Es ist eine tolle Szene: Die Munchkins feiern den Tod der Bösen Hexe, erschlagen vom Haus, in dem Dorothy – Judy Garland in ihrer wohl berühmtesten Rolle – aus Kansas ins Zauberland geweht wurde. Seit diesem Montag erfreuen sich die diversen YouTube-Clips der überbordenden Szene des berühmten Musical-Films von 1939 außerordentlicher Beliebtheit. Und wer wissen will, wie die Stimmung nach Maggie Thatchers Tod ist, kann sich in den explodierenden Kommentar-Seiten einige prägende Eindrücke verschaffen.
Klaus Nomi, der exzentrische Underground-Sänger war es wohl, der „The wicked witch is dead“ in Richtung Margaret Thatcher umdeutete, aufgegriffen und sehr viel populärer wurde das prägende „Ding-Dong!“ dann allerdings durch die Britpop-Band Hefner. John Peel spielte sie seinerzeit recht häufig, in Erinnerung geblieben sind sie indes vor allem durch ihr „The Day That Thatcher Dies“, das im Jahr 2000 auf den Punkt brachte, was man dieser Tage allenthalben spürt: „Even though we know it's not right, we will dance and sing all night“.
Das Verhältnis der britischen Popkultur zu Margaret Thatcher auf einen Punkt zu bringen, ist sehr einfach: Hass. Tiefgreifender, ehrlicher, unverbrüchlicher Hass. Es dürfte keinen Politiker der westlichen Welt geben, der so oft und innig geschmäht wurde wie Thatcher. Dass sie bitte möglichst schnell sterben sollte, war dabei nicht Ausnahmewunsch, sondern Standardfloskel. Unschwer lässt sich die bis heute vergleichsweise starke Politisierung der Popmusikszene der Insel auf die Zeit der Thatcher-Regierung zurückführen. Schon in den frühen Siebzigern, als Kultur- und Wissenschaftsministerin, war sie ein erstklassiges Feindbild; „milk snatcher“ war ihr hässlicher Spitzname, seit sie die kostenlose Milchausgabe in englischen Grundschulen abschaffte. Zehn Jahre später hatte sie mit dem Falkland-Krieg einen der sinnlosesten bewaffneten Konflikte der Neuzeit forciert, bis heute gilt ihre Regierungszeit als Lehrbeispiel für das Prinzip der neoliberalen Kälte, als Blütezeit von gesellschaftlicher Entsolidarisierung und der Diktatur der Reichen unter dem Deckmantel der permanent beschworenen Freiheit. Kurz: als alles, was prinzipiell eher linke Musiker verachten müssen.
Schlechte Zeiten seien immer auch gute Zeiten für Popmusik, so lautet eine der grundlegenden vieldiskutierten Hypothesen zum Thema Popkultur. Auch das wurzelt vor allem in den Erfahrungen der Thatcher-Ära. Der soziale Kahlschlag, den Großbritannien in den Achtzigern erlebte, ging einher mit einem enormen kulturellen Aufruhr, der allerdings auch die inneren Widersprüche der Popkultur an sich offenbarte. Der hemmungslose Hedonismus der „Popper“ – das popkulturelle Spiegelbild des Reichtum-Kultes der Neoliberalen – war für viele proletarisch und durch Punk geprägte Musiker schwer erträglich. Dass gerade diese Musik auf lange Zeit die Charts dominierte, ist bis heute ein Splitter im Traditionsbewusstsein der britischen Popmusik-Szene. Auch das soziokulturelle Konzept der „schrumpfenden Städte“ basiert auf den Erfahrungen aus England. Dass Manchester für einige Jahre zur wichtigsten Musikstadt der Welt wurde, lässt sich von der dramatischen Massenverarmung vieler ehemaliger Industriearbeiter nicht trennen. Ebenfalls bis heute nachspürbar: das radikale Vorgehen gegen starke Gewerkschaften, erbarmungslos durchexerziert während der oftmals brutalen Niederschlagung des legendären einjährigen Bergarbeiterstreiks 84/85.
Ob The Specials „Ghost Town“, Pink Floyds „The Final Cut“-Album, das komplette Frühwerk Billy Braggs – viele Klassiker der britischen Popmusik sind ohne das Wissen um den Thatcher-Background nicht deutbar. Es war vor allem die damals als aggressives Kampfmittel eingesetzte emotionale Kälte der Politik, die Musiker in Scharen auf die Palme trieb und dafür sorgte, dass die britische Protestsong-Kultur viel stärker als anderswo auf die Person an der Spitze gerichtet war. „Margaret on the Guillotine“ forderte 1988 Morrissey auf seinem Solodebüt, das passenderweise „Viva Hate“ benannt war. Auch der sonst eher als Feingeist geltende Elvis Costello bevorzugte 1989 die explizite Wortwahl: „Because there’s one thing I know, I’d like to live long enough to savour, that’s when they finally put you in the ground, I’ll stand on your grave and tramp the dirt down“. Ganz vorn dran waren natürlich auch die Anarcho-Politpopper Chumbawamba: „The glorious day“ nannten sie 2009 den heiß erwarteten Todestag der Iron Lady. Fünf Pfund kostete ihre bis heute ungehörte Margaret-Thatcher-EP damals – sie müsste im Moment gerade an ihre Käufer ausgeliefert werden, so war der Deal.
Kein Vergeben, kein Vergessen – so lässt sich der Meinungs-Konsens links unten der offiziösen Beileids-Bekundungen einfach zusammenfassen. Selbst Billy Bragg – als „Red Wedge“-Mitbegründer zentrale Person des kulturellen Thatcher-Widerstands und heute einer jener immer noch hoch angesehen Ehren-Linken, deren Wort Gewicht haben – musste ob seines fast schon diplomatischen Facebook-Statements sehr schnell zur Kenntnis nehmen, dass Versöhnung auch angesichts des fast schon angekündigten Todes der Erzfeindin keine oft gewählte Option ist. Es ist die Zeit für: „The wicked witch is dead“. Und „Tramp the dirt down“.
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