Spießer With Attitude

Ton & Text Ist das Kunst oder kann das weg? Flachzangen-Fatwa und schlechte Beats – Bushido und Shindy liefern den langweiligsten HipHop der Welt
Hohles Geprotze mit geliehenen Luxuskarossen
Hohles Geprotze mit geliehenen Luxuskarossen

Foto: Screenshot Kingbushido TV

Wenn Michael Schindler aufsteht und aus dem Kinderzimmer kommt, macht Mutti ihm erstmal Frühstück, am liebsten ist ihm Rührei mit Feta. Dann wird gechillt bei ein paar Serien im Nachmittagsfernsehen. Überhaupt, ein echter Sonnenschein sei er, heißt es im ausführlichen Interview mit rap.de, dem vielleicht nicht wichtigsten aber immerhin schnelllebigsten Medium der deutschen HipHop-Szene. Gerade mal einen Monat ist es her, dass Shindy ganz freimütig erzählte, wie es denn so sei, das Leben als Nachwuchsstar auf Bushidos Label. Grundkontext: alles easy, alles entspannt.

Mit der Ruhe ist es erstmal vorbei, soeben ist Shindys Debüt-Album erschienen. Die Prognosen stehen auf Top 10 und das zeitgleich mit dem Album veröffentlichte Video kennt nun wirklich alle Welt. Über Aufmerksamkeit dürfte er sich also eigentlich nicht beklagen können, indes: Den „Fame“ kassiert Bushido nahezu allein. „Stress ohne Grund“ heißt die Single, sie ist textlich und musikalisch selbst nach Genre-Maßstäben äußerst dürftig geraten, eine ausgesprochen hohlbirnige Ansammlung von bemerkenswert schlechten Reimen, unterlegt mit einem Billigsoundtrack, der direkt aus den mitgelieferten Presets des „Magix Music Maker“ stammen könnte. Aber wen interessiert das schon, wenn Bushido im Nebensatz Klaus Wowereit als Schwuchtel disst und anderen missliebigen Politikern ein paar Löcher mehr in den Körper wünscht?

Dass es klassischem HipHop aus Deutschland schon seit einigen Jahren nicht so wirklich gut geht, ist offensichtlich. Reihenweise sind die über das letzte Jahrzehnt dominierenden Aggro-Label den Bach runter gegangen, echte neue Signings trauen sich die wenigsten der noch verbliebenen. Shindy ist so eines, er verkörpert ziemlich genau, was auf der unteren Seite der Bandbreite gerade noch geht. Kurzfristig ein bisschen Erfolg hat, wer die Latte an Sounds und Rap-Stil einfach immer noch ein bisschen tiefer legt, so dass auch der letzte Dorfdepp noch versteht, worum es geht: dicke Karren, Kohle, Ärsche – weibliche versteht sich, von „Bitches“ also. Männliche sind in dieser Welt immer noch tabu, denn, so heißt es prompt in „Stress ohne Grund“, „Männer lutschen keine Schwänze“. Man muss den Lebenshorizont eines Zwölfjährigen haben, um dafür freiwillig Taschengeld auszugeben.

Shindy aber ist Mitte zwanzig und dass er schon mit 14 angefangen haben will zu rappen, hört man in keiner Sekunde. Sogar beim Auf-dicke-Hose-machen sieht er ziemlich halbstark, ergo billig aus. Man kann sich das in seinen Videos anschauen, die allesamt mehr oder weniger einfach nur irgendein teures Auto zeigen. Im letzten, eben „Stress ohne Grund“, hat man sich nicht mal mehr die Mühe gemacht, das großkotzig inszenierte Anzünden des Wagens dann auch wirklich zu zeigen. Es ist hohles Geprotze mit geliehenen Luxuskarossen. Abgefackelt wird da gar nichts, schon gar nicht der teure Benz. Das könnte man sich selbst dann nicht leisten, wenn Shindys Album wirklich erfolgreich würde. Anzunehmen, man würde in HipHop-Deutschland heute mit nur einem Album noch richtig reich werden, ist mindestens blauäugig.

