämpfer hervorgebracht zu haben. Ihr bevorzugtes Operationsgebiet sind die an den Kongo grenzenden nordöstlichen Distrikte. Die FNL verfügt über glänzend ausgebildete Soldaten, die größtenteils aus Ruanda kommen und sich auf die klandestinen Strukturen des Hutu-Widerstandes gegen die auch dort regierenden Tutsi verlassen können. Hier zeigt die Instabilität Burundis ihre regionale Dimension.
Haben sich die Krisenprozesse in Ruanda und Burundi bereits seit Erlangen der Unabhängigkeit in beiden Staaten Anfang der sechziger Jahre zum Teil gegenseitig stimuliert, so kommt seit 1998 der Bürgerkrieg im Kongo hinzu. Steht das offizielle Burundi des Pierre Buyoya der Opposition zu Kongos Staatschef Kabila nahe, so protegiert das offizielle Kongo im Gegenzug den Hutu-Widerstand zum Regime Buyoya. Insofern multiplizierten sich, je näher der 28. August rückte, die Zusammenstöße zwischen Einheiten der Regierung und der FNL. Die Guerilla profitierte dabei nicht zuletzt von der Auflösung der etwa 50 Camps, die seitens der Regierung am Rande von Bujumbura 1999 angelegt wurden, um Teile der Bevölkerung besser schützen wie auch kontrollieren zu können. Nach anhaltender Kritik der UNO, aber auch Südafrikas hatte man diese Lager Ende Juli aufgelöst. Geradezu eine Einladung zu militärischen Übergriffen, die von den Hutu-Kämpfern prompt angenommen wurde.
Aber nicht nur Extremisten der Hutu stören jeden Friedensschluss - in Bujumbura wehrten sich auch Tutsi mit Demonstrationen gegen ein mögliches Agreement. Auf beiden Seiten wuchs zudem der Widerstand gegen Vermittler Nelson Mandela. Der habe nach zwei Jahren Verhandlungen keine substanziellen Fortschritte vorzuweisen, hieß es über die Frontlinien hinweg. Dabei wurde ignoriert, dass zeitweise bis zu 19 Gruppierungen involviert waren, die ihre Interessen in exzessiver Weise zu artikulieren verstanden - teilweise mit dem alleinigen Motiv, Barrieren gegen eine Friedensordnung zu errichten, mit der die eigene Partei in die Bedeutungslosigkeit katapultiert werden könnte. Dennoch existieren in jeder Bevölkerungsgruppe starke Kräfte, die einen Neubeginn nicht verspielen wollen. Angesichts der Notlage Burundis, das von einer seit 1998 anhaltenden Trockenheit geplagt wird, ist Frieden das Gebot der Stunde. - Was immer auf den 28. August 2000 folgen mag, es gibt keine Alternative zum Kompromiss von Arusha.
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