Wo steht Rot-Grün? Und wo liegen eigentlich die wichtigen politischen Konfliktlinien? Verläuft die Frontlinie vor allem zwischen Regierung und der rechten Opposition? Haben diejenigen Auguren recht, die - wie Der Spiegel und die Bild-Zeitung - vor allem eine »offene Feldschlacht« zwischen »Modernisierern und Betonköpfen« in der SPD diagnostizieren? Oder bedeutet das militante Geschrei aus den Unternehmerverbänden, mit dem sie die Rot-Grüne Regierung von Beginn an begleiten, daß die Hauptgefechte doch eher zwischen der Regierung und den Wirtschaftsbossen stattfinden?
Tatsächlich haben sich die Unternehmerverbände auf die Rot-Grüne Bundesregierung eingeschossen. Das Handelsblatt zitierte vor Monaten den Chef eines großen Unternehmens mit den Worten: »Noch nie gab es eine Revolution des Kapitals. Jetzt hat sie begonnen.« Das mag etwas großsprecherisch formuliert sein, aber es drückt doch die Unzufriedenheit der meisten Unternehmer mit der Bundesregierung aus. Und: nur zwei Wochen nach dieser Kriegserklärung war Finanzminister Lafontaine bereits aus dem Amt gedrängt. Aber auch noch danach wußte die Wirtschaftswoche von einer »Konfrontation zwischen Regierung und Wirtschaft« zu berichten.
Die Kritik konzentriert sich auf die Steuerpolitik der Regierung, auf die Atom- und Ener giepolitik und auf die Sozialpolitik. Je nach Bedarf wurden und werden noch andere Politikbereiche angegriffen: etwa die Gesundheitsreform. Gleichzeitig zielen die Angriffe fast immer auf einzelne Minister: Oskar Lafontaine war der Lieblingsfeind der Bosse, knapp gefolgt von Jürgen Trittin, der bei den Energiekonzernen nach wie vor als Oberschreckgespenst amtiert. Nach dem Rücktritt Lafontaines gab es kurzzeitig ein Defizit an Bösewichtern.
Jürgen Trittin ist demgegenüber »der Rüpel vom Dienst« (Der Spiegel), ein »Buchhalter der Macht«, so die Welt, der zugleich provoziert und polarisiert - keine typischen Buchhaltereigenschaften. Auch er wird natürlich gern und immer wieder als Ideologe entlarvt, als »Eiferer«, der irgendwie noch seiner radikalen Vergangenheit verhaftet sei. Das ist interessant, weil die Bosse bei Joschka Fischer eine ähnliche Vergangenheit überhaupt nicht stört: Fischer belegt bei Umfragen unter Managern einen Spitzenplatz an Beliebtheit. Trittin aber, so freut sich ein Energiemanager, »wird Stück für Stück zerlegt«.
Walter Riester behandelt man anders als die beiden Oberbösewichter. Er wird weniger mit Häme und Hetze überschüttet, auch sein Charakter und seine Kompetenz nicht bezweifelt. Aber, so die Kritik, Riester habe sich als »Strukturkonservativer« entpuppt, als Anhänger sozialdemokratischer »Traditionalisten«. Gelegentlich fällt gar das böse Wort von einer »Sozialstaatsmafia« (so BDA-Präsident Hundt). Da wäre der Arbeitsminister dann wohl Ehrenmitglied. So wird die Sicherung des Sozialstaats leicht zur Aufgabe einer Kriminellen Vereinigung.
Personalisierung der Gegner ist wichtiger Teil der Strategie. Sie müssen entweder zu Finsterlingen gemacht werden, oder zu Trotteln, die nicht wirklich wissen, was sie tun.
