Die erste Treuhandanstalt (THA) der DDR konstituierte sich nach heftigen Debatten zwischen der Bürgerrechtsbewegung und der Regierung von Hans Modrow Mitte März 1990. Man hatte sich geeinigt, die Volkseigenen Betriebe in Aktiengesellschaften, Treuhandanstalt und GmbHs zu überführen. Dabei kam die THA in den folgenden Monaten nur langsam voran, was nicht weiter erstaunte. Es gab Differenzen zwischen Lothar de Maizière (CDU), dem Sieger der Volkskammerwahl vom 18. März, und seinem wichtigsten Koalitionär in der – wie sich bereits im Frühsommer 1990 abzeichnete – letzten DDR-Regierung, den ostdeutschen Sozialdemokraten. Man stritt über den Weg in die Marktwirtschaft und wusste, dass es mit einem Wandel in der Rechtsform von DDR-Unterneh
nehmen nicht getan sein würde.Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Ost-SPD sollte sich noch einmal bestätigen, dass Letztere dem ersten Treuhandbeschluss vom Februar nur zugestimmt hatte, um dadurch einen Ausverkauf des Produktivvermögens der DDR zu verhindern. Nun setzten die Sozialdemokraten in zähen Verhandlungen zunächst durch, betriebliche Vermögen über einen von der Treuhand organisierten Fonds zu privatisieren. Es sollte gestaffelte Vorkaufsrechte für DDR-Bürger beim Erwerb von Anteilen an Betrieben geben. Das freilich setzte ein weitgehend dezentrales Privatisierungsverfahren voraus. Auch sollten Grund und Boden, auf dem Produktionsstätten standen, in Staatshand bleiben und die erworbenen Anteilsrechte bis zum Oktober 1994 (!) nicht frei handelbar sein. Es war demnach an einen Eigentumstransfer gedacht, der die DDR-Bürger als einstige Eigentümer des Volksvermögens nicht außen vor ließ und einer rigorosen Flurbereinigung in der ostdeutschen Wirtschaft Grenzen setzte.Anders als bei der Währungsunion – der wichtigsten auf dem Wege zur Vereinigung beider deutscher Staaten betriebenen Maßnahme – wollte sich die neue Regierung in dieser Frage also nicht den westdeutschen Vorstellungen unterwerfen. Die Aussagen de Maizières zur künftigen Arbeit der Treuhand blieben denn auch in der Regierungserklärung vom 19. April vorsichtig und vage. Von „Entflechtung volkseigener Betriebe“ und deren „Überführung in geeignete Rechtsformen“ war lediglich die Rede. Dies schloss eine schnelle und umfassende Privatisierung aus. Was wiederum eine Reaktion aus Bonn heraufbeschwor: Der in Aussicht genommene Prozess sei, hieß es in der Vorlage eines Regierungsdirektors für Bundeskanzler Helmut Kohl, „aus unserer Sicht problematisch. Aus der Behandlung der Eigentumsfrage schimmert immer noch die alte ideologisch gefärbte ‚Ausverkaufsangst‘ heraus“.Bonner KonzeptEinen Monat später legten Kanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium den als „Bonner Konzept“ bekannten Entwurf eines Treuhandgesetzes vor, in dem nachdrücklich auf eine umgehende und flächendeckende Entstaatlichung von Wirtschaftspotenzial Wert gelegt wurde. Diese Vorlage fand ihren Niederschlag in dem am 18. Mai 1990 von beiden deutschen Regierungen unterzeichneten Staatsvertrag. Darin hieß es: „Unternehmen im unmittelbaren oder mittelbaren Staatseigentum sind so rasch wie möglich wettbewerblich zu strukturieren und so weit wie möglich in Privateigentum zu überführen.“ Fünf Tage später wurde Finanzminister Theo Waigel (CSU) noch deutlicher: „Der Treuhandanstalt, die noch von der Übergangsregierung Modrow errichtet wurde, kommt bei der Privatisierung des Industrie- und des Grundvermögens eine zentrale Rolle zu. Sie ist allerdings nach ihrem personellen und organisatorischen Zuschnitt denkbar schlecht für diese Aufgabe gerüstet. Die DDR-Regierung wird jetzt eine schlagkräftige Beteiligungsverwaltung aufbauen, die in der Lage ist, schnelle Privatisierungserfolge zu erzielen.