Der soeben vorgelegte Bericht des Wehrbeauftragten des Bundestages wäre für die Politische Klasse jedes anderen Landes ein Alarmzeichen ersten Ranges. Nicht so in Deutschland. Erstmals in der Geschichte der Bundeswehr fordern Soldaten den Primat der Politik ein und weisen damit auf zweierlei hin: erstens, dass die Konzeption der Inneren Führung mit ihrem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform doch nachhaltige Spuren im Selbstverständnis dieser Armee hinterlassen hat, woran man bislang eher zweifeln durfte. Zum Zweiten aber legt die Kritik an fehlenden Konzepten dieser Bundesregierung für politische Lösungen in den militärischen Einsatzgebieten schonungslos offen, welche Defizite sich Rot-Grün in der Außen- und Sicherheitspolitik glaubt leiste
ubt leisten zu können. "Das vereinigte Deutschland muss seiner gewachsenen Verantwortung gerecht werden", "wir müssen uns den Realitäten stellen", "die Zeit der Scheckbuchdiplomatie ist vorbei". So und ähnlich vernehmen wir es tagaus, tagein mantrahaft bei einschlägigen Bundestagsdebatten, in Interviews und Talkrunden aus dem Mund des Außenministers, des Verteidigungsministers und des Kanzlers, der gar das Militärische enttabuisieren will, obwohl es nach dem Zweiten Weltkrieg schon seit Mitte der fünfziger Jahre nicht mehr tabuisiert war. Genau diese Äußerung ist eine wesentliche Erklärung - wenn auch nicht die einzige - für die sicherheitspolitische Konfusion, der wir uns seit 1998 in diesem Land ausgesetzt sehen. Das Beiseitedrücken völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Bedenken wie Negieren der Grundlagen des Nordatlantikvertrages, die Verweigerung einer breit angelegten öffentlichen Debatte über den sicherheitspolitischen Kurs Deutschlands, die Hasenfüßigkeit und das Anbiedern im Umgang mit der NATO-Führungsmacht, die verfassungswidrige Knebelung der Garanten einer Parlamentsarmee mit der Vertrauensfrage, die Aufgabe einer Kultur der außen- und sicherheitspolitischen Zurückhaltung (bei gleichzeitiger Selbst-Demontage durch den unprofessionellen Gebrauch des Instruments Haushalt), die öffentlich verkündete uneingeschränkte Solidarität mit den USA, die stümperhafte und kindische Informationspolitik über den Einsatz deutscher Soldaten, das Hochstilisieren von Minidiktatoren zu Politmonstern jenseits von Hitler und Stalin, die Marginalisierung des größten Verbrechens der Geschichte zu Legitimationszwecken (Stichwort: Kosovo-Krieg) - all das ist ja nicht etwa Ausdruck eines beginnenden neuen deutschen Imperialismus, der nach langer Durststrecke nun nach Stoßrichtung und Mitteln sucht. Mit einer solchen Deutung würde man den handelnden Personen zu viel der Ehre antun. Dazu reicht ihr Format wohl nicht aus, die Dinge sind viel banaler. Wir haben es mit einer Generation zu tun, die den Krieg nicht aus eigenem Erleben kennt und daher allzu leichtfertig mit dem größer gewordenen Handlungsspielraum auf der Weltbühne umgeht, wie Helmut Schmidt vor einem guten Jahr treffend anmerkte. Es muss daran erinnert werden, dass die Kritik an der deutschen Rolle im Jugoslawienkrieg aus dem eher konservativen Lager und im wesentlichen von der Generation jenseits der 60 kam. Und noch etwas darf als entscheidender Umstand nicht vergessen werden. Die ehemaligen Jusos, Friedensbewegten, Wehrdienstverweigerer und Pazifisten, die uns heute regieren oder in den Koalitionsfraktionen den sicherheitspolitischen Kurs der Bundesregierung als Gegenleistung für erhaltene Ämter parlamentarisch absichern, machten bis zum Herbst 1998 intellektuell und ideologisch stets einen großen Bogen um alles, was nach 1945 bis weit in die siebziger Jahre hinein die einzige Chance war, einen Dritten Weltkrieg zu verhindern: die gegenseitig verabredete - und akzeptierte - militärische Abschreckung. So waren sicherheitspolitische Fragen für diese Klientel stets mit einem Hautgout behaftet. Statt dessen baute man wunderschöne, jedoch unpolitische Wolkenkuckucksheime, sonnte sich in seiner vermeintlichen moralischen Überlegenheit, gab sich dem Dünkel hin, dem besseren Teil der Menschheit anzugehören und war doch eher Dilettant. Die Hybris, sich vor der Übernahme von Regierungsverantwortung mit Grundfragen der Außen- und Sicherheitspolitik nicht angemessen auseinandergesetzt und für das Linsengericht einer Wahlkampfunterstützung durch