Aber hinter dieser Dämonisierung einzelner Kabinettsmitglieder steckt Politik. Die Wirtschaftsverbände haben zahlreiche Vorschläge oder Forderungen vorgetragen, wie die Bundesregierung besser vorgehen solle. Häufig wollen sie ganz konkrete Dinge, die meist auf das eine hinauslaufen: Geld. Sie wollen eine »wirkliche Steuerreform«, und das heißt: reale Steuersenkungen für die Unternehmer. Das ist ihnen wirklich eine Herzenssache, so etwa für Dieter Hundt: »Wir brauchen jetzt so schnell wie möglich eine Unternehmenssteuerreform mit kräftiger Nettoentlastung, vage Ankündigungen genügen nicht!« - soll heißen: Geld her, oder es knallt! Sie wollen die Ökosteuer stoppen. Sie wollen aber natürlich keine eigenen Vorschläge zum Subventionsabbau vorlegen. So etwas klingt gut in Sonntagsreden, kostet aber Geld. Ein BDI-Funktionär: »Wir bringen doch nicht noch den Strick mit, an dem wir aufgehängt werden sollen.« Ja, Unternehmerfunktionäre sind eben eine bedrohte Art und sollten unter Naturschutz gestellt werden.
Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Aber: letztlich geht es nicht um Einzelheiten. Es geht um die große Linie. Es geht darum, so der BDA, daß die Bundesregierung »zu einem verläßlichen und sachgerechten Kurs zurückkehrt.« Wohlgemerkt: »zurückkehrt«. Was ja nur bedeuten kann, daß die neue Bundesregierung gefälligst die Politik der alten betreiben soll. Ob sie aber dafür gewählt wurde? Nötig sei außerdem »ein Kurswechsel in der Wirtschafts- Finanz-, Sozial- und Tarifpolitik.« Bescheiden ist das nicht, aber schließlich hatte ja der verhaßte Lafontaine in anderem Zusammenhang »das Ende der Bescheidenheit« verkündet - und im Unternehmerlager blankes Entsetzen hervorgerufen. Die Unternehmer fordern also eine Wende rückwärts in fast allen Politikbereichen. Das ist ihr gutes Recht. Aber natürlich wollen sie das nicht aus Eigennutz, aus Profitgier. Die Senkung der Unternehmenssteuer und insgesamt eine wirtschaftsfreundliche Politik fordern sie nicht, weil sie ihnen nutzten, sondern - weil sie »modern« sind. Modern ist das Zauberwort der Reaktion. Eine moderne Steuerpolitik: das spart Geld. Eine moderne Wirtschaftspolitik: die soll die Gewerkschaften in die Schranken weisen und Ordnung schaffen. Wie hatte der unvermeidliche Dieter Hundt freundlicherweise ausgeplaudert: »Ein Arbeitskampf ist eine anarchistische Lösungsmöglichkeit, die in unsere Zeit nicht mehr paßt«. Das heißt: Streik ist einfach nicht modern, also Scheiße. Als Streiks noch modern waren, damals, da waren die Unternehmerverbände von ihnen ja begeistert. Aber heutzutage?
Modernität ist der Teppich, unter den die eigene Interessenspolitik gekehrt wird. Modernität ist auch der Knüppel, mit dem alles geprügelt wird, was sich der neo-liberalen Wende entgegenstellt: Lafontaine: altmodisch, völlig unmodern, aber schon erledigt: Trittin: ein altmodischer Linker, bockig, aber isoliert. Riester: altmodischer Traditionalist, will den Sozialstaat im Kern verteidigen, muß noch weichgekocht werden.
