Die Freunde der Tobinsteuer haben Anlass zur Freude, zumindest auf den ersten Blick. Das Gutachten von Paul Bernd Spahn enthält vier positive Botschaften: eine Tobinsteuer ist technisch und administrativ machbar, sie kann auch im nationalen oder regionalen - zum Beispiel europäischen - Alleingang durchgeführt werden, sie würde kaum relevante Gegenreaktionen in Form von Verlagerungen des Devisenhandels hervorrufen und sie könnte - als Doppelsteuer konstruiert - einen erheblichen Beitrag zur Verminderung der Währungsspekulation leisten. Der zweite Blick trübt die Freude allerdings erheblich. Das liegt vor allem an dem Steuersatz, den Spahn vorschlägt. Er soll in der Regel einen halben Basispunkt, das heißt 0,005 Prozent oder die Hälfte eines
e eines Hundertstel Prozent betragen. Ein derartig niedriger Steuersatz hat keinen Einfluss auf den Devisenhandel und wird - so auch Spahn - Finanzspekulation weder verhindern noch vermindern. Seine Lenkungsfunktion ist daher Null. Gegen die Währungsspekulation ist die Zusatzsteuer da, die allerdings nur von Entwicklungsländern eingeführt werden soll. Der Kampf gegen Finanzspekulation wird also auf letztere abgeschoben. Für die Industrieländer würde sich die Sache darin erschöpfen, eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen, die sie beliebig verwenden könnten - bei Einführung durch die Europäische Union rechnet Spahn mit 17 bis 20 Milliarden Euro. Der Vorschlag, den "Normalsteuersatz" so niedrig anzusetzen, ergibt sich aus Spahns Erklärung - ich meine Fehldeutung - für den außerordentlich großen Umfang des Devisenhandels, die berühmten 1,2 Billionen US-Dollar pro Tag. Spahn hält diesen Umfang nicht für ein Problem, sondern für einen Vorteil, weil er universelle Liquidität bereit stelle. Er mache es möglich, dass jederzeit an jedem Ort der Welt beliebige Mengen beliebiger Devisenpaare gegeneinander getauscht werden können, ohne dass dies die Kurse in Turbulenzen bringe. Spahn sieht - in meinem Verständnis - die weltweite Liquidität als unerschöpflichen Stausee, aus dem alle, die Währungsgeschäfte tätigen wollen, schöpfen können, ohne dass er austrocknet. Er wird aus Millionen kleiner Rinnsale gespeist, die von allen Seiten kommen und von denen keines einen besonderen Einfluss auf die Höhe des Wasserspiegels hat oder den See aufwühlen könnte. Die Rinnsale sind in Spahns Sicht die Makler und Händler. Sie stehen miteinander in Konkurrenz, daher sind ihre Gewinnmargen - die Differenz zwischen An- und Verkaufskursen - gering und reduzieren sich letztlich auf eine Art Bereitstellungsgebühr für weltweite Liquidität. Diese Ansicht halte ich für ein Missverständnis der Entwicklung auf den Devisenmärkten in den vergangenen zehn Jahren. Wenn Märkte reibungslos funktionieren sollen, muss es natürlich immer ein gewisses Überangebot geben. Das ist bei Märkten für Kühlschränke nicht anders als bei Märkten für Geld und Währungen. Die Frage ist aber, ob dieses Überangebot bisweilen so groß wird, dass daraus eine Krise entsteht. Bei Kühlschränken wissen wir, dass dies so sein kann. Krisen wegen exzessiver Liquidität auf den Devisenmärkten aber kann es in Spahns Sicht gar nicht geben, weil Überliquidität in seinem Verständnis nicht vorkommt. Wenn jedoch für alle internationalen Handels-, Investitions- und Kreditgeschäfte mit verschiedenen Währungen nur zwischen fünf und zehn Prozent der tatsächlichen Währungsumsätze gebraucht werden, ist es schwer zu glauben, dass die restlichen 90 bis 95 Prozent sozusagen als Reserveliquidität erforderlich sind. Devisenumsätze, die den gesamten Währungsbestand der Welt alle anderthalb Tage einmal umschlagen, schießen weit über die Bereitstellung