Staatspop, Nudelpresse, Dissidenz

Ton & Text Sollte man vor der nächsten Diskussion besser gelesen haben: Berthold Seligers „Das Geschäft mit der Musik“ rechnet mit der schönen neuen Popmusik-Welt ab

Vielleicht fängt man einfach bei Jochen Distelmeyer an. Es ist ein gutes Jahrzehnt her, dass er mit seiner Band Blumfeld auf dem damals noch weitaus weniger als heute etablierten Melt! Festival auftrat, am späten Nachmittag, so, wie es dort üblich war. Das Festival hatte sich einen allgemein sehr guten Ruf für seine – angesichts damaliger Verhältnisse – recht eklektische Mixtur aus „Bands“ und „DJs“ erarbeitet. Die Massen erreichte man damit allerdings noch nicht wirklich, der Laden stand auf der Kippe. Und wurde so unversehens zum Einfallstor für ein Phänomen, das heute selbstverständlich ist: penetrantes Sponsoring. Mit allem, was sozusagen dazu gehört; Banner, Stände, freilaufende Promotionteams, denen man auf keinen Fall entgehen konnte. Und mit zwei Videoleinwänden direkt neben der Bühne, auf der Blumfeld spielten, die unablässig mit Werbespots beballert wurden. „Ästhetisch verabscheuungswürdig“ kann man das nennen, die Begrifflichkeit ist dem soeben erschienenen Buch Berthold Seligers entnommen, wenn auch aus dem Kontext gerissen, weil es hier natürlich ebenso wunderbar passt. Distelmeyer jedenfalls hatte irgendwann genug und riss einfach die Leinwand herunter.

„Wohin mit dem Hass, den ich in mir spür? Frisst sich wie Rost nach innen.“ Berthold Seliger zitiert den etwas späteren Jochen Distelmeyer ziemlich am Ende, es geht da um das, was man Musikern heute mindestens abverlangen sollte: Haltung. Der Vorfall stammt nicht aus seiner – nennen wir es – Aufklärungs-Streitschrift, der Bezug auf das Melt! hingegen ist nicht zufällig. Denn die Anekdote fällt in die Zeit, kurz bevor die Hörstmann Unternehmensgruppe, HUG, das Festival übernahm, ein unternehmerischer Schachzug mit, so wissen wir heute, durchaus Weitblick. Die HUG lässt sich umgangssprachlich als das Intro-Kartell bezeichnen, das ursprünglich auf jenem Umsonst-Blatt basiert, das immer noch von vielen als Leitmagazin von „Indiekultur“ gesehen wird, inzwischen aber eine mit Verlag, Festivalveranstalter und Booking-Agentur rundum bestens aufgestellte und in sich perfekt „Synergieeffekte“ nutzende Musterfirma der neuen Verhältnisse im Musikbusiness ist. Inklusive gnadenloser Ausnutzung eines „alternativen“ Images, die ganz selbstverständlich die Ausbeutung des Kreativprekariats mit 400-Euro-Vollzeit-Praktika einschließt. Seliger beschreibt das ausführlich.

„Das Geschäft mit der Musik – ein Insiderbericht“ heißt das Buch von Berthold Seliger, das man besser gelesen haben sollte, bevor man sich in die nächste Diskussion um GEMA, Spotify, Majorlabels, „Indie“, steigende Ticketpreise, Popförderung oder auch nur Musikjournalismus stürzt. Seliger ist ein erfolgreicher Konzertveranstalter aus Berlin, sein Ruf im Lande ist diesbezüglich untadelig; aus künstlerischer und – nicht unwesentlich, klar – geschäftlicher Sicht. Verbunden ist er mit Namen wie Calexico, Pere Ubu oder Patti Smith. Bekannt in der Branche ist er aber vor allem auch als kampflustiger Autor (auch beim Freitag), der sich noch nie um eine Auseinandersetzung gedrückt hat und dessen unverblümte Kritik an den Verhältnissen immer wieder heraussticht – aus einer Musiklandschaft, in der ansonsten ein großer Konsens der Verschwiegenheit und Schönrednerei herrscht, der vor allem auf eines zielt: die möglichst reibungslose Transmission des „Contents“ Musik zu Profit. Unter kapitalistischen Bedingungen, versteht sich, also beruhend auf dem Prinzip der Ausbeutung von – gerade kreativer – Arbeitskraft.

