Spucken Word Performance

Ton & Text Britische Popmusik steht mit einem Schlag wieder ganz oben auf der Rechnung: Sleaford Mods und Kate Tempest liefern den Antisound zur englischen Upperclass-Drögheit

Für deutsche Ohren klingt das ziemlich cool, dieses gedehnte „fooocking“, das man dutzendfach hören kann in jedem einzelnen Song der Sleaford Mods. Wobei: „Song“ ist nicht gerade das richtige Wort für das jedem Soundengineer Hohn sprechende spartanische Sample-Getrümmer und die buchstäblich herausgespuckten, praktisch höhepunktlosen Tiraden des Duos, das kaum jemals ohne Drink in der Hand gesichtet wird. Der Nottingham-Akzent jedenfalls ist einer, der – so sagen die Englisch-Experten – auf der Insel großflächig verpönt ist. Wer etwas werden will, lernt ganz schnell vor allem eins: weg damit.

„Etwas werden“ – das ist ganz offensichtlich nie das Ziel der Sleaford Mods gewesen, zumindest soweit man das von jemandem sagen kann, der Platten veröffentlicht und sich auf eine Bühne stellt. Wenige gab es vor ihnen, die dabei so sensationell uninteressiert gewirkt haben an dem, was sie da tun und für wen. Natürlich fällt einem sofort die Lichtgestalt des öffentlich zur Perfektion getriebenen Nörgelns ein: Mark E. Smith, der schon vor dreißig Jahren als grumpy old man durchgehen konnte – heute hat sich das noch potenziert. Jedes neue Album seiner Band The Fall wirkt immer noch ein Stück weit zorniger, angeekelter und illusionsloser als das beim jeweiligen Vorgänger ohnehin schon der Fall war. Musik für Mehrheiten war das nie, auch wenn in den prinzipiell verblüffend unberechenbaren Achtzigern sogar ungefähr anderthalb Indie-Hits heraussprangen. Sicher kann man halt nie sein, ob nicht doch einen Nerv trifft, was man da macht, auch oder gerade, weil die absolute Rücksichtslosigkeit gegenüber Konventionen und Erwartungen einen ganzen Haufen Anti-Charme entwickelt. Wie das dann funktioniert, lässt sich gerade in atemberaubender Geschwindigkeit verfolgen.

Praktisch niemand kannte die Sleaford Mods noch vor vier Wochen, da hatten sie schon eine Handvoll Platten gemacht, bis 2007 reicht die Discografie zurück, als ausgemachtes Soloprojekt von Frontmann Jason Williamson allerdings. Jetzt, zu zweit, waren sie mit ihrem eben erschienenen Album „Divide And Exit“ auf kleiner Clubtour durch Deutschland – und „klein“ ist in allen Belangen wörtlich zu nehmen, Clubs waren das, die nur im Ausnahmefall – der Hamburger Pudel – so etwas wie einen guten Namen im Rest der Republik haben. Plötzlich sind die Sleaford Mods in aller Munde. Erklären lässt sich das Phänomen nicht wirklich, es ist das Musterbeispiel eines Hypes, den alle mitnehmen, die auch nur einen Funken von Interesse für Popmusik von der Insel haben, gänzlich unabhängig davon, welchen Stil man ansonsten im Detail bevorzugt. Aber natürlich hat man einfach auch die Schnauze randvoll von all dem Upperclass-Gegniedel, das einem seit Jahren immer und immer wieder vorgesetzt wird: all den James Blunts, Lily Allens, Coldplays. Oder den penetranten Reunions von Bands, die sich gefühlt gerade erst aufgelöst haben und die kein Mensch mit musikalischem Anstand mehr braucht, weil Band-Geschichten eben auch mal auserzählt sind, egal wie brillant sie in ihren Tagen gewesen sein mögen und ob sie mit dem Comeback den Hyde Park füllen. Niemand als die Sleaford Mods verkörpert den Überdruss derzeit besser an all dem und am ganzen englischen Schweinesystem der gesellschaftlichen Spaltung; in die mit kostspieliger Bildung und allen Chancen und jene anderen, die man in den Urin-stinkenden Gassen Nottinghams und sonst überall findet, wo die Hauspreise wenigstens nur halb utopisch sind. Räudigkeit ist eine Waffe.

„We can be grown men, listening to music, real music. Played with heart by real bands, not just posers looking like they’re giving blowjobs to mic stands.“ Ein irres Beispiel für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, dafür, dass Popmusik immer noch die uneingeschränkte Macht hat, stilistische Differenzen im gleichen Atemzug zu forcieren und zu ignorieren, ist das andere britische Hype-Album des Monats – und viele sagen schon des Jahres: Kate Tempests „Everybody Down“. Auch das ist im Prinzip eine puristisch untermalte Spoken Word Veranstaltung und auch hier gibt es eine große Namenstradition der Achtziger, die einem sofort einfällt: Anne Clark. Die Parallelen sind nicht nur durch das künstlerische Konzept – Poetry mit unterkühlt elektronischem Soundbett – ohrenfällig. Beide gingen früh von der Schule, arbeiteten dann im Plattenladen und schrieben Gedichte, die sie wiederum vertonten. Dass Kate Tempest eine wirklich außergewöhnliche Poetin ist, hat sie schriftlich; im letzten Jahr gewann sie den renommierten Ted Hughes Award. Hellhörig hätte man da auch als Pop-Hörer schon werden können. „Our Town“ hieß die Kooperation mit dem Dancefloor-Projekt letthemusicplay, ein Geheimtipp-Hit, der Kate Tempest und ihr zwingend-unaufdringliches Charisma mit einem Schlag ins Bewusstsein katapultierte.

Ellenlang ist das Lyrics-Sheet von „Everybody Down“ und natürlich ist es hilfreich, zu wissen, worum es Kate Tempest hier geht, dass sie eine größere Geschichte erzählt, quasi ein Prequel ihres geplanten Romans abliefert. Aber es macht gute Popmusik ebenso aus wie gute Poesie, dass sie auch funktioniert, wenn man nicht jedes textliche oder musikalische Detail seziert, als reiner Flow, als Sound von sich bedingenden Worten und Klängen. So beiläufig und eindringlich gleichzeitig zu klingen wie Kate Tempest jetzt, schaffte nach Anne Clark nur noch Mike Skinner auf seinem Debüt als The Streets – bevor er in der Belanglosigkeit prolliger Floskelhaftigkeit verendete. „Prollig“ wohlgemerkt, nicht „proletarisch“, um nochmal auf die Sleaford Mods zurückzukommen. Kate Tempest steht – aber wer tut das nicht im allerweitesten englischen Rap-Kontext? – in einer schnurgeraden Tradition zum urbritischen Grime, dem Two-Step-Bastard, der sich jeglicher glamourösen Eleganz entledigt und trocken schabende Beats und minimalistische Sample-Sequenzen auf eine strikt funktionale Essenz herunterreduziert hat. Auch das verbindet die mit ihren 27 immer noch pummelig-Teenager-haft wirkende Dichterin mit den Nottingham-Rüpeln. Großbritanniens Popmusik – das wissen wir seit diesem Monat wieder einmal mit absoluter Gewissheit – steht immer noch ganz oben auf der Rechnung. Aufgeben ist keine Option.

Sleaford Mods „Divide And Exit“ (Harbinger Sound / Cargo)

Kate Tempest „Everybody Down“ (Big Dada / Rough Trade)

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