Ein Fußballstadion ist ein komplett nutzloses Gebäude, denn man kann Fußball doch viel besser im Fernsehen anschauen«, beschreibt der Architekt Rein Jansma sein Arbeitsfeld. »Rein finanziell gesehen könnte man Stadien auf versiegelte schwarze Kisten reduzieren, gespickt mit aufs Spielfeld gerichteten Kameras, jedoch ohne Zuschauerränge.« Demnach müsste die von Michelle Provoost betreute Reflexion Das Stadion. Die Architektur des Massensports im Nederlands Architectuurinstituut Rotterdam gleich wieder schließen. Provoost stellt Stadien deshalb »in einen soziologischen, kulturellen, ökonomischen und politischen Kontext«, wobei Architektur und städtische Planung im Vordergrund stehen, jedoch Stichworte wie Sicherheit, Medie
Von der Betonschüssel zum Kraftwerk des Urbanismus
DAS STADION Eine Ausstellung in Rotterdam zeigt Vergangenheit und Zukunft eines im Grunde immer nutzloseren Gebäudes
Exklusiv für Abonnent:innen
rheit, Medien, Masse/Individuen, Multifunktionalität, städtische Wiederbelebung oder Kommerz die Ausstellung strukturieren. In deren Zentrum steht ein neun Meter hoher Kubus mit zwölf verschiedenen Räumlichkeiten: dem Sportfeld (samt Kunstrasen, Toren, Großbildleinwänden und Spielertunnel), den Zuschauerrängen (diverse Sitz-Klassen), entsprechenden Verkehrsflächen (Spiel- und Fitnesssalon) und Katakomben (Umkleidekabinen, Sanitätsstation, chilenische Folterzelle). Einfühlung und Information sollen sich beim Probesitzen zwischen nachempfundenem Wohnzimmer und Loge abwechseln.Atmosphären-KreationErst »Live-Zuschauer liefern die notwendige Atmosphäre«, beschreibt Rein Jansma den Kult ums Stadion. »Es ist ein Gebäude, gewidmet dem Gefühl des Da-Seins... Die Essenz ist, dass du den Schweiß riechen und deine Schulter an anderen reiben kannst.« Die Stimmungskanonen auf den Rängen heizen nicht nur den Wohnstuben, sondern auch den profitableren Logenplätzen ein: In der Amsterdamer ArenA wird der Klang der Hardcore-Fans in verstärkter Form in den VIP-Bereich übertragen, das ist die zeitgenössische Form der »Atmosphären-Kreation«. Auch die geschickte Berechnung der Schallreflexion des Stadiondachs sowie Großbildschirme mit Detailaufnahmen tobender Fans tragen zu dieser Atmosphärenverstärkung bei. Der medienreflektierte Stadienbesucher zelebriert hierfür La-Ola-Wellen, wirft Klopapier-Girlanden, produziert Fahnen-Meere, singt komplexe Fanlieder oder hält Grußworte auf Pappkarton in Richtung Kamera.Sex, Drogen und Massenrausch, irre Klamotten sowie Maskeraden tragen die Schlachtenbummler ins Rund. Doch »wann immer ein rassistischer Ton kommt, wird die Lautstärke heruntergedreht«. Zwischen Hooliganism und der in den Skyboxen Hof haltenden Oberklasse spannt sich ein unlösbarer Konflikt im aktuellen Stadien-Busi ness. Während oben Cocktails gereicht werden, führt der Volkssport im Rund zum kollektiven Exzess: Wir sind das Volk, und das Andere ist draußen. Es sei denn, der Andere ist ein Spitzenfußballer, der für die Nation möglichst viele Tore kickt. Freude am dunkelhäutigen Pop-Star und Rassismus sind ja längst keine Widersprüche mehr.Crowd Control»Im Sport gibt es international operierende Gruppen und gemeinsame Regeln, also eine Menge gemeinsamer Punkte für Sportgebäude - weit mehr als bei anderen Typologien. Letztendlich ist die Architektur eine Symbiose aus globalen Standards und lokaler Kultur«, beschreibt Kisho Kurokawa die Vorgaben durch