Der neue Lieblingssatz der Regierenden heißt, zu unserer Politik gibt es keine Alternative. Aber Politik ist niemals alternativlos, sie ist entweder Gestaltungsraum oder überflüssige Spielwiese einer politischen Kaste. Gewerkschaften, Linksparteien und Bewegungen in Europa demonstrieren deshalb am 3. April in mehreren Städten gegen den sozialen Kahlschlag, für eine andere Politik.
Die Bundesregierung hat sich für ein neoliberales Aktionsprogramm der Gegenreform entschieden. Im Parlament gibt es keinen Widerstand. Die Abgeordneten von SPD und Grünen folgen der Regierung, der Opposition geht alles nicht weit und schnell genug. Das Parlament ist vermutlich der letzte Ort, in dem eine Alternative zu diesem Programm eine Chance hat. Das würde sich auch dadurch nicht ändern, dass bei der nächsten Wahl 30 Abgeordnete der Linken in den Bundestag einziehen. Was soll angesichts dieser Aussichten der Versuch, genau das hinzukriegen ?
Der Versuch hat einen Sinn, wenn er nicht überfrachtet wird. Wenn eine neue - kleine - Linksgruppierung in den Bundestag einziehen würde, wäre das nicht die Speerspitze einer brodelnden sozialen Bewegung. Es wäre ein bescheidener Erfolg eines aus der Defensive heraus unternommenen Versuchs, sozialstaatliche Positionen in der Öffentlichkeit nicht völlig hinter die Grenze der Wahrnehmbarkeit verschwinden zu lassen. Es kann daher auch nicht darum gehen, als kleine Gruppe im Bundestag Politik zu "gestalten". Es geht vielmehr um den einfachen Anspruch, dass auch im Bundestag linke Kritik an der Politik der Bundesregierung und Konzepte für eine andere Politik wieder hörbar werden. Sie müssen dazu nicht neu erfunden werden. Kritik und Konzepte existieren seit Jahren bei Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und in den realitätstüchtigeren Teilen der Wissenschaft. Es geht darum, die Bewegungen, aus denen die Kritik kommt, zu stärken und weiter zu entwickeln, die außerparlamentarische Opposition durch Nutzung der Tribüne und der Ressourcen des Parlamentes zu unterstützen. Dies trägt dazu bei, die Kräftekonstellation voranzubringen, die notwendig ist, um die Politik wirklich zu verändern.
Regierung, Parteien, fast alle Medien und der größte Teil der Wissenschaft pauken uns tagtäglich ein, die Richtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik - Agenda 2010 und Folgeprogramme - sei erstens gut für alle, zweitens sachlich geboten und drittens alternativlos. Diese Einheitlichkeit hat etwas Überwältigendes und lähmt viele, die von der Politik frustriert sind. Demgegenüber ist Aufklärung erforderlich. Sie fördert die Einsicht in gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, macht gegensätzliche Interessen deutlich und beleuchtet die Machtverhältnisse. Dies ist nicht nur um der Wahrheit willen wünschenswert. Es ist auch notwendig, um über die Frustration hinaus zu gelangen und aktiv für eine andere Politik zu werben. Allerdings muss Aufklärung illusionslos und gründlich sein. Sonst führt sie bestenfalls zum Katzenjammer, wahrscheinlich aber zur umstandslosen Kapitulation vor den Mächtigen.
Angewandt auf die Agenda 2010, Hartz IV, und Ähnliches muss Aufklärung vier zentrale Sachverhalte deutlich machen: Erstens: Die "Reformen" der Bundesregierung sind weder gut für alle noch sichern sie die "Zukunftsfähigkeit". Sie verschlechtern die Lage der meisten und machen ihre Zukunft unsicher. Zweitens: Der Sozialabbau folgt nicht einer unabweisbaren Sachlogik, etwa der Globalisierung oder der "demografischen Zeitbombe". Sie schlägt vielmehr jeder wirtschaftlichen und sozialen Vernunft ins Gesicht. Ihr Kern ist Umverteilung von unten nach oben. Das ist unsozial, es blockiert die Binnennachfrage und zerstört dadurch die Grundlagen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Drittens: Es gibt wirtschaftlich vernünftige und sozial fortschrittliche Alternativen zu dieser Politik der Gegenreform. Wenn sie umgesetzt werden, lässt sich die Arbeitslosigkeit überwinden, der Sozialstaat sichern und ausbauen und eine nachhaltige Entwicklung fördern. Viertens: Die Verwirklichung dieser Alternativen erfordert die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Konflikt mit den vorherrschenden Interessen und Machtblöcken.
Alle vier Elemente sind unabdingbar notwendig. Dass sie den vierten Punkt nicht gesehen oder nicht ernst genommen haben, ist der Grund für die rasante Regression der rot-grünen Regierungspolitik. Vor 1998 wussten die Grünen und die SPD, dass neoliberale Politik weder gut für die Menschen (Element 1), noch sachlich notwenig, sondern vor allem eine Politik zugunsten der Reichen ist (Element 2). Sie hatten - nicht besonders weitreichende, aber immerhin - Vorstellungen darüber, wie es anders und besser zu machen wäre (Element 3). Dass sie dafür in den Clinch mit den Interessen und Machtpositionen der großen Konzerne und Unternehmensverbände gehen müssten (Element 4), haben die einen - die Grünen - nicht gesehen und die anderen - die SPD - nicht gewollt. Zaghafte Anläufe wurden von "der Wirtschaft" so unter Feuer genommen, dass sie schleunigst begraben und nie wieder hervorgeholt wurden. Der Mangel an Konfliktbereitschaft hat dann in atemberaubender Geschwindigkeit zur totalen Verdrängung früherer Erkenntnisse geführt. Mittlerweile gilt neoliberale Politik als alternativlos, aus Sachzwängen geboten und schließlich als gut für alle - Kehrtwendung auf der ganzen Linie.
Die zentralen Punkte eines wirtschafts- und sozialpolitischen Alternativprogramms sind deshalb
n Mehr Beschäftigung zu guten Bedingungen durch eine Belebung der Binnennachfrage. Das längerfristige Ziel einer neuen Vollbeschäftigung kann und soll durch eine Kombination von öffentlichen Investitionsprogrammen, dem Ausbau öffentlicher Dienstleistungen und Arbeitszeitverkürzungen erreicht werden.
n Die öffentlichen sozialen Sicherungssysteme als Grundlage des Sozialstaates sollen dadurch gefestigt und ausgebaut werden, dass alle Mitglieder der Gesellschaft und alle Arten von Einkommen zu seiner Finanzierung beitragen.
n Die Besteuerung kann gerechter werden, weil hohe Einkommen, Kapitaleinkommen und Vermögen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit höhere Lasten tragen und untere Einkommensschichten dadurch entlastet werden.
n Der Ausbau der Mitbestimmung und die Stärkung der Rechte von ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften soll dazu beitragen, dass Demokratie nicht vor den Toren der Betriebe und "der Wirtschaft" Halt macht.
n Abrüstung und mehr Kooperation statt Konfrontation und Militarisierung in den internationalen Beziehungen sichern Frieden und Ausgleich als unabdingbare Grundlage für gerechten Wohlstand in der Welt.
Diese Alternativen werden nur dann eine Chance bekommen, wenn soziale Bewegungen und politischer Druck die Machtverhältnisse aufweichen und die Kräftekonstellationen verändern. Dazu kann eine linke Gruppe im Bundestag durch konsequente Aufklärung einen bescheidenen Beitrag leisten. Ein pragmatisches und nützliches Projekt, das Unterstützung verdient.
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