Blaue Blume

Tonabnehmer Die Hamburger Band Blumfeld

Die Hamburger Band Blumfeld hat seit ihren Singles aus dem Jahr 1991 eine dicke blutrote Spur durch viele Jungen- und Mädchenherzen gezogen. Bereits mit ihrem ersten Album Ich-Maschine im folgenden, dem Nirvana-Jahr '92, wurden sie als große Pophoffnung gehandelt, und auf ihren Konzerten wisperte eine bekehrte Anhängerschar ihre Lieder wie quasireligiöse Texte mit.

Jochen Distelmeyer, Sänger, Autor und im besten Sinne Bandleader, bringt tatsächlich alle Eigenschaften zum Popstar mit: er ist auf seltsame Art hübsch, aber keine Modelschönheit, er ist wandlungsfähig, erscheint aber nichtsdestotrotz immer authentisch, er steigert sich in seine Musik - er steigt geradezu in seine Gitarre hinein -, ist jedoch beileibe kein Mackertyp. Zudem trafen seine Texte Anfang der Neunziger einen Nerv der Zeit, redeten über das Ärgernis Deutschland und über den Ausweg Liebespolitik.

Auch die zweite Platte, L'Etat Et Moi, befriedigte diese Ansprüche. In Stücken wie »Jet Set« rang Distelmeyer um sein Verhältnis zu einer vergesellschafteten Welt. Die Konzerte Blumfelds waren druckvoll und treibend, vermieden aber zugleich nicht das weit hinausgelehnte, sehr gefühlvolle Sprechen über Liebe, das ohne Erröten und Kichern für viele erst auf diesem Wege möglich wurde. Insofern ist es mehr als verständlich, daß große Erwartungen auf Blumfelds neuestem Album, Old Nobody, liegen, sowohl was das Ausgeben einer politischen als auch einer emotionalen Leitlinie angeht. Natürlich sind derartige Erwartungen völlig überhöht, vor allem aber: Old Nobody erfüllt sie überhaupt nicht.

Stichwort Liebespolitik: Bereits seit der ersten Single zeichnete die Distelmeyersche Textarbeit ein hohes und hochkomplex verdichtetes Maß an Zitaten aus, Theweleit regierte, und ganze Horden an Neunzehnjährigen orientierten ihren Leseplan daran. Bislang ging es um Liebesversuche, die von Macht, Staat, Geschlechterkrieg und Sprachlosigkeit bedroht waren. Diesmal beschwören die Texte Zweisamkeit und Familie als Fluchtpunkt.

Insofern ist der Titel der Platte sehr treffend gewählt, nicht nur in puncto altbacken, sondern auch bezüglich des Körpers. Die Welt, in die sich Blumfeld mit dieser Platte hineinverortet, weiß um den Körper nur noch als Schutzfunktion des Herzens. Geilheit oder etwa Drogen kennt man dort nicht.

Dementsprechend hat Blumfeld konsequent seine Musik verändert. Es herrscht nicht länger die Rockgitarre, nein, über weite Strecken der Platte werden die Songs von den Keyboards des neu hinzugestoßenen Bandmitgliedes Michael Mühlhaus getragen. Der Sound ist deutlich dezenter, die Instrumente klingen verhalten, so daß Distelmeyers zarter und schöner Gesang fast schon einsam im Vordergrund steht. In Interviews bekennt sich Distelmeyer, wie seit kurzem viele ehemalige Indierocker, zu seiner Vorliebe für George Michael. Was auf der Platte eindeutig hörbar ist: das Intro und die ersten Gesangstakte der bereits angekündigten Singleauskopplung »Tausend Tränen Tief« lehnen sich - vorsichtig gesagt - sehr eng an George Michaels Hit »Jesus To A Child« an.

Blumfelds mutmaßliches Projekt, ein Popalbum abzuliefern, ist auf jeden Fall gelungen. Allerdings fällt diese Platte selbst im engen Kontext »deutschsprachiger Musik« nicht sehr aus dem Rahmen. Denn wenn man konsequent auch elektronischen Pop in diesen Rahmen einbezieht, ist die Musik auf Old Nobody nicht besonders imposant. Allein, daß es eine Blumfeld-Platte ist, läßt sie vielen außergewöhnlich erscheinen. Doch dabei geht es immer um die Texte, die, wie gesagt, weniger im Diskurs als vielmehr nahe dem Schlager siedeln: »Mit Dir / in ein anderes Blau / wir teilen einen Traum / ein Bild aus anderen Zeiten / so wie Du ein Teil von mir / bin ich ein Teil von Dir / ich kann es spüren / wie wir uns berühren«. Sehr ehrlich, sehr öde. Bei George Michael war der Pop bereits Anfang der Neunziger weiter und handelte bei aller Liebe immer auch vom Loslassenkönnen: Freedom.

Blumfeld: Old Nobody (Big Cat/Zickzack/RTD)

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