Am Ende ging es dann plötzlich ganz schnell. Innerhalb von elf Tagen wurde in diesem Monat klar Schiff gemacht: Die GEMA einigte sich mit den Anbietern über neue Tarife für das Streamen von Musik im Abo und gegen Werbung, erlaubte eine Verlängerung der Vorhörzeit in Onlineshops auf gleich das Dreifache und räumte überdies mit einer „Experimentalvereinbarung“ den Weg für den aus bisher konventioneller Sicht einigermaßen spektakulär anmutenden iTunes Match-Dienst von Apple frei. Und so wurde 2011 etwas unversehens auch in Deutschland noch zu einem Jahr, das in mehrerer Hinsicht als eines der Zeitenwende in Sachen „Musik per Internet“ angesehen werden kann.
Das betrifft natürlich zuallererst auch die GEMA selbst. Noch nie war die Verwertungsgesellschaft für musikalische Urheberrechte so sehr im Blick einer zunehmend aufgebrachten Öffentlichkeit. Anlässe gab es zuhauf, selbstverständlich ging es immer um Gebühren, ob für Straßenfestbeschallung, das Absingen von Liedern im Kindergarten oder um – alles andere als neu – die Heraufbeschwörung steigender Ticketpreise wegen erhöhter Tarife für Konzerte durch den Dachverband der Veranstalter. Viel wirksamer war allerdings die Quasi-Erpressungspolitik, die Google mit seinem Videoportal YouTube seit dem Sommer präsentierte. Unmengen gesperrter Videos wurden einfach mit einem Hinweis auf die GEMA versehen. Seitdem hat die GEMA buchstäblich alle Hände voll zu tun, diesen Vorwurf zu entkräften, womit sie zwar nicht gänzlich Unrecht hat, was aber einem Kampf gegen Windmühlen nahe kommt.
Raus aus der Kriminellen-Ecke
Irgendwann wurde es sogar der Musikindustrie zu bunt, die Chefs der beiden größten Plattenfirmen – Universal und Sony – rüffelten die Blockadepolitik der GEMA in Hinsicht auf Musikdienste im Internet, die auch den Musikkonzernen potenzielle Einnahmen verhagelte. Einnahmen, die natürlich auch der GEMA selbst – also ihren Mitgliedern – entgingen; gerade mal 1,5 Prozent der 860 Millionen Euro stammten 2010 aus dem Online-Bereich, international hinkt Deutschland da weit hinterher. Auch die interne – oft als undemokratisch angesehene – Verfasstheit der GEMA und die Verteilung der Einnahmen zu Gunsten der Großen der Branche geraten immer mehr in die Kritik. Die Einigungen zum Jahresende sind nach diesem imagetechnisch katastrophalen Jahr zumindest eine Art Lichtblick, dass sogar die GEMA zur Einsicht in die Notwendigkeit fähig ist, auch wenn das den YouTube-Verdrossenen erstmal noch nicht hilft. Notwendig – das ist der allgemeine Konsens – sind niedrigschwellige legale Angebote für Musikhörer, die wenigstens prinzipiell konkurrenzfähig zu illegalen sind und den Nutzer somit wieder aus der Kriminellen-Ecke holen, in der er über die erste Ära des Internets immer wieder gern gestellt wurde. Die Wildwest-Internet-Zeiten jedenfalls scheinen für Musik bald endgültig vorbei.
