High Noon

linksbündig Der amerikanisch-europäische Antagonismus und die Intellektuellen

Eine große Frage, welche die Sozial- und Geisteswissenschaften seit je her bewegt hat, lautet: Sind es Interessen oder Ideen, die soziale und politische Wirksamkeit entfalten? Intellektuelle neigen in der Regel dazu, sich für die Ideen zu entscheiden. Manche sehen den »Geist« sogar in einer prinzipiellen Gegnerschaft zur durch Interessen geleiteten »Macht«. So schmückte Günter Grass seine Ablehnung des amerikanischen Krieges gegen den Irak symbolisch mit einem Gedicht von Matthias Claudius. Gerne wird auch dieser Geist mit dem Attribut »europäisch« (früher meist: »deutsch«) versehen, wohingegen die geist-, geschichts- und kulturlose Macht selbstredend in Amerika zu Hause sei.

Neben diesen »Geist«-Intellektuellen gibt es aber auch solche, die keine Berührungsängste mit der Macht haben. Im Gegenteil: Macht ist der Gegenstand ihres Räsonierens, wobei sie aber Wert darauf legen, nicht mit ihr identifiziert zu werden, sondern sie aufgeklärt zu analysieren und zu kritisieren. Vor allem die »realistische Schule« betrachtet die internationalen Beziehungen nüchtern als ein von nationalen Interessen geleitetes Machtringen zwischen Staaten, bei der es auf Ressourcen ankommt und nicht auf Ideale. Ebenso schenken »Strukturalisten« in der Regel der Welt der geistigen Produkte geringe Aufmerksamkeit und interessieren sich für harte Fakten wie die demographische Entwicklung oder große Strukturveränderungen in der Ökonomie.

Der Realist Robert Kagan, Kolumnist der konservativen Washington Post, liest daher nicht von ungefähr den europäischen Kollegen angesichts ihrer gesinnungsethischen Selbstgerechtigkeit gründlich die Leviten. Für ihn ist die ideologische Kluft, die sich zwischen Amerika und Europa auftut, zuerst eine Frage von Stärke und Schwäche. Weil die Europäer relativ schwach seien, bemühten sie sich um den Aufbau einer internationalen Ordnung, in der das Völkerrecht und internationale Organisationen eine wichtigere Rolle spielen als die Macht einzelner Staaten. Für die Europäer sei der UN-Sicherheitsrat beispielsweise ein Substitut für die Macht, die ihnen im Übrigen fehle.

Der Strukturalist Emmanuel Todd, Wissenschaftler am Institut National d´Études Démographiques, bewertet die strukturellen Machtrelationen dagegen genau umgekehrt. Für Todd, der bereits 1976 den Zusammenbruch der Sowjetunion vorhergesagt hat, ist die USA eine Weltmacht auf Abruf. Die Vereinigten Staaten seien mittlerweile ein »Problem für die Welt«, ein »Unruhestifter«, als Militärmacht »überflüssig«, ein »räuberischer Staat«, vom »Fieber der Ungleichheit« geschüttelt, »tolpatschig«. Amerika sei ein »schwarzes Loch, das Waren und Kapital in sich aufsaugt, ohne selbst gleichwertige Güter liefern zu können«, und die globale Speerspitze einer »Revolution gegen die Gleichheit, eines oligarchischen Umbaus für noch mehr Geld und Macht für die Reichsten und Mächtigsten«.

Interessant ist, dass sowohl Kagan als auch Todd letztendlich die These vom kulturellen Antagonismus, vom Krieg der Ideen zwischen Amerika und Europa teilen. Kagan erinnert die Europäer daran, dass es in einer Welt, die durch die Antagonismen von Staaten und von Armut und Reichtum strukturiert ist, nicht nur »Shopkeeper«, sondern auch »Sheriffs« geben müsse. Todd glaubt, zwischen Europa und den Vereinigten Staaten bestehe ein Zivilisationskonflikt: »In Europa herrschen die Werte des Agnostizismus, des Friedens und des Ausgleichs vor, die der amerikanischen Gesellschaft dieser Tage fremd sind.«

Kagan und Todd, die »harte Fakten« wie Machtressourcen, Interessen und Strategien zur Analyse internationaler Politik bemühen, landen schließlich bei der »Kultur« und sind selbst Produkte der Konkurrenz zwischen Amerika und Europa. Sie demonstrieren, dass Ideen einerseits durch Interessen bestimmt werden und es andererseits Ideen sind, die erst definieren, was Interessen - in beiden Fällen nationalistische Interessen - sind. Kagan und Todd sind nicht einfach Boten des Antagonismus, sondern machen gemeinsame Sache mit »ihrer« Kultur. Sie bedienen binäre Identitätskonstruktionen und zementieren, ja radikalisieren die machtpolitischen Widersprüche zwischen zwei hegemonialen Blöcken. Der Apologet Amerikas und der Apologet Europas haben sich bereits zum ideologischen Showdown um »zwölf Uhr mittags« getroffen.

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