Der strategische Sieg der Unternehmerverbände besteht darin, daß es ihnen gelungen ist, die Haupt-Konfliktlinie in die Koalition und in die SPD hineinzuverlagern. Deshalb konnten sie ihren ruppigen Ton in den letzten Wochen auch deutlich mäßigen - das Wadenbeißen erledigen der Kanzler und seine Pseudomodernisierer jetzt selbst. Die Bild-Zeitung weiß wieder am besten Bescheid: »Bundeskanzler und SPD-Chef Gerhard Schröder ist entschlossen, seinen Kampf um eine neue, moderne SPD knallhart durchzuziehen. Der Kanzler sammelt zur Zeit seine Truppen, für ihn gibt es kein zurück mehr!«
Ob Schröder tatsächlich seine Truppen sammelt oder ob er selbst nur zu den Hilfstruppen anderer gehört - das ist schwer zu entscheiden. Schon nach dem Lafontaine-Rücktritt hatte BDI-Präsident Henkel »die Hoffnung« erklärt, »daß der wirtschaftsfreundlichere Flügel der Koalition und die reformwilligen Kräfte gestärkt werden«. Schon vorher hatte er öffentlich gehofft, daß sich »der wirtschaftsfreundliche Flügel, also Minister Hombach, die Staatssekretäre Tacke oder Mosdorf, und der Bundeskanzler selbst, daß die sich letztendlich durchsetzen werden.« Und dann hatte er angekündigt: »Daran werden wir mitwirken.«
Und genau das scheinen die Verbände jetzt zu tun. Aber sie tun es nicht als Schröders Hilfstruppen und auch nicht, weil sie ihn für einen der ihren halten. Die Wirtschaftswoche formulierte kürzlich in schöner Präzision: »Schröder hatte ... nie ordnungspolitische Grundsätze, sondern blieb immer Populist und Taktiker, der sein Fähnchen nach der von ihm vermuteten Mehrheitsmeinung ausrichtet.«
So jemanden liebt man nicht, man benutzt ihn. Und vor allem: Man unternimmt alles, um das gesellschaftliche Klima in eine genehme Richtung zu lenken. Dann wird Schröder schon sein Fähnchen umdekorieren.
Aus diesem Grund ist der Kanzler nicht das Hauptproblem, so wenig wie Eichel, Struck, Hombach, Clement oder sonstwer es sind. Das wichtigste Problem besteht in einem gesellschaftlichen Klima, das neo-liberale Denkmuster inzwischen für fast selbstverständlich hält und kaum noch hinterfragt. Die neo-liberalen Zauberformeln sind eben tatsächlich modern. Daß ihnen das ideologische Feld überlassen, daß von links keine funktionierende Alternative erarbeitet und politisch angeboten wird - das ist das Problem. Die militante Interessenpolitik der Unternehmerverbände kann sich eben nur respektabel und als Allgemeinwohl verkleiden, weil zu ihren ideologischen Formeln keine glaubwürdigen Alternativen bestehen - und die Versuche einer Wiederbelebung keynesianistischer Modelle mögen zwar gut gemeint sein, sind aber eben schon lange nicht mehr glaubwürdig. Schröder, Clement und Co. sind nur Symptome dieser Misere: Sie verkaufen nur, was im Angebot ist, und das Angebot ist reichlich einseitig.
Die politische Debatte leidet unter drei Faktoren. Erstens unter der massiven politischen und ideologischen Offensive der Großlobbyisten von Industrie und Wirtschaft, flankiert von ihren publizistischen Helfern. Zweitens unter der opportunistischen Aufnahme dieser Positionen durch einen großen Teil der politischen Klasse, dem ein Anschluß an die stärksten Bataillone als kluge Politik erscheint. Und drittens unter dem Abtauchen der Linken, die der politischen Grundwende nichts entgegensetzen. Sie verlieren die Schlacht, da sie nicht einmal kämpfen. Konzeptionell trotz zweier Jahrzehnte neo-liberaler Hegemonie immer noch nicht vorbereitet, ziehen sie die Köpfe ein und weigern sich, eine wirkliche Debatte zu führen - von einem Klimmt einmal abgesehen. Dabei hatte der Kanzler doch deutlich gemacht, daß ausbüxen nicht funktioniert. Dieser Verzicht auf das öffentliche Vorbringen politischer und ökonomischer Alternativen engt den Diskurs auf das neo-liberale Projekt ein. Und genau dieser Verzicht schafft erst die Voraussetzungen für die neue, noch unsichere Achse von BDI und BDA mit dem Kanzler und seiner Truppe. Bild hatte geschrieben: »Für Schröder geht es bei seinem Kampf um die Modernisierung der SPD um Alles oder Nichts«. Nun, das kann sein. Aber sicher gilt die Prognose für seine innerparteilichen Gegner und den linken Flügel von Rot-Grün: Für sie geht es im Herbst um Kopf und Kragen. Und bisher sieht es nicht so aus, als ob sie an beiden sonderlich hängen würden.
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