„You wanna live like common people, you wanna see whatever common people see. … You wanna sleep with common people like me?“ Zu den „einfachen Leuten“ dürfte den dandyhaft daher tänzelnden Jarvis Cocker zwar schon damals kaum jemand gezählt haben. Aber einen lange nachklingenden Nerv haben er und seine Band Pulp mit „Common People“ perfekt getroffen. Soeben haben die Hörer der BBC den Song zur ewigen Britpop-Hymne gekürt.
Es ist eine recht willkürliche Terminsetzung, die sich die BBC soeben herausgenommen hat: 20 Jahre Britpop sollten gefeiert werden, ein Jubiläum, für das es nun wahrlich keinen Stichtag gibt. Pulps „Common People“ zum Beispiel wurde im Frühjahr 1995 veröffentlicht, erreichte „nur“ Platz zwei der UK-Charts und ist trotzdem einer jener gar nicht so wenigen Klassiker, an denen man das Phänomen „Britpop“ seitdem gern festmacht. Wer mag, kann das aber auch etwas wörtlicher nehmen: als Zeichen dafür, dass Britpop tatsächlich die Musik jener „common people“ ist, die im spöttischen Song nur das erstaunte Objekt von Armuts-Romantizismen der Upperclass abgeben.
Die BBC selbst ist mit ihrem Radio 1 alles andere als unbeteiligter, kritischer Beobachter der Britpop-Historie. Bis 1993 galt der zwar vormals als Jugendsender konzipierte zentrale Radiosender als hoffnungslos überaltert. Mit einem Wechsel in der Chefetage hielt allerdings auch der eiserne Besen Einkehr. „Keine alte Musik“ war die bald geltende Vorgabe; viele der mit dem Sender gealterten Stamm-Moderatoren verließen mehr oder weniger genötigt das Haus. Eine neue Identität wurde dringend gebraucht. Politisch erlebte Großbritannien gerade eine bleierne Zeit. Nach den brutalen Thatcher-Zeiten ging es vielen – oft: ehemaligen – Arbeitern schlecht, die Städte galten als marode. Premier John Major war nur noch wenig mehr als ein Sinnbild des Überdrusses an der konservativen Regierung, als der gerade 40-jährige Tony Blair Oppositionsführer wurde und seine Partei auf „New Labour“ trimmte. Der Wechsel war nur noch eine Frage der Zeit. Popkulturell waren gerade die ganz wilden Madchester-Zeiten vorbei, der Kater bei den Beteiligten noch groß, der Schock der Elterngeneration über die irrsinnig anmutenden, oft illegalen Warehouse-Raves mit ihrem exzessiven Drogengebrauch saß immer noch tief.
Eine neue Liga smarter Popbands kam da gerade richtig, schon deshalb, weil sie vergleichsweise brav auftraten und durchaus Nostalgie bedienten, ohne jedoch altbacken zu wirken. Das Besinnen auf die klassischen Traditionen der „British Invasion“ der Sechziger, der erneuerte Zugriff auf das von den Beatles, Who oder Kinks erschlossene melodische und lyrische Potenzial und deren immer präsente textliche Verknüpfung mit der realen Lebenswelt von Heranwachsenden passte wieder in die Zeiten. Dazu kam das offensive Selbstbewusstsein vieler Bands, deren freche Großmäuligkeit medial liebend gern aufgegriffen wurde. Unbestrittener Höhepunkt der Britpop-Ära war denn auch der 14. August 1995: Blur und Oasis veröffentlichten gleichzeitig „Country House“ und „Roll With It“, schoben mit dieser „Heavy Weight Championship“ ein Medienspektakel an, das selbst für britische Verhältnisse beispiellos war, und ließen überhaupt keinen Zweifel daran zu, dass ihnen die ersten beiden Chartplätze zustehen würden. („Top Dogs! Blur beat Oasis by a nose!“ titelte der New Musical Express eine Woche später.)
Britische Popmusik ist spätestens seitdem ein für allemal im öffentlichen Bewusstsein der Insel verankert – ein Alleinstellungsmerkmal, das jene Kontinentaleuropäer am meisten fasziniert, die selbst an einem dramatischen Manko von popkultureller Durchdringung und Weltgeltung leiden – also Deutsche. (Der passende historische Treppenwitz: Sogar der nahezu einzige originäre Beitrag der deutschen Popkultur zum Weltpopmusikkanon – nämlich Krautrock – wird vor allem in Großbritannien gewürdigt.)
In der Folge kam es, wie es kommen musste und wie es noch jedem relevanten musikalischen Trend ging: Die Umarmung von allen Seiten wurde schier erdrückend. Innerhalb weniger Jahre verschliss sich Britpop auf den unablässig nach Sensationen verkündenden Titelseiten der andernorts unerreicht vielen Musikmagazine.
Die Helden der ersten Stunde leisteten sich deutlich weniger brillante Folgealben, suchten ihr künstlerisches Heil in experimentelleren Sounds oder ließen sich gleich ganz gehen, so wie Oasis, die es schafften, ihr damals noch enorm prestigeträchtiges und für den US-Markt wichtiges MTV Unplugged ohne Frontmann Liam Gallagher zu bestreiten, der sich auf der Bühne auch mal mit seinem Bruder Noel prügelte. Der wiederum war sich nicht zu blöde, einer Einladung des inzwischen gewählten Tony Blair in die Downing Street Folge zu leisten, nur um sich kurz darauf von ihm öffentlich entfreunden zu lassen – wegen einer dämlichen Bemerkung. Von denen gibt es unzählige der Gallaghers zu allen möglichen Dingen, vor allem aber zu ihrem Thema Nummer eins: den Gallaghers; diesmal ging es allerdings um Drogen. Überhaupt: gerade die schon im Namen manifestierte nationalistische Anfälligkeit und der im Lichte New Labours als staatstragend wahrgenommene Status ist ebenso ein Makel der reinen Lehre, wie der Rip off des musikalisch notgedrungen immer weniger homogenen Genres als völlig beliebig eingesetzter Marketingbegriff der Musikindustrie.
Immerhin klingen die vielen guten der zwanzig Jahre alten Hits immer noch recht frisch – da lohnen sich der Traditionalismus und die melodischen Tugenden auch auf lange Sicht. Natürlich ist Britpop heute aber vor allem ein beliebtes Spielfeld für Nostalgiker. Der BBC-Programmschwerpunkt fand sich denn auch nicht beim immer noch jugendlich ausgerichteten Radio 1, sondern bei Radio 6, der Welle für die immer noch Popmusik-infizierte Elterngeneration. Dort moderieren nicht nur einige der wichtigen Radio-DJs des damaligen Hypes. Jarvis Cockers exquisiter „Sunday Service“ gehört zu den ausgemachten Highlights des Programms. Von den umfangreichen aktuellen Britpop-Features hat er indes wenig. Seine Sendung pausiert gerade.
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