Es gibt also einen „Cloud Player“ im eigenen Amazon-Konto? Das muss einem ja auch mal gesagt werden. Denn genutzt, gar gebraucht, hat den wohl kaum jemand. Schon gar nicht, wer immer noch so altmodisch ist, beim Online-Versandhändler „physische Tonträger“ zu bestellen, statt sich einfach nur MP3s zu kaufen oder gar gleich auf einen der inzwischen zahlreichen Streaming-Dienste zu setzen. Dieser „Cloud Player“ aber ist jetzt das zentrale Element in einem denn doch bemerkenswerten Schritt auf den klassischen Musikkäufer zu, der wohl doch nicht auszusterben scheint. „AutoRip“ heißt auffallend sinnfällig die jetzt zur Verfügung stehende Funktion: Musik, die man sich bei Amazon kauft, wird automatisch in eben jenen Player geladen, wo man sie sich unbegrenzt online anhören und – das ist der eigentliche Punkt – problemlos als MP3 herunterladen kann. Und zwar unabhängig vom Format des eigentlichen Einkaufs und unmittelbar nach Kauf.
Man mag sich gar nicht mehr zurückerinnern, keine zehn Jahre ist es her, als sich die Musikindustrie noch mit Händen und Füßen gegen dieses komische neue „Internet“ wehrte, das so frech war, die Grundlagen des Handels mit Musik neu zu definieren. Es war eine Zeit dramatisch vieler und dramatisch verheerender Fehleinschätzungen und -entscheidungen, die bis heute nachwirken und in jeder immer mal schnell aufbrandenden Diskussion um Urheberrechte als Lehrbeispiele für das Prinzip „Contentmafia“ herhalten müssen. Kaum eine Industrie schaffte es vorher, sogar die gutwilligsten Kunden dermaßen unter den Generalverdacht des potenziellen Diebs zu stellen und zu schurigeln. Bevorzugtes Mittel des Kampfes gegen die Digitalisierung der Musikverbreitung war das so genannte DRM, Digital Rights Management, ein mitunter ebenso rigide wie dämlich agierender Kopierschutz, der das Prinzip CD ein für allemal mit dem Kainsmal der bedenkenlosen Kundenfeindlichkeit belegte.
Heutzutage ist das alles obsolet, den letzten Beweis tritt Amazon mit AutoRip gerade an, auch wenn sich die Restspuren des alten Denkens immer noch in den Nutzungsbedingungen nachlesen lassen: „Einige Plattenfirmen setzen voraus, dass wir Identifizierungsmerkmale in die Metadaten einfügen, die mit der Musik aus dem Amazon MP3-Shop oder Cloud Player heruntergeladen werden. Diese Identifizierungsmerkmale enthalten möglicherweise Informationen, durch die Sie als Inhaber der gekauften oder angepassten Musik identifiziert werden können.“ Nun ja, man ist weit schlimmere Überwachung gewohnt inzwischen. Obendrein ist noch lange nicht alles, was im gekauften Backkatalog an Musik bei Amazon angeboten wird, für diesen Dienst auch wirklich freigegeben.
Dass Songs als MP3 „beigelegt“ werden, ist für den angestammten Vinylkäufer fast schon selbstverständlich. Kaum ein Album kommt ohne entsprechenden Download-Code daher. Eine Strategie, die vor allem jene Independent-Labels frühzeitig forciert haben, die wissen, dass ihre Kunden vor allem eins sind: Musikliebhaber. Wer allen Ernstes noch Vinyl kauft, so die prinzipiell sicher berechtigte Vermutung, wird wohl kaum Extremnutzer illegaler Tauschbörsen sein. Zumindest nicht, wenn sich ganz legal auch der heutzutage für unterwegs unerlässliche MP3-Player mit der schon erworbenen Musik bestücken lässt.
AutoRip setzt dieses Prinzip nun auch für alle Käufer von Musik und somit für die Masse um. Wer sich eine CD kauft, kann sich immerhin das Einlesen in den Rechner sparen und hat überdies ein bequemes Backup seiner Musik parat, wie man das von iTunes zum Beispiel schon länger kennt. Größter Vorteil ist sicher die schnellere Verfügbarkeit der gekauften Musik, die unabhängig von Zustellzeiten schon legal gehört werden kann. Am meisten zu Gute kommt AutoRip so aber sicher wieder dem anhänglichsten aller Musikhörer, dem Vinyl-Liebhaber. Auch, wenn die Vinyl-Verkaufszahlen deutlich steigen und kaum noch eine halbwegs ernstzunehmende Veröffentlichung ohne Vinyl-Version auskommt; die reale Verfügbarkeit von Vinyl gerade bei Amazon ist immer noch mehr als dürftig. Schnell entscheidet sich da, wer nicht ewig warten will, lieber für einen Spezialisten – oder dann doch für den unverzüglichen MP3-Download. Ob deshalb – so eine Hoffnung, die in der Berichterstattung gern mitkolportiert wird – wirklich wieder mehr Alben statt Einzeltracks verkauft werden, scheint nichtsdestotrotz illusorisch. AutoRip ist ein Schritt zu besserem Service unter zeitgemäßen Bedingungen. Nicht mehr und nicht weniger. Und ein erneuter Beweis, dass eine MP3-Datei an sich keinen eigenständigen Wert darstellt.
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