IOC, FIFA oder UEFA. Diese Organisationen legen fest, dass an Stelle von Stehrängen vandalismussichere Plastikstühle angeschraubt, Gräben zwischen Zuschauern und Spielfeld gezogen, Videoüberwachung installiert und freie Bahnen für Polizei und Sanitäter gespurt werden. »Fußballfans mögen nicht nur das Spiel, sondern auch die Unterhaltung. Dies und ordentliche Informationen sind die Werkzeuge, um den Strom der Fans zu regulieren und zu kontrollieren. Es gibt hierfür einen Namen: crowd control«, beschreibt das städtische Pressebüro die Lage. Die Ausstellung im Architekturinstitut selbst gehörte zu einem Paket aus Großveranstaltungen, die die erlebnishungrigen Schlachtenbummler in der City of the final beschäftigen sollten.Die Berichterstattung rund um die Euro 2000 widmete sich mit Vorliebe den polizeilich ausgemachten »Problemfans«, die mit übers Gesicht gezogenem T-Shirt abgeführt wurden. Der Kampf gegen die Hools gilt als Testphase für aktuelle Aufstandsbekämpfungsprogramme: Präventive Hausbesuche, Ausreiseverbot, Passeinzug, Schnellgerichte, Sonderdateien, Videoüberwachung oder verdeckte Fahndung sind Vorboten neuer Beschränkung von Grundrechten, die auf Innenministerkonferenzen mit »aller Härte« durchgesetzt werden.»Der zunehmende Komfort geht Hand in Hand mit zunehmender Kontrolle. Das Stadion ist Teil der gleichen Regeln des öffentlichen Raums sowie dessen Trend zur einladenden Architektur in Kombination mit einem hohen Grad an Überwachung«, heißt es in der Einleitung der Ausstellung. »Wir spielen in Blau«, plakatierte die Rotterdamer Polizei und definierte ihre »Spielregeln« auf mehrsprachigen Faltblättern: »Die Polizei warnt, dass es Null Toleranz gegenüber betrunkenen Fans in öffentlichen Räumen innerhalb des Stadtzentrums, in der Nähe von Kneipen und auf dem Festareal geben wird. Alle Maßnahmen zielen auf ein Ergebnis: eine sichere und glückliche Euro 2000«.Das größte Fernsehstudio der Welt»Das Fernsehen ist ein mächtiger Mitspieler bei den Einnahmen durch das Spiel. Wir fragen gleich zu Anfang des Designprozesses die Fernsehberater nach Empfehlungen für die strategischen Positionen der Kameras«, erläutert Bob Lang von Ove Arup Partner den Entwurfsprozess. Ein Werbeprospekt nennt die Olympiaarena von Sydney »das größte Fernsehstudio der Welt«. Auch wenn das Fassungsvermögen der Stadien längst an seine Grenzen gelangt ist, lässt sich das Publikum durch die digitale Aufbereitung der Events erweitern.Künftig wird es von allen Spielern Computergrafik-Doubles geben. Angesteuert durch drahtlose Sensoren am Körper der realen Spieler, setzt sich das elektronische Spielfeld in Bewegung und ist von allen Perspektiven aus ansteuerbar. Selbst das Spiel aus der Perspektive des Balles wird vorstellbar. »Das Aufregende dabei ist, dass alle möglichen Statistiken durch diese Computerisierung ausgeworfen werden. Man wird wissen, wie oft ein bestimmter Spieler übers Feld gerannt ist, wie oft er eher nach links denn nach rechts gelaufen ist.