Kleine Wiedervereinigung an der Saar

Saarland 1959 Bald nachdem die D-Mark vor 50 Jahren im Saarland offizielle Währung war, wurde die Hoffnung auf mehr Wohlstand enttäuscht. Das Wirtschaftswunderland brachte ihn nicht

Vor 50 Jahren öffnete sich die Zollgrenze zwischen dem Saarland und der Bundesrepublik. Fortan wurde an der Saar nicht mehr mit Franc, sondern mit D-Mark bezahlt. Das war am 6. Juli 1959 und sein 50. Jahrestag war als regionaler Gedenktag geplant. Doch der fällt nun einmal zeitlich in die Monate, in denen republikweit der „friedlichen Revolution“ und der „großen Wiedervereinigung“ gedacht werden soll. Den Bund kann die „kleine Wiedervereinigung“ nicht kalt lassen und so blieb es nicht bei der für Sonnabend, den 4. Juli geplanten „Festmeile zwischen Innenstadt und ehemaliger saarländisch-deutscher Staatsgrenze“. Im saarländischen Homburg bereiten sich mehrere dutzend Gewerbebetriebe, Gastronomen, Institutionen und Vereine darauf vor. Exakt zum 50. Jahrestag wird die Bundeskanzlerin nach Saarbrücken eingeflogen, um den Festakt zum Jahrestag der „kleinen Wiedervereinigung“ zu eröffnen.

Türöffner für das Wirtschaftswunder

Das Motto der Veranstaltungen bleibt, wie es geplant war: „Willkommen, Wirtschaftswunder.“ Festakt und Festmeile, so wünschen es sich die Veranstalter, sollen „an die von Optimismus getragene Aufbruchstimmung der Wirtschaftswunderzeit erinnern“ – sicherlich tröstlich angesichts der krisengeschüttelten Gegenwart.
Mit der historischen Wirklichkeit hat das Festmeilen- und Festaktmotto allerdings wenig zu tun. Zwar gab es im Saarland durchaus eine „von Optimismus getragene Aufbruchstimmung“, doch die war damals vor und nicht etwa nach dem Tag X zu verzeichnen. Tag X, das ist die bis heute im Saarland übliche Bezeichnung für das Datum des Geldumtauschs, der den Abschluss der „kleinen Wiedervereinigung“ bildete.

Zur Erinnerung: das Saarland wurde bereits 1947 als teilautonomer Staat aus dem Vierzonendeutschland aus- und in das französische Zoll- und Währungsgebiet eingegliedert. 1954 einigten sich die Regierungen der Bundesrepublik und Frankreichs darauf, dem Saarland ein „Europäisches Statut“ zu geben. Die Saarländer darob befragt, lehnten das Statut per Volksentscheid 1955 mit einer Zweidrittelmehrheit ab und plädierten für den Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik. Paris und Bonn waren verblüfft, einigten sich 1956 aber auf eine schrittweise Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik, die mit dem politischen Anschluss am 1.1.1957 beginnen und mit der Währungsunion am Tag X 1959 stattfinden würde. Wann genau der sein sollte, das hatten später die beiden Vertragspartner und nicht die Saarländer zu entscheiden.

Trennung nicht schmerzlich

Den Saarländern hatte die Trennung von Deutschland nach dem Kriege nicht besonders wehgetan. Ihnen ging es besser als den West- und Ostdeutschen, hatten sie doch weder Reparationen zu zahlen noch Ostflüchtlinge aufzunehmen. Frankreich erholte sich schneller als Deutschland von den Kriegsfolgen, und die Franzosen sorgten dafür, dass es der Bevölkerung des Saargebiets nicht schlechter ging als ihnen. Wie gut es den Saarländern ging, konnten sie sehen, wenn sie einmal ihre Verwandten im „Reich“, das heißt in Trier oder Kaiserslautern besuchten. Dort sahen sie aber auch zunehmend mit Neid, wie etwa seit 1952 das Wirtschaftswunder bei den einfachen Leuten ankam. Das Wohlstandsgefälle kehrte sich um. Wie viele von den Saarländern, die bei der Abstimmung im Oktober 1955 Nein zum Europastatut sagten, aber Ja zum Wirtschaftswunder meinten, wissen wir natürlich nicht genau; nur dass die Saarländer während der Abstimmungskampagne ziemlich plötzlich und lautstark (wieder) ihre Zugehörigkeit zu Deutschland entdeckten.

