All The Girls Are Complicated

Ton & Text Zu Recht Prinzessin der Herzen und ganz vorn im aktuellen Aufmerksamkeitsraster der Indie-Szene: Courtney Barnetts „Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit“

„Authentisch“ sei das, sagt man gern in weniger popkulturkritischen Kreisen, wenn Songs irgendwie nah dran sind am echten Leben, an echten Gefühlen, an echten Erlebnissen. Und, weil man dafür vorzugsweise eine Gitarre benutzt, jenes Ur-Instrument der Popmusik, das aller technologischen Entwicklung trotzt und für dessen halbwegs vorzeigbaren Gebrauch man immer noch jahrelang Blut, Schweiß und Tränen vergießen muss. Wer sich die letzten zwei, drei Jahre im Independent umgehört hat, wird auf diese Authentizitäts-Versicherung dauernd gestoßen. Es sind dort mal wieder gute Zeiten für klassische Songs, für Gitarren, für staubige Rauheit und – aber wann ist das eigentlich nicht so? – offensiv ausgestellten Herzschmerz. Das ist selbstverständlich dem grundlegend zyklischen Charakter der Popmusik geschuldet und überrascht an sich wenig. Interessant ist im Moment allerdings der genauere Bick auf den Trend: Es sind vor allem junge, selbstbewusste Frauen, die Freud und Leid in bemerkenswerter Anmutung und Qualität auf Bühne und Tonträger bringen.

„All the girls are complicated / All the girls will work you hard / And they break their hearts / It's just who they are“ singt Laura Cantrell und wenn sie außerhalb der Alt-Country-Szene nur ein wenig bekannter wäre, könnte das die Hymne dieser neuen Generation Singer/Songwriterinnen sein. Zu denen gehört Cantrell ebenso wie die fast schon auf Breitwand-Pop zielende Haley Bonar, die sich als Postpunk-Chanteuse gebende Lydia Loveless oder die schon seit einiger Zeit als angehende Indierock-Ikone gehandelte Sharon van Etten.

Die unangefochtene Prinzessin der Herzen all jener, die überhaupt als Zielgruppe solcher Musik und Befindlichkeit in Frage kommen, ist aber ganz ohne Zweifel Courtney Barnett. In mehr oder weniger Nullkommanix, also in anderthalb Jahren und mit zwei EPs, hat sich die Australierin zur am heißesten geliebten Newcomerin der weltweiten Indie-Gemeinde gemausert, fast schon kultisch verehrt und begleitet von einer schier beispiellosen Aufmerksamkeit durch die weltweiten Leitmedien der seriösen Popberichterstattung.

Courtney Barnett ist schon deshalb das perfekte Role-Model der Szene, weil sie noch einen Deut mehr als die anderen genau die Frau ist, die Mädchen und Jungen gleichermaßen zur Freundin haben wollen. Klug und hübsch, mit großen Augen, sensibel und – wenn sie will – mit Schmollmund, aber eben auch Kumpel, mit strubbeligen Haaren in Hemd und Jeans. Und mit dieser betörend lässigen Stimme, die nie ganz rein ist, immer ein wenig brüchig und verhangen wirkt, ohne an der Melodie endgültig zu scheitern. Nicht auseinanderzuhalten ist an ihren Songs, was introvertiert oder großmäulig wirkt, das Private ist öffentlich und umgedreht, die kleinen Dinge bestimmen die großen bestimmen die kleinen … Es geht um das ungemähte Gras im Vorgarten, eine einsam-schlaflose Nacht in New York, die zurückgelassenen fremden Erinnerungen bei einer Hausbesichtigung oder einfach nur darum, dass Beziehungen eben eine verdammt komplizierte Sache sind.

„Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit“ heißt ihr dieser Tage erscheinendes Debütalbum und schon der Titel ist natürlich zum Niederknien in all seiner herausgestellt naiven Tiefsinnigkeit. Nützen würde das jedoch nichts, wenn Courtney Barnetts Songs nicht wirklich diesen Grad von Catchyness hätten, der sich nicht allein aus Melodie, Text, Instrumentierung herstellt, sondern bei dem Attitude und das vorgeprägte Bild im Kopf des Hörers etwas ergeben, das über die reine Summe der Einzelteile weit hinausgeht und eine selten zu erlebende Vertrautheit herstellt, als ob die Sängerin und ihre Songs schon seit Ewigkeiten gute Freunde wären. So entfaltet ein „Pedestrian At Best“, angelegt als eigentlich sehr simpler Rock-Kracher, seine enorme Hit-Mächtigkeit. Zumindest, wenn man ihn wirklich laut hört, was generell immer ein gutes Rezept für jedwede Popmusik ist, hier jedoch zum erklärten Grundkonsens zwischen Künstlerin und Publikum gehören muss.

Dazu passen denn auch die gelegentlichen Rockismus-Klischees, die Gniedelgitarren, die Haareschüttel-Momente, das balladeske Atemholen, bei dem in Stadien gern die Feuerzeuge strapaziert werden – eine Gefahr von der Courtney Barnett indes noch sehr weit entfernt scheint. Schon der gemeine deutsche Festivalbesucher wird in diesem Jahr nichts von alldem mitbekommen, selbst die sich selbst als „Alternative“ gebenden Events kommen hierzulande ja am liebsten ohne alles aus, was im Jahr eigentlich wirklich spannend und hörenswert ist und sowieso am liebsten ohne Frauen auf der Bühne. Das ist der Stand der Dinge in Indierock-Deutschland. Die Welt da draußen hat Courtney Barnett.

Courtney Barnett „Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit“; Marathon Artists/Rough Trade; ab 20.3.2015 erhältlich

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