“Anfang Juni wandte sich Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann (FDP) in einem Brief an Kanzleramtsminister Rudolf Seiters und verlangte: Über den Draht Kohl/de Maizière solle dafür gesorgt werden, dass beim Privatisierungsprozess „der von den neu entstehenden Gesellschaften (AGs beziehungsweise GmbHs) bisher genutzte Grund und Boden uneingeschränkt in ihr Eigentum übergeht“. Sein Ministerium, so Haussmann, sehe es mit Sorge, dass es Bestrebungen der ostdeutschen Seite gebe, die Treuhand regional und (nach Branchen geordnet) in Form von Aktiengesellschaften zu installieren. Es brauche stattdessen „vom Start weg ein wirklich leistungsfähiges Management“. Mit anderen Worten, Entscheidungen zur Privatisierung sollten so zentral wie möglich und unter Ausschluss von Institutionen der Mitbestimmung fallen. Derartige Gremien hätte es gegeben, wäre es der Treuhand gelungen, Branchenholdings in der Form von Aktiengesellschaften zu gründen und zu etablieren. Der Bundeswirtschaftsminister beendete seinen Brief an Seiters mit dem Satz: „Über die in Betracht kommenden Optionen sollte zwischen Ostberlin und Bonn möglichst umgehend beraten werden.“„Volksenteignung in nie da gewesenem Ausmaß“Am 7. Juni 1990 lag der Gesetzentwurf „Zur Privatisierung und Reorganisation des Volkseigentums“ der DDR-Volkskammer vor. In der Debatte beklagten besonders die Abgeordneter der PDS und von Bündnis 90, die größtenteils aus der Bürgerbewegung kamen: Die Regierung de Maizière habe sich in ihrer Treuhand-Politik einen eigenen Willen verboten, um Bonner Vorstellungen zu genügen. Es fehle der „Gedanke der Volksaktie“. Auch Günter Nooke, Abgeordneter von Bündnis 90, fand die Vorlage indiskutabel. Für ihn bestehe der Sinn des Gesetzes in einer „Volksenteignung in nie da gewesenem Ausmaß“. So könne man „mit der Riesenmenge Volkseigentum nicht verfahren“. Ihm entgegnete ein Abgeordneter der CDU brüsk und trocken: „Diese Regierung hat die Konkursverwaltung von 40 Jahren DDR übernommen, und ein Konkursverwalter verfügt nicht über Vermögen, sondern er hat Schulden zu tilgen.“Nach der Aussprache überwies die Volkskammer die Vorlage an den Wirtschaftsausschuss des Parlaments, der das Gesetz für die zweite Lesung zu überarbeiten hatte. Zu wesentlichen Änderungen kam es indes nicht mehr, so dass am 17. Juni die Abgeordneten der Regierungskoalition aus CDU, DSU (Deutsche Soziale Union), SPD und dem BFD (Bund Freier Demokraten) der geänderten Fassung des Treuhandgesetzes zustimmten. Damit waren per 30. Juni die bis dahin noch geltenden Vorgaben der Modrow-Regierung zu Organisation und Zielen der Treuhand kassiert.Überlagert wurde diese Zäsur vom inzwischen geschlossenen Staatsvertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion. Konkret bedeutete das, mit der Einführung der DM war die DDR endgültig um ihre Souveränität gebracht. Für den Eigentumstransfer galt das allemal. Folgerichtig wurde Detlev Karsten Rohwedder, Vorstandsvorsitzender der Hoesch AG, der Vorsitz des Verwaltungsrates der neu formierten Treuhandzentrale in Ostberlin übertragen. Der Posten des Teuhand-Präsidenten ging an den Vorstandschef der Bundesbahn, Reiner Maria Gohlke. Am 30. Juli konnte das Kanzleramt eine Art Privatisierungsdurchbruch vermelden: „Bisher wurden knapp 9.000 Anträge auf Unternehmensprivatisierung gestellt, in gut 1.100 Fällen ist bereits die Privatisierung von Betrieben erfolgt“. Die von den Ministern Theo Waigel und Helmut Haussmann verlangte uneingeschränkte und rasche Privatisierung lief längst auf Hochtouren.Den Ostdeutschen brachte diese Veräußerung von Volkseigentum so gut wie gar nichts. Weniger als ein Zehntel des privatisierten Produktivvermögens blieb – zumeist über Management-Buy-outs – nach 1990 in ostdeutscher Hand. Statt der zunächst erwarteten Privatisierungserlöse, die an Ex-DDR-Bürger irgendwann als Entschädigung für die mit der Währungsunion erlittenen Verluste beim Geldumtausch ausgezahlt werden sollten, hinterließ die Treuhand Milliardenschulden. Ende 1994 war alles verkauft oder abgewickelt – historisch ein einmaliger Vorgang.