« Möglicherweise sieht der Bildschirm bald aus wie bei n-tv, wo permanent die Börsendaten durchlaufen. Dies könnte auch auf künftige Flachbildschirme (monitored seats) an jedem Sitzplatz übertragen werden. Schon jetzt verfolgt eine Mehrheit der Zuschauer das Spiel lieber via Großbildleinwand: Hier sieht man die Gesichter der Stars, werden Wiederholungen in Zeitlupe gezeigt, Ergebnisse oder Werbung eingeblendet. »In Zukunft könnte es möglich werden, den Spieler zu nominieren, den man ausgewechselt sehen möchte... Das wäre ein klarer Anreiz, zum Match zu gehen«, beschreibt Stadienbauer Rein Jansma die Einbindung des Publikums durch eine Votierungs-Konsole am Platz.Innerstädtische MagneteWie die Shopping-Mall bilden auch die Stadien neue Formen autogerechter Zentralität heraus. Die Sportanlagen werden kaum mehr allein für Wettkämpfe genutzt: Speedboot-Schau, katholische Messe, Aida-Opernbühne oder Demolition Derby im SkyDome von Toronto sind Beispiele alternativer Nutzungskonzepte. Mit »Vor-Spiel-Aktivitäten« wie Spielautomaten-Arkaden, Ladenpassagen, Fanmuseen oder VIP-Zelten soll die Aufenthaltsdauer für Konsum und Geldausgeben verlängert werden. »Bis jetzt waren Stadien weiter nichts als schlichte Betonschüsseln mit schlechtem Ruf, die lediglich zwanzig Mal im Jahr genutzt wurden«, so Rod Sheard. »Dabei gibt es keine Grenzen dessen, was sich hineinpacken lässt.« Arenen sollen zu innerstädtischen Magneten werden, die fast rund um die Uhr Publikum anziehen. Neben dem Tokyo Dome ist eine Unterhaltungszone angesiedelt, die Bowling- und Rollschuhbahn, Spielhalle, Sauna, Hotel, Theater, Sporthallen, Schwimmbad, Geschäfte, ein Baseball-Museum sowie ein Freizeitpark umfasst. »Es ist absolut klar, dass wir noch größere Programme entwickeln werden - als Folge der Globalisierung. Es ist notwendig, Supermärkte, Schulen, Stadien und Fabriken miteinander zu kombinieren. Und daraus entsteht eine Landschaft, nicht nur ein Gebäude«, spekuliert Dominique Perrault, Architekt des Berliner Doppels aus Velodrom und Wettkampf-Schwimmbad.»Wir entwickeln Gebäude, damit sie Einkünfte erzeugen und Möglichkeiten aufzeigen - für Sponsoring und Namensrechte. Namensrechte allein können in einem Stadion 30 bis 100 Millionen Dollar wert sein.« Nun nehmen Unternehmen einen gesicherten Platz in Anspruch. »Jede Arena ist nach einer Firma benannt, die langfristige Leasing-Pakete abschließt, um ihren Namen am Gebäude zu sehen«, beschreibt Tad L. Shultz vom Developer HNTB. »Das Stadion ist ein Symbol für unternehmerischen und gesellschaftlichen Stolz geworden, und die Firmen wollen so in ihre Gemeinde investieren«, kennzeichnet Timothy Cahill von HNTB die Vorgänge.Nähe durch SpaltungTotalitäre Regimes wollten im Stadion Volksgenossen oder egalitäre Gemeinschaften verkörpert sehen. Nun ist die Zielgruppe das Individuum, der VIP oder Sponsor, immer weniger die organisierten Fangruppen oder gar Hooligan-Banden. Erst seit den sechziger Jahren konnte sich die Arbeiterschicht den zeitlichen wie auch finanziellen Luxus des Fantums leisten. Das Aufkommen der Freizeitgesellschaft ließ den Wettkampfsport zu einem Massenphänomen werden, der auch jenseits der eigenen Lokalität besucht werden konnte.»Die Gesellschaft war damals viel hierarchischer, und vielleicht konnte der Sport die Menschen noch vereinen. Nun findet sich für jede Zielgruppe ein getrennter Bereich. Es sind ja nicht nur die Firmensitze und Firmen-Suites, sondern auch der Bereich für Sondergäste, der Bereich für Scouts und Trainer der anderen Clubs, für die Frauen der Spieler, für die Presse, die lokalen Unterstützer und schließlich die örtlichen Besucher«, skizziert Rein Jansma die Fragmentierung der Zuschauermasse. »Offensichtlich gibt es einen Wunsch nach Zusammensein, aber 15.000 und mehr Zuschauer sind zu viel. Deshalb werden sie in kleine Gruppen aufgespalten, so dass ein stärkeres Gefühl der Nähe entsteht. Das ist nicht nur durch Sicherheitsinteressen begründet.