Wie weit die – auch Seliger hat seinen Marx gelesen – Ausbeutung inzwischen ins Bewusstsein reicht, wie sie gerade auch von jenen akzeptiert wird, die ihr Opfer sind, zeigt Seliger penibel auf. Mit einer Fülle an Fakten erzählt er über Monopolisierung im Veranstalterbusiness, über das als Truppenbetreuung in Afghanistan endende „nation branding“ des „Staatspop“, über das Tollhaus des Major-Konzentrationsprozesses und dem verbliebenen weltweiten Oligopol aus drei Plattenfirmen und weniger als einer Handvoll Konzertagenturen, die gleichzeitig auch noch die dominierenden Ticketverkäufer sind und obendrein Besitzer der Veranstaltungsstätten. Es geht um den angemessenen Ekel vor Sponsoring, der heute gern als obskurer, überlebter Ideologie-Talibanismus abgetan wird, um die Verlogenheit der „Urheberrechts“-Verteidiger, die von einem überlebten, monströsen System profitieren, das offensichtlich untauglich für die aktuellen technologischen und gesellschaftlichen Realitäten ist. Um die bedingungslose System-Verfügbarkeit der angestammten Musikzeitschriften und ihres buchstäblich austauschbaren Personals, das keinen Unterschied zwischen der inzwischen als – eine Anspielung auf einen aggressiven Sponsordeal – „Nudelpresse“ fungierenden ehemalig hoch angesehenen Spex, Springer-Blättern oder Marketing-Gazetten von Telekommunikationskonzernen erkennen lässt. Selbstverständlich verhängnisvoll ist das alles für Popmusik, jene eigentlich noch junge Kultur, die gerade mal 30 oder 40 Jahre als Dissidenz-Werkzeug Nummer eins galt, und die sich heute vor allem danach zu strecken scheint, möglichst gut bezahlt in einem Werbespot unterzukommen.

Was Seligers durchaus deprimierende Analyse ausmacht, ist die Fülle an Hintergrundwissen, über die er vor allem im Live-Geschäft verfügt. Es gibt irrsinnig viele Namen und Zahlen im Buch, dessen größter Mangel das fehlende Register ist. Zusammen gehalten wird das alles aber von eben jener „Haltung“, die er von all denen einfordert, die sich mit Popmusik beschäftigen. Unangreifbar ist Seliger damit bei Weitem nicht. Etliche der Widersprüche, die Pop-immanent sind, finden sich hier wieder, am offensichtlichsten in den schwierigsten, weil am meisten quer zu den traditionellen Fronten aufgestellten Themen „Streaming“ und „Filesharing“. Man möchte dann schon nochmal darüber reden, wieso ausgerechnet die Piratenpartei-Knallcharge Christian Hufgard, der Megaupload-Gründer Kim Schmitz oder der „New Media Experte“ Marcel Weiss als Kronzeugen gegen einen Sven Regener aufgerufen werden. Leute also, die man durchaus als eben jene Technokraten ansehen könnte, die ohne einen Hauch an Ahnung von oder auch nur echtem Interesse für Musik agieren. Eine – sic! – Haltung, die Seliger im Konzertbusiness scharf angreift. Aber sogar das ist letztendlich toll. Denn man will darüber diskutieren. Schon das ist mehr, als heutzutage noch üblich ist.

„Kennst du die Reichen und Mächtigen? Lass ihre Wagen brennen. Sie haben weder Respekt noch Angst vor uns. Also wohin mit dem Hass?“, singt Distelmeyer übrigens weiter. Man sollte nachtragen, dass auch er noch ein paar Mal auf dem „neuen“ Melt! gespielt hat. Ganz ohne Aufreger. Für gutes Geld von der Hörstmann Unternehmensgruppe.

Berthold Seliger „Das Geschäft mit der Musik“; Edition Tiamat, 320 Seiten, 18 €

12 Monate für € 126 statt € 168

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