Nicht weniger als vier Mal hat er seinen Hit gespielt, bei einem einzigen Auftritt wohlgemerkt. Gerade sind in Stuttgart die HipHop Open über die Bühne gegangen und wer sich auch nur ein klitzekleines bisschen in der Geschichte des deutschen HipHop auskennt, weiß natürlich, dass Stuttgart seit den Frühzeiten von Deutschrap zu dessen Hochburgen zählt – schon (aber nicht nur), weil hier die Fanta Vier ihre Infrastruktur aus Label und Booking-Agentur aufgebaut haben. Vier mal also erzählt Haftbefehl, dass „die Chabos wissen, wer der Babo ist“. Man müsste diesen Song außerhalb der HipHop-Szene eigentlich nicht unbedingt kennen oder den deutsch-türkischen Rapper, der mit ihm denn doch einigermaßen berühmt geworden ist.
Aber „Babo“ ist zum „Jugendwort des Jahres 2013“ bestimmt worden und inzwischen weiß man gar nicht mehr so genau, wer da mehr profitiert: die immer etwas bemüht wirkende Jury mit ihrer nicht selten peinlich anbiedernden Sprachkür oder der Rapper, der – so macht man das halt, wenn man im HipHop etwas auf sich hält – für das nächste Jahr ein Buch und einen Film angekündigt und soeben eine eigene Modelinie vorgestellt hat. Interessant an der ist wiederum eher nicht das – mit Verlaub – grauenhafte Design, sondern wer das Shirt in die Kamera hält. Casper zählt zu den ganz großen Gewinnern der deutschen Musikszene der letzten Jahre und ist bei Leuten, die gemeinhin Haftbefehl und Co. hören – dezent formuliert – nicht besonders beliebt. Zu weich, zu lieb, zu intellektuell und sowieso kein echter Rapper. Und irgendwie haben sie damit sogar Recht. Zu verdanken haben sie ihm trotzdem nicht viel weniger als den aktuellen Höhenflug des deutschen HipHop.
Chemnitz war noch nie so wirklich ein Brennpunkt des deutschen HipHop, mit seiner kleinen aber regen Szene vor gut anderthalb Jahrzehnten eher so eine Art Ost-Geheimtipp. Damals waren die Zeiten gut für HipHop, seine weltweite Popkultur-Dominanz hatte richtig Fahrt aufgenommen. So viel Fahrt, dass sogar die cleveren Chemnitzer mit ihrem ganz klein gestarteten Splash! Festival im Handumdrehen zur ersten Szene-Adresse im Land werden konnten. Das ging nicht ewig gut, zwei Regenjahre und eine allgemeine HipHop-Müdigkeit sorgten irgendwann für die Insolvenz und fast das Ende. Heute, zwei Umzüge und einige Jahre später, findet die 17. Auflage des Splash! statt und erfolgreicher war es noch nie. Und auch deutscher HipHop selbst ist gerade mal wieder schwer angesagt. Womit, das lässt sich auf dem Splash!, das immer ein ziemlich genaues Barometer für die Lage von HipHop in Deutschland war, genauestens beobachten.
Letztes Jahr waren Marteria und Casper hier. Der sorgte allein mit seiner Ankündigung, es gäbe bald ein neues Album von ihm, für Vorbestellungshysterie – noch während er auf der Bühne stand. Vor zwei Jahren wurden Kraftklub abgefeiert, deren Auftritt sicher auch den ganz kurzen Drähten in der heimatlichen K-Stadt zu verdanken ist. Und in diesem Jahr ist es Cro, der ganz oben auf dem Plakat steht. Artists sind das, die mit klassischem HipHop nur wenig, viel dagegen mit studentisch eingefärbtem Gelegenheits-„Indie“-Publikum zu tun haben und die „Rap“ mehr oder weniger nur als Stilmittel benutzen. HipHop selbst hat das allerdings eine Menge Zulauf und Diskussionsstoff gebracht, das lässt sich beim Splash! wie unter dem Brennglas begutachten. Denn nicht nur der Run aus dem Mainstream-Hype sorgt für Aufschwung, die Distanzierung davon ebenso.
Lange war Aggro – die ganz besonders deutsche Ausprägung des ursprünglichen Gangsta-Styles – praktisch komplett abgemeldet, die Stimmung über Jahre hinweg schlecht. Jetzt schafft es aller paar Wochen wieder ein Album in die Top Ten, dessen Interpreten man außerhalb eines vorwiegend sehr jungmännlichen Publikums gar nicht mehr kennenlernen muss. Schon, weil sie tatsächlich im Wochenrhythmus kommen und gehen. Aber vor allem, weil viel von ihrem Material musikalisch beim besten Willen kaum mehr als Durchlaufschrott mit billigen Beats und wenigen guten Ideen ist. Klar, dass die Texte oft mit äußerst drögen Gewalt- und Porno-Teenagerfantasien aufgeladenen sind und ein Maß an Homophobie und Sexismus aufweisen, das heutzutage in allen anderen Bereichen öffentlich akzeptierter Kultur undenkbar ist. Aber – und so ist das mit Jugendkulturen nun mal – es ist eine prima Abgrenzung zu all den beliebig anmutenden Pennäler-und-Jammerlappen-Lyrics à la Cro oder Casper.
HipHop geht es also wieder richtig gut, zumindest, wenn man den Maßstab der letzten zehn Jahre anlegt. Das haben inzwischen viele der Früh-Protagonisten des Deutschrap mitbekommen. Außerdem sind die Zeiten eh nach Reunions, nicht nur im HipHop, schließlich lassen sich heute von Altstars Gagen aufrufen, die früher undenkbar waren. Unterwegs und beim Splash! sind also Leute wie Afrob oder Fünf Sterne Deluxe. So gut geht es HipHop sogar, dass gerade die gebrannten Kinder schon wieder mahnend den Finger heben: „Hält der Erfolg von Deutschrap?“ fragt auf dem Festival eine Diskussionsrunde. Um die Erfolgs-Blase und deren schon mindestens zwei Mal erlebtes Platzen geht es, um den immer noch gültigen Zwiespalt zwischen Underground und Major. Oder um die beim Splash! überdeutliche Injektion von „Indie“, von der man immer noch nicht genau weiß, ob sie für den deutschen HipHop belebend oder tödlich ist. Die generelle Antwort auf die noch nicht gestellten Fragen steht allerdings schon fest. Und im Titel der Veranstaltung: „Don’t believe the hype.“
Splash! Festival: 10. bis 13. Juli 2014, Ferropolis bei Gräfenhainichen
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