Apples iTunes Match ist es vielleicht, das den Sprung ins normativ geregelte Musik-Internet am augenfälligsten macht. Der Dienst ist nämlich nicht nur ein bequemer Service zum Abgleich seiner Musik auf verschiedenen Endgeräten per „Cloud“, sondern funktioniert praktisch vor allem auch als Legalisierungsprogramm für ganze Musiksammlungen auf Festplatte. Für 25 Euro gleicht Match die eigenen Songs mit der Apple-Musikdatenbank ab, alle dort vorhandenen Songs werden nicht nur anderen Geräten des gleichen Inhabers automatisch zur Verfügung gestellt, alte Songs geringer Qualität werden auf Wunsch auch auf eine bessere Qualität upgegradet. Wie die Songs auf der Festplatte gelandet sind – gekauft, von CD gerippt oder irgendwo illegal heruntergeladen –, ist dem System dabei egal. Dieser egalisierende und legalisierende Umgang mit den Tracks der User ist das deutlichste Zeichen des beginnenden Umdenkens im Musikbusiness. Musik wird in Zukunft mehrheitlich – so die derzeitige Konsens-Prognose – zunehmend nur noch nach Bedarf „genutzt“ und immer weniger „besessen“.
Streamingdienste erfüllen dieses Bedürfnis. „Unbegrenzter Musikgenuss, sofort!“ heißt es folgerichtig auf der Startseite von Deezer, einem der Dienste, die – wie Juke oder rara.com – schon in den Startlöchern standen, nach der Einigung mit der GEMA ratzfatz verfügbar sind und dem bisher nahezu konkurrenzlosen Simfy (die Kölner hatten mit der GEMA einen Vorabdeal ausgehandelt) Konkurrenz machen. Auch Spotify, der schon 2009 in Schweden gestartete Dienst gilt derzeit als Klassenprimus, wird wohl in Kürze auch in Deutschland verfügbar sein. Da jetzt mit den GEMA-Tarifen die wichtigsten Rahmenbedingungen abgesteckt sind, können die Firmen kalkulieren, befinden sich in einem Wettbewerb mit vergleichbaren Konditionen für alle.
Die Furcht vor dem Null-Tarif
Perspektivisch wird diese neue Angebotsvielfalt einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie wir Musik konsumieren. Dabei nähern sich die legalen denen der bisherigen illegalen Optionen weitestgehend an – nur mit mehr Service und Sicherheit, wofür dann eben die Gebühr fällig ist. Man wird in Musik sehr viel mehr „zur Probe“ reinhören, Songs müssen schnellstmöglich verfügbar sein. Plattenfirmen werden sich in der Folge endgültig vom künstlich mit Spannung aufgeladenen Veröffentlichungszyklus „Ankündigung, Radioday, eigentliche Veröffentlichung“ verabschieden müssen. Auch das – in Deutschland sowieso nicht eben zeitgemäß agierende – Chartsystem wird sich grundlegend reformieren müssen, um wieder ein Abbild dessen liefern zu können, was wirklich von den Massen gehört wird. Und: Die tatsächlichen Verkäufe von Musik werden zurückgehen. Aus dem Durchbruch wird so ein Dammbruch.
Dies ist zumindest eine handfeste Befürchtung gerade im Indie-Bereich, der nicht über die Promotionkapazitäten und den Zugriff auf ein multimediales Portfolio inklusive Castingshows verfügt, wie das die immer weiter synergierenden Majors tun, von denen es bald wirklich nur noch zwei geben könnte. Die Erlöse für Plattenfirmen und Künstler aus dem Streaming – pro Abruf ein Bruchteil-Cent-Betrag – können mit denen eines Verkaufs nicht im Mindesten mithalten. Wegen dieses Kannibalisierungseffekts haben sich schon im November über 200 kleine, unter dem Dach von ST Holdings zusammengeschlossene Labels aus dem Streamingangebot komplett zurückgezogen. Eine ähnliche – also die Streaming-Konditionen vehement ablehnende – Haltung vertritt Mark Chung, der Vorstandschef des deutschen Independent-Dachverbands VUT. Auch unter Musikern selbst ist die Furcht vor Einbußen, das Gefühl, die eigenen Songs so praktisch zum Nulltarif zu verscherbeln, spürbar. Aufhalten wird das die Entwicklung nicht. Denn die Alternativ wäre der Rückwärtsschritt zum „illegalen Download“. Den möchten zunehmend nicht mal mehr Musikhörer.
Dieser Text ist in Kooperation mit entstanden.motor.de
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