Knappe D-Mark

Mit der politischen Vereinigung begannen die versprochenen Fördermittel aus der Bundesrepublik zu fließen. Auch der einfache Saarländer profitierte in der Regel davon und alle warteten voller Hoffnung auf den (vor ihnen lange geheim gehaltenen) Tag der vollständigen Eingliederung ihrer Heimat ins Wirtschaftswunderland. Als der kam, erstickten die Saarländer fast an der sich über sie ergießenden Warenflut. Sie mussten aber auch feststellen, dass das Geld – die begehrte D-Mark – im Portemonnaie rasch knapp wurde, dass die Preise höher lagen als zuvor jenseits der Grenze beobachtet und man sich rasch verschulden konnte, wenn man Kühlschränke, Staubsauger, Küchenmaschinen und Fernsehgeräte oder auch Autos westdeutscher Markenfirmen besitzen wollte. „Nicht nur die Ratenzahlungen, sondern auch der Wegfall der familienbezogenen Lohnzulagen und die heimlichen Preiserhöhungen im Umfeld der Währungsumstellung (...) führten dazu, dass manche, die vorher die französische Butter auf der Fensterbank kühlten, im neuen deutschen Kühlschrank nur noch Margarine hatten,“ schrieb ein Chronist jener Tage. Mit Demonstrationen, Protestschreiben und anderen spontanen Äußerungen – an einigen Orten sogar durch „Bierstreiks“ – zeigten die betroffenen Bürger ihren Unmut.

Künstliche Ernährung

Besonders empfindlich traf die Saarländer die Einführung des bundesdeutschen Sozialsystems. Es erwies sich als weitaus weniger großzügig als das französisch-saarländische. Entgangen war das soziale Leistungsgefälle den Verantwortlichen in Saarbrücken nicht und sie hatten auch erreicht, dass der Bundestag 1956 die Regierung in Bonn mahnte, dafür zu sorgen, dass „bei den Empfängern von Sozialleistungen im Saarland (...) der Besitzstand gewahrt bleibt“. Als der Tag X aber kam, wehrte die Bundesregierung für das zehnte Bundesland kategorisch alle Versuche ab, durch "fallweise Eingriffe des Staates ... die besonderen sozialen Regelungen künstlich aufrechtzuerhalten".

In Bonn hatte man bald erkannt, dass die wirtschaftlichen Transformationsprobleme an der Saar beträchtlich waren und zusätzliche Bundesmittel erfordern würden. Das Saargebiet musste tatsächlich weitaus länger als vorgesehen „künstlich ernährt werden“, wie der dortige Präsident der Industrie- und Handelskammer die sich entwickelnde Transferwirtschaft charakterisierte. Ungeachtet dessen hatte sich zehn Jahre nach der „Rückgliederung“ die Wettbewerbsfähigkeit der saarländischen Wirtschaft, gemessen an ihren „Exporten“ über die Landesgrenze hinaus, kaum erhöht. 1968 antworteten bei einer repräsentativen Befragung 22 Prozent der Saarländer, dass es ihnen besser ginge als vor dem Tag X, aber 34 Prozent meinten, es gehe ihnen schlechter, unter den Arbeitern waren es sogar 45 Prozent. Immerhin jeder dritte Befragte glaubte, dass es dem Saarland besser ergangen wäre, wenn die Vereinigung mit dem Wirtschaftswunderland nicht stattgefunden hätte.

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