Auf dem Sprung nach Westen?

WAHL 99 Notizen eines Gesprächs mit Harald Wolf, Fraktionschef der PDS im Abgeordnetenhaus

Rund die Hälfte der Deutschen hat den Krieg der NATO in Jugoslawien seit seinem Beginn abgelehnt, aber bei der Europawahl am Sonntag steht nur eine Partei auf dem Wahlzettel, die von Anfang an für seine einseitige Beendigung eingetreten ist: die PDS. Eine Garantie für Wahlerfolg? Der Berliner Fraktionsvorsitzende der PDS, Harald Wolf, sieht die Lage nüchtern. Mit rund sechs Prozent rechnet er für seine Partei: »Diesmal kommen wir rein ins Europaparlament. Wir werden zulegen, während SPD und Grüne mit mangelnder Mobilisierung ihrer Wähler zu kämpfen haben.«

Der in Hanau geborene Zweiundvierzig jährige, der vor seiner Tätigkeit für die PDS lange Jahre bei den Grünen aktiv war, weiß um die Bedeutung gewachsener Bindungen für das Wahlverhalten. Die Antikriegspolitik werde der PDS bundesweit Zugewinne bringen, aber wohl nicht den großen Durchbruch im Westen bescheren: »Die kulturelle Schranke ist noch zu hoch.« Allerdings sieht Harald Wolf erste Anzeichen, daß sich die Menschen im Westen an die fremde Partei aus dem Osten gewöhnen. Bei Diskussionen in Westberliner Schulen über den Krieg sei er »auf ziemliches Entsetzen über die Grünen und neuartige Offenheit uns gegenüber« gestoßen. Auch im Umfeld der Berliner SPD registriert er Entwicklungen, von denen er sich mittelfristig einiges verspricht. Da gebe es eine Reihe von Leuten, die sich rot-grüne Regierungspolitik anders vorgestellt haben und jetzt sagen: »Neoliberale Politik und Krieg, das wollten wir nicht.«

Ein Erfolg bei der Europawahl würde der PDS Rückenwind für die Berliner Wahl am 10. Oktober verschaffen. Dann will die PDS gegen soziale Ausgrenzung zu Felde ziehen, wobei der Kampf gegen Arbeitslosigkeit durch einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor im Mittelpunkt stehen soll. »Quartiersmanagement« wie es der Senat angesichts der sozialen Verelendung in den Innenstadtbezirken betreibt, genügt Harald Wolf bei weitem nicht. Neben der Beschäftigungspolitik hätte auch die Wohnungspolitik ihren Beitrag zu leisten. »Vor allem aber muß die Landespolitik die Bezirke, Jugendeinrichtungen und Schulen in die Lage versetzen, ihrer sozialen Integrationsfunktion nachkommen zu können«, fügt er hinzu.

Nun ist die Zufriedenheit mit dem »persönlichen Wohlergehen seit der Wende« im Osten höher als im Westen und in den PDS Hochburgen ganz besonders ausgeprägt. Laut einer Umfrage des Berliner Senats sagen nur 31 Prozent der Westberliner, ihre Lebens umstände hätten sich seit der Wende verbessert, im Osten sind es hingegen 63 Prozent. Während im Westen 30 Prozent meinen, ihre Lebenslage hätte sich verschlechtert, lassen dies nur 15 Prozent der Ostberliner für sich gelten. Konkurrenzlos zufrieden mit der Entwicklung der »allgemeinen Lebensqualität« sind vor allem die Bewohner von Hellersdorf mit 96, Hohenschönhausen mit 79 und Lichtenberg mit 77 Prozent. Die Skala der Unzufriedenen führt hingegen der Wedding mit 77 vor Neukölln mit 64 und Kreuzberg mit 52 Prozent an.

Tatsächlich gibt es in keiner Partei in Ostdeutschland soviel Existenzgründer wie in der PDS. Und gerade die Bevölkerung in den großen Plattenbausiedlungen am Ostberliner Stadtrand gilt als hochqualifiziert und beruflich erfolgreich. Dennoch glaubt Harald Wolf nicht, daß die PDS mit ihren sozialen Themen an diesen Wählern vorbeiagiert. »Diese Menschen haben schon ihr Leben in der DDR als sozialen Aufstieg und damit nicht unbedingt als negativ erlebt, und ihre soziale Wertorientierung bleibt auch im jetzigen beruflichen Erfolg erhalten.« Die Orientierung auf Gleichheit und Gerechtigkeit sei im Osten größer und verbreiteter als im Westen. Von daher könne man zugespitzt zwar sagen, die PDS sei die Mittelstandspartei im Osten, aber sie sei zugleich eine Volkspartei, deren unterschiedliche Segmente durch den Grundwert sozialer Gerechtigkeit verbunden seien.

Den Einwand, in der PDS buchstabierten allzuviele die Gleichheit noch immer im gemeinschaftlichen Sinne und bekämpften von der falschen Frisur bis zur falschen Hautfarbe jede Abweichung von der selbstgesetzten Norm, weist Wolf als zu pauschal zurück. Langsam aber sicher brächen alte Verhärtungen auf, weil »sie zunehmend nicht mehr lebbar sind - nicht in der Gesellschaft und nicht in der Partei«. Insgesamt konstatiert er Fortschritte bei der Entwicklung zur Volkspartei in einer Metropole, die vom Pluralismus der Lebensstile gekennzeichnet ist.

Dennoch war es kein Zufall sondern wohlgezielte Provokation, daß Ende Mai rund 1500 Punks und Antifas ausgerechnet in Hellersdorf ein »Kulturschock-Festival gegen den Normalzustand« veranstalteten, an dessen Ende ein älterer Anwohner urteilte: »Ich denke, daß dies ein Kulturschock für beide Seiten war.« Harald Wolfs Ankündigung, im Berliner Wahlkampf einen deutlichen Akzent auf die Verteidigung von Demokratie und Bürgerrechten zu setzen und dabei gegen »die Ausgrenzung im öffentlichen Raum sowie die Ausgrenzung von Flüchtlingen und Migranten« Stellung zu beziehen, dürfte deshalb nicht zuletzt an die eigene Parteibasis gerichtet sein.

Der Verlauf des Berliner Parteitags, auf dem das Wahlprogramm verabschiedet wurde, zeigt, daß der Weg zur Reform der Partei noch lang ist. Zwar gelang es, die PDS im Wahlprogramm als »sozialistische Bürgerrechtspartei« zu definieren, die der »demokratischen Tradition der Wende und nicht dem politbürokratischen System der DDR« verpflichtet sei. Eine andere, noch deutlicher werdende Passage des Entwurfs ging der Mehrheit dann aber zu weit: »Die PDS setzt sich mit den eigenen totalitären Wurzeln auseinander, die mit einer Erziehung zur Konformität und einem Wertekatalog, der Sicherheit, Ordnung, Gleichheit, Unterordnung, Sauberkeit und Disziplin einschloß, auch einen Teilaspekt der rechtsextremen Spezifik in den neuen Bundesländern ausmacht.«

Die Streichung dieser Passage muß allerdings nicht das letzte Wort zum Thema gewesen sein, vorausgesetzt die PDS zieht Konsenquenzen aus einer selbstkritischen Feststellung, die ebenfalls im neuen Berliner Wahlprogramm steht: »Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ist in eine Sackgasse geraten.« Andernfalls könnte sich die Bremer Erfahrung wiederholen, daß selbst konsequenter Einsatz für Frieden und soziale Gerechtigkeit sich für die PDS bei der Linken im Westen nur sehr begrenzt auszahlt.

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