„Nie wieder arbeiten“ ist das Motto seines Albums trotzdem, jeder mit einem Hauch Reimkompetenz hätte daraus vielleicht sogar ein paar gute Ideen entwickeln können, immerhin ist die Zukunft des Prinzips Arbeit gerade wirklich ein spannendes Thema. Bei Shindy reichts gerade mal für Primitiv-Materialismus. Ein lupenreiner Spießer und Kleinbürger ist er damit natürlich, mit einem Bushido als Role-Model, der mit seiner Immobilienfirma prahlt und immer nur dann ausfällig wird, wenn er merkt, dass er als Spielzeug für die Lanz’, Maffays und Burdas wieder ausgedient hat. Kleinbürgerlich im miesesten Sinne sind sogar die scheinbar unvermeidlichen Streitereien in der deutschen HipHop-Szene. Sie laufen nach dem immer gleichen Schema ab: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Es ist einigermaßen mühsam, auf dem Laufenden zu bleiben, wer gerade wen disst – oder wer sich mal eben wieder vertragen hat. Am liebsten möchte man Franz Obst, den Schlichter aus der RTL-Soap „Nachbarschaftsstreit“, vorbeischicken oder einen eigenen Kindergarten für Rapper einrichten, so lächerlich sind die Anlässe, so unsouverän die harten Jungs, die bei jeder Gelegenheit mit Gewaltfantasien aufschreien, weil jemand mal nicht lieb zu ihnen war.

Aber auch derlei Flachzangen-Fatwa sollte von der Freiheit der Kunst gedeckt werden, schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. Wenn jeder schlechte Rapper vor Gericht gezerrt würde, hätte die Justiz in diesem Land eine Menge zu tun. Echten Grund, beleidigt zu sein, hat neben Wowereit und Co. allerdings vor allem Dr. Dre. Dessen Rap- und Produktionsskills nennt Shindy allen Ernstes als Vorbild. Dre war bei N.W.A., den „Niggaz With Attitude“ aus Compton, L. A., denen wir heute noch das immer wieder gern genommene "Straight outta …" verdanken. „Nie wieder arbeiten“ hat Shindy nämlich mal eben zum Albumtitel „NWA“ eingedampft, ein ganz bewusster Bezug auf die vor 25 Jahren stilprägenden Gangsta-Rapper. Deren Texte waren alles andere als friedliebend und auch Ice-T – ein Shindy-Song benennt sich nach ihm – hat eine sogar für US-Rap-Verhältnisse bemerkenswert explizite „Cop Killer“-Karriere hingelegt. Aber der hatte selbst in seinen schlechteren Tracks, und davon gibt es dann doch eine Menge, immer noch wenigstens irgendwas zu sagen, eine gesellschaftlich relevante Agenda, echte „attitude“ halt, die über Schaum vorm Mund weit hinausgeht.

Warum deutscher HipHop abseits von Klischee-Muskelspielen grenzdebiler Vorort-Prolls überhaupt noch im Geschäft ist, ließ sich parallel zur übers Wochenende aufgeheizten medialen Aufregungsmaschinerie ausgezeichnet beobachten: beim Splash Festival, dem größten deutschen HipHop-Event, das bezeichnenderweise seit Jahren immer weniger auf Aggro-Rap, dafür aber auf Leute wie Casper setzt. Der smarte Nachwuchshipster-Liebling hat mit seiner Ankündigung auf der Bühne und noch während seines Konzerts einen beträchtlichen Vorbestellungsboom auf sein neues, im September erscheinendes Album ausgelöst. Die großen Verkäufe, die gewinnträchtigen Großfestival-Auftritte teilt er sich mit Cro, dem cleveren Sonnenschein-Rapper und Vorjahres-Aufsteiger. Kontrovers ist deren Wohlfühl-Indie-Pop-Melange ganz gewiss nicht, auch ihr Text-Weltbild ist in gewisser Weise konservativ und kleinbürgerlich. Aber man outet sich wenigstens nicht gleich als Volltrottel, wenn man ein T-Shirt von ihnen trägt. Im Moment reicht das schon als echtes Erfolgskriterium im deutschen HipHop.

Korrektur: In einer früheren Version des Textes wurde auch Ice-T (statt korrekterweise Ice Cube) bei NWA verortet. Das war natürlich unzutreffend.

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