Das eigentlich Erstaunliche ist, dass nicht aller Viertelstunde irgendein Einspieler aufpoppt, der darauf hinweist, dass es das Album zur Sendung ganz bald – nämlich ab 16. Mai – auch endlich zu kaufen gibt. So macht man das doch gemeinhin, wenn man als Sender einen Deal mit einer Plattenfirma hat, weil wiederum eine Musiksendung ja auch nur dann wirklich gut funktioniert, wenn sie ordentlich crosspromotet wird. Bei Vox aber hat man sich wohl entschlossen, auch in dieser Sache einen knallharten Kuschelkurs zu fahren. Ist ja schließlich alles so schön bunt hier. Im Wortsinn und bis hin zu den wahrlich scheußlich anzuschauenden Cocktails, an denen ungefähr die Hälfte der Anwesenden unablässig nippt.
Eine Lodge in Südafrika musste es also sein, die braucht es für die Fototapeten-würdigen Zwischenshots von Edelliegestühlen mit Meerblick, fröhlicher Herumtollerei im feinstkörnigen Strandsand und betörenden Sonnenuntergängen. Dann allerdings wird es dunkel und vor allem richtig ernst bei „Sing meinen Song - Das Tauschkonzert“. Denn „wir lassen die Hosen runter in der Show!“ Verspricht Xavier Naidoo, er ist der Dreh- und Angelpunkt der neuen Primetime-Musikshow auf Vox. Eingeladen hat er sechs deutschsprachige Musikstars, die – so simpel ist das Konzept – vor den Augen und Ohren der anderen jeweils einen Song eines jeden von ihnen covern.
„Stars“, das ist ja im Fernsehen eine Kategorie, die im Zuge der Casting-Ära drastisch verschlissen wurde. Hier jedoch nimmt man das noch halbwegs ernst, immerhin sechs der sieben hat man tatsächlich auf dem Schirm, zumindest im Maßstab des deutschen Mainstream-TVs, das sich die wirklich großen Namen nicht leisten kann und will; die es aber nun auch gerade nicht besonders nötig haben, sich für die Kameras zur Wurst zu machen. Und das passiert hier natürlich, nur eben etwas weichgespülter, als man das sonst gewohnt ist. Was einerseits zur Linie des Senders passt, der sich schon vor ein paar Jahren entschlossen hat, dem auslaufenden Erfolgskonzept der Bohlen-Häme das Mitgefühlige entgegenzusetzen und das „Musikalische“. Andererseits ist es erhellend, zu beobachten, wie diese Mittelklasse-Musikwelt so tickt – zumindest, so lange man das aushält. Denn das, was hier geboten wird, ist mindestens so langweilig pseudobunt, wie die servierten Drinks.
Hier würden Musiker gänzlich verschiedener „Genre“ vor der Kamera stehen, ist das vom Sender beabsichtigte Grundmissverständnis: die „Rockerin“, der „Volksmusiker“, der „Schmusesänger“, der „Jazzer“, der „Soulman“ und – nun ja – die „Sarah Connor“. In der Roger-Cicero-Version heißt das dann: „Man muss sehr, sehr aufgeschlossen sein.“ Ah ja. Und damit das auch wirklich jeder schätzen lernt, wird einem immer wieder erzählt, wie schwierig das doch sei, sich einfach so einen Song von einem anderen zu nehmen, mit dem man sonst aber auch gar nichts gemein hat. Musikalisch, versteht sich, denn selbstverständlich sind die alle ganz doll lieb und tolle Menschen, die man super gern mal kennengelernt hat. So, als ob das Covern soeben von Xavier Naidoo erfunden wurde, unter gern vorgezeigten kreativen Schmerzen, versteht sich. Man muss schon ein bisschen behämmert sein, um das nicht einen Hauch übertrieben zu finden – aber auch die Übertreibung, das permanente Overacting gehört zum Standardrepertoire des Emotions-TVs. Alle sind – wie heißte es so schön? – „voll dabei“, wenn sich im Kreis die eigenen Videos vorgespielt werden, nicken fleißig mit im Rhythmus und staunen an den richtigen Stellen mit großen Augen. Schlimmer wird es, wenn dann während der Performance alle (gezwungenermaßen, möchte man fast sagen) begeistert aufspringen und aber auch so richtig „mitrocken“ – so stellt sich Liesl Müller ein Konzert vor und so war es letztens auch bei … ach, hier einfach irgendeinen Namen zwischen Coldplay, Peter Maffay und Helene Fischer einsetzen.
Das Covern an sich, das hier im Mittelpunkt steht, ist nun aber alles andere als eine besondere Herausforderung, im Gegenteil. Es ist eine grundlegende Kulturtechnik der Popmusik und des Musizierens an sich. Das beginnt schon vor dem Erlernen eines Instruments anhand von – sic – Coverversionen; nämlich beim kindlichen Luftgitarrespielen und phonetischem Mitsingen vor dem Spiegel, nahtlos übergehend in das YouTube-Geklampfe von Legionen von Teenagern, dadurch bestärkt in ihrem Tun, dass daraus sogar reale Weltkarrieren entstehen können, wenigstens in einem von einer Million Fällen. Das Cover ist seit ihrem Anbeginn ein nicht wegzudenkender Bestandteil von Popmusik, von der Übernahme alter Rhythm’n’Blues-Standards in das Repertoire des eben erfundenen Rock’n’Rolls bis zur unendlichen Reihe von immer wieder neu interpretierten früheren Soul-Songs, in deren Verlauf sich an das Original kaum jemand noch zu erinnern vermag. Heute gilt das Covern mit einer cleveren, möglichst überraschenden Stil-Idee als gut laufendes Geschäftsmodell etlicher Bands. (Und da reden wir noch lange nicht von den unzähligen „Coverbands“ verschiedenster Couleur, die Volksfeste und Kneipen mit dem expliziten Versprechen höchstmöglicher Ähnlichkeit zum Original überschwemmen.)
Daraus eine Sendung machen; warum nicht? Blöd nur, dass es am Ende eben doch nur ein dauerpenetranter Xavier Naidoo ist; mit einer Handvoll Leute, denen man fast wünschte, sie würden so zynisch sein, dieses Gedöns um das „Hineinfühlen“ und „aufgeregt sein“ tatsächlich nur zu schauspielern. Sonst müssten sie einem ja wirklich leid tun, bei all dem Geknödel auf der Bühne, den irre langweiligen Auftritten mit den „großen“ Stimmen, den auch bitte ganz, ganz deutlichen Gefühlsausbrüchen, dem ergriffenen Jubel aller zu allem und dem schleimigen Grund-Impetus. Überraschungen ausgeschlossen. Am Ende ist all das nichts anderes, als die Beteiligten sonst auch nur machen, ein bisschen mehr Material, mit dem man Mehrzweckhallen beschallen kann. Zum „mitrocken“.
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