«Maschinen-Logistik»Stadion-Design ist zuvörderst eine Frage der Logistik. Wie bewegen sich die Besucher, woher kommt der öffentliche und sonstige Verkehr«, bemerkt der Designer Rein Jansma. Die Trennung der Besucherströme ist in der Amsterdamer ArenA schon durch zwei unterschiedliche Bahnstationen manifest, durch die wie beim Tigertunnel im Zoo die rivalisierenden Fans getrennt zu- und abgeführt werden.»Ein Stadion«, so Bob Lang zu seiner Rolle als Dienstleister für Architekten, Designern und Auftraggebern, »ist weit eher verwandt mit einer Maschine als mit einem klassischen Gebäude.« Klimatisierung, Akustik, Beleuchtung oder die Kalkulation der Fluchtzeiten bei einer Massenevakuierung gehören zum normalen Programm. Beim 1965 erbauten Astrodome in Houston - mit kompletter Überdachung und hierdurch notwendig gewordenem künstlichem Rasen Astroturf ausgestattet - beeinträchtigen weder Sonne, Unwetter noch Mücken die Events. 1989 wurde das Stadion mit einem fliegenden Teppich ausgestattet - zwei verschiedene Spielfelder, die im Keller gelagert werden und nach Bedarf herausgerollt werden.Kraftwerk eines neuen UrbanismusDer Bau des Stade de France für die Fußballweltmeisterschaft 1998 galt als Symbol der Wiederbelebung des Pariser Nordens. Der Boom für wohlgeformte Sportarenen ist mit dem Museumsboom der achtziger Jahre vergleichbar. »In einer städtischen Gegend, die einen erstklassigen Status anstrebt, ist ein Spitzenliga-Team, welches in einem großen und modernen Stadion spielt, so lebensnotwendig wie ein Symphonieorchester oder ein Kunstmuseum«, beschreibt Steven Riess die Stadtteilkonkurrenz. Dieser Wettbewerb trägt inzwischen globale Züge, wie der Austragungskampf um die Olympischen Spiele deutlich macht. Nun interessieren sich auch Stararchitekten wie Peter Eisenmann oder Renzo Piano für solche Projekte.Stadienbau soll als Werbung nach außen wirken und zugleich als Motor der innerstädtischen Erneuerung fungieren. Die ArenA Amsterdam zwischen Businesspark, Bahnknoten, Einkaufszone und dem verdichteten Hochhaus-Wohnquartier Bijlmermeer definierte den bislang suburbanen Südosten zum Urban-Entertainment-Zentrum um. »Wir wollen die amerikanischen Prinzipien der Gastlichkeit in einem Stadion erzeugen, welches bequem ist und alle vorstellbaren Annehmlichkeiten bietet: ein Sportereignis muss eine Entschuldigung sein für einen kompletten Tagesausflug«, bekundet Stadionmanager Henk Markerink sein Aufgabenbereich. Diese Hoffnung hat sich hier ebenso wenig erfüllt wie im Stade de France: Gebaut für 80.000 BesucherInnen, jedoch selten ausgelastet, ist es »ganz sicher nicht das Kraftwerk eines neuen Urbanismus, wie es die Stadien-Promoter in ihrer Pressemappe behaupten«, so Marieke van Rooij. Im Stadion von Genua hat man inzwischen eine darunter liegende Ladenpassage wieder zugemauert.Michelle Provoost (Hg), The Stadium, Nederlands ArchitectuurinstituutNederlands Foto Instituut. Belgie-Holland/Holland-Belgie, KatalogBauwelt. Der Sport und die Stadt, Heft 30/31, 2000
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken. Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos. Mehr Infos erhalten Sie hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt. Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.