den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton leichtfertig Zusagen gemacht zu haben (von der Aufnahme der Türkei in die EU bis zum Krieg gegen Jugoslawien ohne UN-Mandat), musste von den Göttern abgestraft werden, als das rot-grüne "Projekt" sein Regierungsmandat erhielt. Die Götter hatten - der Mythologie gemäß - gar keine andere Wahl. Und so kam es, wie es kommen musste. Noch nicht einmal richtig im Amt, wurden den Sozialdemokraten unter massivem Druck der USA, unterstützt vom Verteidigungsminister der abgewählten Bundesregierung und hochrangigen Uniformträgern, die sich für alle Fälle des Wohlwollens der westlichen Vormacht versichern wollten, Entscheidungen abverlangt, denen sie - in der Falle eigener Versäumnisse sitzend - keinen Widerstand entgegensetzen konnten. Für die grünen Pazifisten und Vorkämpfer der kurdischen Sache dachten sich die Götter eine besonders masochistische Spielart der Buße aus. Ihr künftiger Außenminister, der sich für das ersehnte Amt jahrelang gegen seine Natur mit Mineralwasser und Dauerläufen kasteit hatte, wurde dazu auserkoren, den Büttel für die eigene Partei zu spielen. Er durfte ihr den in schleichende Agonie führenden Sturz aus der moralischen Überhöhung versüßen, indem er sie an der Strahlkraft einer glanzvollen Karriere huldvoll teilhaben ließ. Seit jenen Tagen hangelt sich diese Regierung von Auslandseinsatz zu Auslandseinsatz, konzeptionslos, schwankend zwischen Überheblichkeit, Selbstgerechtigkeit und rigorosem moralischen Anspruch einerseits sowie vergeblichen Versuchen, sich aus dem fernen Echo früherer Tage für die praktische Politik Handlungsansätze zu erschließen. Als wäre das alles nicht schon peinlich genug für ein Land wie die Bundesrepublik, die sich nach 1945 erkennbar und weltweit Anerkennung für eine Politik der Verständigung erworben hatte, wird das Politikfeld, auf dem es um Krieg oder Frieden geht, auch noch von Personen bestimmt, die unter schwersten und längst nicht verheilten Kränkungen leiden und sich gegenseitig zutiefst misstrauen. Ich denke an Politiker wie Rudolf Scharping, die Amt und Institutionen vorrangig als Medium persönlicher Profilierung nutzen und selbst vor massiven Täuschungen der Öffentlichkeit dort nicht zurückschrecken, wo die Sache absolute Wahrhaftigkeit verlangt. So werden Ämter nach Wolfsgesetzen vergeben, Hufeisenpläne aus der Tasche gezaubert, wird Journalisten mit dem Kadi gedroht, lässt der Kanzler den getreuen Eichel dem strampelnden Scharping den Geldhahn zudrehen, ohne sich an Zusagen gegenüber den Alliierten zu stören. So schiebt ein Kanzlerberater (Steiner) aus Eitelkeit und Unfähigkeit eigene Torheiten einem honorigen Botschafter in die Schuhe, legitimieren Minister ihr Handeln vor Parlament und Öffentlichkeit mit Informationen, die im Totalwiderspruch zu den Dokumenten ihrer Häuser stehen. Dass die Richtlinien der Politik von einem Mann bestimmt werden, der über keine erkennbare Grundüberzeugung außer der Freude am Machterhalt verfügt, erklärt, warum professionelle Politikberatung unter diesen Bedingungen einen schweren Stand hat. Originalton Schröder 1999: "Ich hab doch den Steiner". Und so ist dann eben Politik: stets und ausschließlich auf die vermeintliche Tagesform des Wählers zugeschnitten - sprunghaft, unzuverlässig, machtbewusst, beratungsresistent. In den von der westlichen Hegemonialmacht entfachten Stürmen als Kapitän Kurs zu halten, ist per se kein leichtes Unterfangen, da sollte sich niemand täuschen. Ohne eine klare Vorstellung von Ziel und Mitteln der Außenpolitik, ohne eine, ja, Vision von Deutschlands Rolle und Stellung in der Welt ist aber ein Scheitern programmiert. Diese Debatte muss in unserem Land erst noch geführt werden. Nicht in Hinterzimmern und Kungelrunden, sondern öffentlich und unter Teilhabe aller politisch und gesellschaftlich relevanten Gruppen und der Bevölkerung, die schließlich die Folgen von Fehlentscheidungen - im Gegensatz zu den Politikern - tatsächlich zu tragen hat. Ob dieser Kanzler das jemals begreift, ist zu bezweifeln. Auf die Versäumnisse der Bundesregierung hingewiesen zu haben, ist das Verdienst derjenigen, die als erste betroffen sind. Der Autor war bis März 2000 Luftwaffenoffizier der Bundeswehr, zuletzt sechs Jahre auf der Bonner Hardthöhe im Verteidigungsministerin tätig.
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