von Liquidität hinaus. Sie produzieren vielmehr massive Überliquidität, für die es zwei Gründe gibt. Erstens handeln Devisenhändler nicht, um Liquidität zu schaffen, sondern um Handelsgewinne zu erzielen. Je kleiner die Margen pro Umsatz sind, desto größer muss die Zahl der Umsätze sein, damit Gewinne zustande kommen. Daher sind Händler an häufigen Umsätzen interessiert und treiben die Märkte weit über das funktional vernünftige Maß hinaus. Das destabilisiert und kann Währungskrisen provozieren. Zweitens werden die Händler selbst getrieben. Sie stehen unter dem Druck eines weltweiten Überangebotes an liquiden Mitteln. Dessen Ursachen liegen darin, dass das Wirtschaftswachstum während der vergangenen 20 Jahre schwächer geworden ist und gleichzeitig eine drastische Umverteilung von Einkommen und Vermögen zugunsten der oberen Einkommensschichten und der Unternehmensgewinne stattgefunden hat. Soweit die am oberen Ende der Gesellschaft konzentrierten Gelder keine güterwirtschaftliche Verwendung finden, bleiben sie als Liquidität bestehen - auf den Geldmärkten wie auf den Devisenmärkten. Da liegen sie aber nun nicht ruhig und warten, bis jemand kommt und sie in den güterwirtschaftlichen Kreislauf einspeist. Auch liquide Mittel suchen Rendite, und der globale Devisenmarkt ist ein Feld, auf dem sie sich verwerten können. Der spektakuläre Umfang der Währungsumsätze ist daher im wesentlichen angebotsgetrieben. Der Drang zur Verwertung treibt liquide Mittel in die Spekulation, führt zu schleichendem Aufbau von Auf- oder Abwertungsdruck, der sich immer wieder - vermittelt über Anfangsspekulation und Herdentrieb - zu Attacken gegen Währungen formiert, die ansonsten nur wenig am weltweiten Devisenhandel teilnehmen. Spahns Hinweis ist richtig, dass die Zahl von 1,2 Billionen US-Dollar pro Tag insofern in die Irre führt, als es sich um Umsätze handelt, die in einem bestimmten Erhebungsmonat (April 2001) anfielen. In jenem April gab es aber keine besonderen Turbulenzen. Deshalb dürften die Umsätze in Zeiten spekulativer Attacken erheblich höher liegen. Daraus aber zu folgern, der "Normalumsatz" habe nichts mit Spekulation zu tun, halte ich für falsch. Der Normalumsatz ist vielmehr ständig auf dem Sprung zur Spekulation. Um zum Bild zurückzukommen: Der See ist unruhig, es gibt Tausende verborgene Strömungen, ihr Druck nimmt zu, sucht schwache Stellen im Staudamm und führt dazu, dass dieser schließlich bricht - mit katastrophalen Folgen für die Betroffenen und auch - wie während der Asienkrise deutlich wurde - für die Umwelt. Spahns Vorschlag einer Zusatzsteuer für den Fall bereits erheblich fortgeschrittener Spekulation ist eine produktive Ergänzung des vorhandenen Instrumentariums zur Kontrolle der Finanzmärkte. Seine Interpretation des "normalen" Devisenhandels als stabilitätsfördernder Austausch von Liquidität halte ich demgegenüber für überwiegend falsch und seine - folgerichtige - Vernachlässigung spekulativer Risiken beim normalen Handel für politisch verharmlosend und potenziell kontraproduktiv. Diese Überlegungen veranlassen mich, gegenüber dem Spahn-Gutachten an dem Vorschlag eines höheren "Normal"-Steuersatzes von 50 oder 100 Basispunkten, also 0,5 oder einem Prozent festzuhalten. Dieser wesentlich höhere Steuersatz würde den Umfang des Devisenhandels vermutlich deutlich vermindern und viele Händler aus dem Markt verdrängen. Der Handel von Gütern und Dienstleistungen, Investitionen sowie Kredit- und andere nicht-spekulative Finanzgeschäfte hätten dagegen nichts zu befürchten. Sie würden vielmehr profitieren, wenn man den Sumpf exzessiver Devisengeschäfte trockenlegt.
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