Es ist eine allgemein akzeptierte Wahrheit, dass es immer schon Geschichten mit tödlichem Ausgang gab und dass ihre Verfasser oftmals mehr zur Verschleierung von Schuldfrage und Tathergang als zur Aufklärung beigetragen haben. Denken wir nur an den Fall des beruflich gescheiterten und unglücklich verliebten jungen W., den man uns seit fast 250 Jahren als Suizid mit „geliehenen Pistolen“ verkaufen will. Daran lassen der künstlich aufgeputzte Tatort (auf dem Tisch liegt eine Mordgeschichte!) wie auch die dubiose Rolle des einzigen Zeugen und Berichterstatters, eines gewissen G. aus Frankfurt, doch erheblich zweifeln.
Andererseits hören viele Romane genau dort auf, wo das Eheglück beginnen soll – vermutlich mit guten Gründen. So auch der bekannteste aus der Feder der überaus klugen und sympathischen Pfarrerstochter Jane Austen, in dem ein reicher, aber allzu stolzer englischer Landherr und eine sehr ansehnliche und gebildete, wenn auch etwas voreingenommene junge Dame aus bescheidenen Verhältnissen ihre kleinen Charakterfehler und Standesunterschiede erst einmal kommunikativ, ja geradezu gesprächsanalytisch durcharbeiten müssen, bis sie schließlich zueinander finden dürfen. Glückliches Britannien, wo Stolz und Vorurteil (Pride and Prejudice, 1813) ungefähr so ein Klassiker war und ist wie bei uns Die Leiden des jungen Werthers.
Wer aber jahrzehntelang in der Krankenhausverwaltung und im Innenministerium zu London gearbeitet hat und sogar für Belange der Kripo zuständig war wie Phyllis Dorothy James, geboren 1920, hat nicht nur alle düsteren Seiten des englischen Sozialstaates, sondern der menschlichen Natur überhaupt gründlich kennen gelernt. So verwundert es kaum, dass sie auch dem unerzählten Familienglück auf Pemberley, dem ebenso stolzen wie fiktiven Landschloss in Hertfordshire nördlich von London, nicht so ganz traut und eine eigene Ermittlung, anders gesagt: eine Fortsetzung des Romans in die Wege leitet.
Fachlich qualifiziert ist sie dafür gewiss. Fast zwanzig Kriminalromane und einige andere Bücher haben ihr eine weltweite Leserschaft, den Ehrentitel einer letzten „Queen of Crime“ und den Adelstitel als „Baroness of Holland Park“ nebst Sitz im Oberhaus eingebracht, wo sie sich den Torys zugesellt. Das macht insofern Sinn, als sie tatsächlich den längst aus der Zeit gefallenen englischen Rätselkrimi à la Agatha Christie durch Modernisierung der Oberfläche, Vertiefung der sozialen Umstände sowie der persönlichen Beziehungen ihrer Figuren bis ins 21. Jahrhundert gerettet hat.
Zwischen Herrenhaus und Pub
Doch zurück nach Pemberley! Da blüht also und gedeiht nun seit sechs Jahren das Familienglück, Mr. Darcy und Elizabeth lieben sich innig, treues Personal putzt das Silber wie eh und je und bereitet gerade den großen Ball im Oktober vor, für die bessere Gesellschaft im weiten Umkreis das Highlight des Jahres. Doch mit Lydia, der flippigen jüngeren Schwester der Schlossherrin und Leutnant George Wickham, der sie zunächst verführt und dann notgedrungen geheiratet hat, zieht das Unheil auf Pemberley ein. Schon kurz nach ihrer Ankunft wird der Leichnam von Captain Denny, nach einem Streit mit Wickham und mit klaffender Schädelwunde, ausgerechnet in dem Wäldchen aufgefunden, das Pemberley vom Cottage des obersten Silberputzers trennt.
Nun wissen ja alle Liebhaber des Genres, dass sich der traditionelle englische Detektivroman weitgehend im topographischen Viereck von Herrenhaus und Cottage, Vicarage und Pub entfaltet. Seit jeher übt die Verbindung von ländlicher Idylle und blutiger Gewalttat ihren eigenen Reiz aus; und auch wenn die avancierte Kriminalliteratur heute ganz andere Wege geht, kann man sich immer noch am cosy crime erfreuen, das ja auch in Fernsehserien wie Inspector Barnaby Triumphe feiert und in deutscher Variante sogar in unserem Vorabendprogramm Fuß gefasst hat: Eifel statt Oxfordshire!
Historisch kostümiert
Eine deutsche Kennerin des Genres, Luise Berg-Ehlers, führt uns diese Traditionslinie gerade jetzt in ihrem ebenso klugen wie ansprechenden Band Mit Miss Marple aufs Land vor Augen, den man als anekdotische Geschichte des country crime wie auch als Führer durch die (süd-)englischen Krimi-Landschaften lesen kann und den die Verfasserin selbst mit stimmungsvollen Fotos angereichert hat. Auch dass P. D. James neben ihrem Stadthaus in Kensington ein Landhaus in Suffolk besitzt, erfahren wir da. Oder wo die alte Dame sich für ihren Austen-Krimi inspirieren ließ.
Jedenfalls fabriziert P.D. James, historisch kostümiert, einen Whodunit nach allen Regeln ihrer Kunst. Da wollen wir jetzt nicht in die Einzelheiten gehen. Es sei nur gesagt, dass Wickham natürlich nicht der Täter war, sich aber in vielerlei Weise schuldig gemacht hat. Zwei andere, die Schuld auf sich geladen haben, für die wir aber doch auch Mitgefühl empfinden, werden direkt der göttlichen Gerechtigkeit zugeführt. Da ist die Baroness ein bisschen ins Genre ihres zweiten Lieblingsschriftstellers Charles Dickens hinübergeglitten. Der Autorin selbst hat das Schreiben sicher großes Vergnügen gemacht. Sie betont es auch, ebenso wie ihre lebenslange Bewunderung für Jane Austen, im englischen Nachwort, das der Droemer-Verlag seinen Lesern offenbar nicht zugetraut hat. Schade eigentlich.
Unsere Freundin aus Canterbury findet das Englisch etwas manieriert, wir selber fanden das Deutsch etwas hölzern. Es war wohl ein besonders subtiles Problem für die Übersetzerin: Sie musste ja James’ Annäherung an Austen genauso deutlich machen wie ihre Distanz dazu. Ein Lesevergnügen in Grenzen also, aber interessant war es doch. Und im Vorgriff auf den 93. Geburtstag in diesem Sommer erlauben wir uns schon mal ein herzliches „Happy Birthday, Baroness!“
Der Tod kommt nach Pemberley P. D. James Michaela Grabinger (Übers.), Droemer 2013, 383 S., 19,99 €.
Mit Miss Marple aufs Land Luise Berg-Ehlers Elisabeth Sandmann Verlag 2013, 134 S., zahlreiche Abbildungen, 19,95€
Jochen Vogt trägt den Adelstitel krimivogt
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