Eine Woche lang drängten Besucher unter den Funkturm, nur weil die Privatsender nicht mehr teilnahmen, war die Internationale Funkausstellung (IFA) noch lange nicht tot. Der Untertitel der IFA, »Your world of consumers electronic«, zeigt, wohin die Reise geht: Von der Funkschau zur Multimedia-Messe. Die Grenzen zwischen Medien mit ursprünglich unterschiedlicher Funktion verschwimmen. Auf mittlere Sicht werden Internet, Fernseher, Computer und Telefon eins, und sei es über einen Zentraldecoder, der die verschiedenen digitalen Signale von Kabel- und Telefonleitung, Satellitenschüssel und Antenne aufnimmt und an unterschiedliche Endgeräte in der vernetzten Wohnung weitergibt. Solange die neue multimediale Welt für die Konsumenten gewöhnungsbedürftig ist, wird der IFA-Zirkus gebraucht. Was es zu vermitteln gilt, ist eine Revolution, die der Erfindung des Buchdrucks vergleichbar ist.
Bundeswirtschaftsminister Müller erinnerte bei der Eröffnung der IFA daran, dass eine handgeschriebene Bibel vor Gutenbergs Erfindung der beweglichen Letter allenfalls zum Preis eines mittleren Bürgerhauses zu erwerben war. Davon sind die heutigen Buch- und Zeitungspreise, die Rundfunkgebühren oder die Telefonrechnung weit entfernt. Auch wenn die aktive Meinungsverbreitung eine Frage des Geldes geblieben ist: ohne diesen Fortschritt in der Kommunikation hätte sich Demokratie nicht über die Grenzen von Stadtstaaten hinaus entwickeln können. Das Internet dreht die Demokratisierungsspirale weiter. Technik und Kosten machen es im Prinzip jedem möglich, das Internet nicht nur zur Beschaffung, sondern auch zur Verbreitung von Informationen und zur aktiven Meinungsäußerung zu nutzen.
Berlins Regierender Bürgermeister versäumte nicht, sich an die Medien-Euphorie anzuhängen. »Die größte und wichtigste Messe für Unterhaltungselektronik und Multimedia gehört zu Berlin wie der Funkturm, das Brandenburger Tor und der Fernsehturm am Alex«, meinte Diepgen. Denn Berlin habe sich in den vergangenen zehn Jahren zu einer Medienstadt entwickelt. Der Senat rechne damit, dass bis 2004 etwa 30.000 neue Jobs im Medienbereich der Stadt entstünden. Doch ein Blick in die Statistik zeigt, wie steinig der Weg für Berlin noch ist. Während rund 100.000 Beschäftigte in knapp 8.000 Unternehmen der Medienbranche einen Gesamtumsatz von 18 Milliarden DM erzielen, erwirtschaften in Hamburg 70.000 Beschäftigte in rund 7.500 Betrieben einen Umsatz von 50 Milliarden Mark. Jede dritte Fernsehproduktion kommt aus Nordrhein-Westfalen, vorzugsweise aus Köln. Dahinter folgen Hamburg (19,8), Bayern (17,6 Prozent) und dann erst Berlin (15,6 Prozent).
Die Film- und Fernsehproduzenten monieren vor allem die mangelnde Koordination mit Brandenburg. An der Medienwirtschaft wird deutlich, welchen Flurschaden die gescheiterte Länderfusion hinterlassen hat. Zwei Film- und Fernsehzentren in Berlin-Adlershof und Potsdam-Babelsberg, zwei zuständige Ministerien, zwei mit Filmförderung befasste Landesbanken und zwei schwache Landesrundfunkanstalten: Die damit verbundenen Reibungsverluste haben sich als Hindernis für die Entwicklung der Region erwiesen. Zahlreiche Filmproduzenten verlangen deshalb in einem offen Brief, einen Medienbeauftragten für Berlin und Brandenburg mit eigenem Etat zu berufen. Die zögerlichen Schritte des Berliner Senats, der einen erneuten Anlauf zur Länderfusion für 2004 oder später ins Auge fasst, sind kaum das richtige Rezept, die Medienwirtschaft in der Region voranzubringen. Selbst wenn Berlin und Brandenburg statt 24 in Zukunft 40 Millionen Mark für Filmförderung bereitstellen, kann die Region mit dem Geldsack großer Länder wie Bayern und NRW nicht mithalten. Umso wichtiger wäre es, sich durch unbürokratische Verfahren zu profilieren.
Auf dem Gebiet von »Neuen Medien« und »Multimedia« käme es für den Senat darauf an, sich als Wirtschaftsakteur zu verstehen, der das in der Stadt zweifellos vorhandene kreative Potential entwickelt und nutzt. Berlin braucht ein »Bürgerinformationssystem«, das die Stadtpolitik transparent macht, mit der Verwaltungsreform verknüpft wird, den Bürgern Behördengänge erspart und auch Internetversteigerungen öffentlicher Aufträge ermöglicht. Das wäre nicht nur bürgerfreundlich, sondern auch ein Impuls für Unternehmen, die auf dem Gebiet der Informationstechnologien tätig sind.
In der Wissensgesellschaft ist das Thema Gleichheit und Chancengerechtigkeit keineswegs erledigt. In städtische Einrichtungen von der Stadtteilbibliothek bis zum Rathaus gehören öffentliche Terminals, die Leuten ohne häuslichen Internetzugang den Zugang ins Netz ermöglichen. Noch bedeutsamer wird sein, keine Spaltung der Gesellschaft zuzulassen in solche, die mit der neuen Technik umgehen können, und solche, denen die dazu nötigen Kenntnisse fehlen. Die neuen Informationstechniken zu beherrschen, wird zu einer Grundfertigkeit wie das Lesen und Schreiben, die für die demokratische Teilhabe gleichermaßen wichtig ist wie für die Qualifikation der Arbeitskraft. Informationen sinnvoll auswählen, bewerten und verknüpfen zu können und zu wissen, wo was zu finden ist, wird zu einem zentralen Bildungsmerkmal.
Die Informationstechnologien sind mit neun Prozent jährlichem Zuwachs der größte Wachstumsmarkt der Welt. Die USA, die die Weltmarktführer auf diesem Gebiet stellt und einen überproportionalen Anteil an diesem Markt hat, erreicht über den damit verbundenen Multiplikatoreneffekt ein insgesamt höheres Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsniveau als die Bundesrepublik. Für das »amerikanische Wirtschaftswunder« ist die Vorreiterrolle auf dem Gebiet der neuen Technologien viel wichtiger als irgendwelche McJobs. In Deutschland fehlen schon heute 70.000 Fachkräfte auf dem Gebiet der Informationstechnologien. Eine Politik, die sich darauf konzentriert, über einen Niedriglohnsektor den Einstieg in die Dienstbotengesellschaft zu organisieren, könnte sich schnell als Sackgasse erweisen. Bildungspolitik ist Sache der Bundesländer. Die Berliner Parteien, die jetzt um die Wählergunst werben, sind nicht zuletzt danach zu beurteilen, inwieweit sie den Satz verinnerlicht haben: Es ist wichtiger, in Köpfe zu investieren als in Beton. n
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