Als sie im Oktober 1978 erstmals bei Top of the Pops, Großbritanniens wichtigster TV-Musikshow, auftreten, werden die fünf gefragt, in welchem Londoner Restaurant sie essen wollen. Sie möchten ausgerechnet zu McDonald’s. The Undertones kommen aus Derry, Nordirland, einen McDonald’s gibt es dort nicht, dafür die IRA, bewaffnete britische Soldaten an jeder Ecke und großflächige Wandgemälde mit Freiheits-Parolen; als „Murals“ gehen die in die weltweite Kulturgeschichte der urbanen Guerilla ein. „Teenage Kicks“ spielen die Undertones in der Sendung, es ist ihre erste Single, ihr erster Hit, bis heute unsterblich, auch, weil es der erklärte Lieblingssong des legendären Radio-DJs John Peel ist, gar auf seinem Grabstein verewigt: „Teenage dreams so hard to beat“.
Die Wochenenden der Siebziger haben nicht viel zu bieten im tristen Derry, außer vielleicht das Casbah, einen räudigen Club, in dem man sich weiter hinten besser nicht an die Wand lehnt, weil sie urinverseucht ist. Aber es braucht auch nicht viel, wenn man jung ist und sonst nicht viel zu tun hat: „Three pints of guiness and: Hallelujah, here comes saturday night!“ So beschreibt Sänger Feargal Sharkey das gut zwanzig Jahre später und lacht. Er ist der einzige in der Band, der einen Job hat, als sie noch wöchentlich im Casbah spielen und es sich langsam herumspricht, dass diese Jungs in den verschossenen Klamotten und Frisuren etwas ganz Besonderes sind. Es zählt wohl zu den bemerkenswertesten Seltsamkeiten der irischen Befindlichkeit, dass die Band später auch daran zerbricht, dass einige von ihnen auf Tour nicht mit ihrem Heimweh klarkommen. Heimweh nach Derry.
„An Introduction To The Undertones“ hat all die wichtigen Songs nach „Teenage Kicks“, das umwerfend gutlaunige „Here Comes The Summer“ etwa, das aufpeitschende „Jimmy Jimmy“ und „It’s Going To Happen“, eines ihrer raren Stücke die sich mit der politischen Situation in Nordirland, nämlich dem IRA-Hungerstreik in britischen Gefängnissen, direkt in Zusammenhang bringen lassen. Es ist der Tag, an dem Häftlingssprecher Bobby Sands an den Folgen seines Hungerstreiks stirbt, als sie ihn 1981 in Top of the Tops spielen. Mit Trauerflor am Arm aufzutreten, traut sich dann doch nur einer der Musiker.
Schon wegen solcher Details ist „An Introduction“ auch für Undertones-Kenner interessant. Denn beigelegt ist eine DVD mit Liveaufnahmen, den offiziellen Videos und einer – noch von John Peel begleiteten – einstündigen Dokumentation. Die schafft es so nah wie nur möglich an das Mysterium heran, wie ein paar naive Jungs in einem Quasi-Kriegsgebiet zu einer der beeindruckendsten Pop-Punk-Bands überhaupt werden konnten. Mit Teenage-Angst- und Eskapismus-Texten, zwingend hochbeschleunigten Melodien, bis heute frisch wirkenden, crispen Gitarrenriffs und der unverwechselbaren Stimme ihres Frontmannes, dessen Übercharisma sich schon im nur Sekundenbruchteile dauernden Kopfzucken darstellt, bei dem der Moptop-Pony im Takt durcheinandergerät.
„Darkhaired dangerous schoolkids; vicious suspicious sixteen“ besingt Tom Robinson in „Up Against The Wall“ die Punk-befeuerte Teenage Rebellion der Ära. Dessen Tom Robinson Band ist – wenn man es musikalisch genau nimmt – weniger Punk- denn Pubrock, jenes urbritische Genre, in dem gern auch mal gitarrengegniedelt werden darf, wo ein Klimperpiano nie fehl am Platz ist und das vor allem die mitgröhltauglichen Hymnen braucht. „Up Against The Wall“ ist so eine, ebenso wie ihr erster und eigentlich auch einziger echter Hit „2-4-6-8 Motorway“. Punk ist diese Musik wegen ihrer unbändigen Energie und der geballten Faust im Bandlogo, die direkt vom Black Power Movement geklaut ist.
Politisch ist alles an den Songs von Tom Robinson, sogar und gerade die Liebe, denn er ist bekennender Schwuler und das ist im England der Proto-Thatcher-Zeit ausreichend für Polizeirepressalien und Prügel, während auf den Straßen die homophobe und ausländerfeindliche National Front marschiert. Einen Selbstmordversuch hat er hinter sich, als eine Sendung von – sic! – John Peel und ein Konzert der britischen Blueslegende Alexis Korner sein Leben retten. 16 ist er da und es dauert noch zehn Jahre bis zur „Rock Against Racism“-Initiative, die er mitbegründet, und zur Tom Robinson Band, die für einen Augenblick zu den großen Rockhoffnungen auf der Insel zählt, bevor sie sich nach zwei Alben auch schon wieder auflöst.
Heute ist Robinson einer der renommiertesten Moderatoren bei BBC 6, jenem Musiksender für Erwachsene, der so in der deutschen Radiolandschaft unvorstellbar scheint, schon, weil er es ohne muffigen „Oldies“-Beigeschmack schafft, seine Hörer ebenso ernst zu nehmen wie die Geschichte der Popmusik, mit der man in Großbritannien ganz selbstverständlich groß geworden ist. Auch, wer in den frühen Achtzigern der DDR jung war, kann sich vielleicht noch an Tom Robinson erinnern. Mit dem City-Ableger NO55 tourte er damals durch die FDJ-Clubs des Landes, immer im Zwiespalt zwischen offizieller Vereinnahmung im so genannten „Kampf für den Frieden“ und einer unkontrollierbaren und letztendlich für das System doch tödlichen Injektion Punk-Attitude für die nach Welt gierige DDR-Jugend. „Living In The DDR“ heißt 1994 denn auch einer seiner Songs, in dem er besser als jeder andere West-Musiker das jugendliche Ost-Lebensgefühl vor und nach der Wende eingefangen hat.
„The Anthology 1977-1979“ versammelt jetzt erstmals so ziemlich alles in einer Hand, was es musikalisch von der Tom Robinson Band gibt: die Stücke der Alben, B-Seiten, Live-Aufnahmen, Videos, eine zeitgenössische TV-Dokumentation. Natürlich ist auch „Glad To Be Gay“ dabei, eine bis heute geltende Konsens-Hymne der britischen Schwulenbewegung. Den Mumm, die damals bei der BBC zu spielen, hatte nur John Peel.
„An Introduction To The Undertones“ (Union Square Music / Soulfood) und „Tom Robinson Band – The Anthology 1977-1979“ (EMI) sind kürzlich erschienen.
AUSGABE
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 31/13 vom 01.08.2013
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.