Franz Josef Degenhardt, der ewige Sänger der ewigen Schmuddelkinder, hat über die Jahre immerhin sechs Romane vorgelegt, ist aber kaum je als Romancier wahrgenommen worden. Was zum Teil an dem großen Erfolg seiner Liedermacherei liegt, zum anderen daran, daß seine bisherigen Romane, die fast ausnahmslos in Degenhardts Ruhrpottrandheimat spielen, wie in die Länge gezogene Lieder wirkten - gewissermaßen das Buch zum Album waren - und oft die Figuren oder Anekdoten aus beziehungsweise in den Liedern wiederkehrten. Die Bücher waren für Fans gewissermaßen als Schlüsseltexte erkennbar, ansonsten stellten sie ganz ansehnliche Schmöker dar, mehr nicht. Heute lassen sich diese Romane nur noch als Zeitdokument aus den siebziger Jahren lesen.
Nun,
Nun, mit dem jüngsten, dem siebten Roman, Für ewig und drei Tage, verhält es sich anders. Degenhardt hat eine Art Spätwerk vorgelegt, und weniger des Themas als vielmehr der Form wegen ist ihm dabei ein guter, wenngleich auch kein herausragender Roman gelungen. Vor allem aber: es ist Literatur.Zwar wimmelt es hier, wie immer bei Degenhardt, von brachialen Verbrüderungen zwischen Proletariat und Bürgern auf dem Fußballplatz und an der Pommesbude, wie immer wird, der bodenständigen Atmosphäre halber, in einem kaum noch existenten Plattdeutsch gesprochen, wie immer wird derb gefickt, mächtig geraucht, schwer gesündigt und sich mit der Kirche verzankt und versöhnt, daß sich die Balken biegen - kurz, der Roman bündelt mehr Ereignisse und Absonderlichkeiten als eine Soap Opera in einem Jahr. Trotzdem versucht Degenhardt sich hier nicht länger an der Konstruktion einer besseren Welt, die den utopischen Entwürfen des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt aus den Siebzigern entspricht.Zurecht hatte vor einigen Monaten die Titanic auf die miefige bürgerlich-romantische Verklärung des Ruhrpotts und seiner Landschaft durch Degenhardt hingewiesen, dabei allerdings in Degenhardt nur den altersgeilen Automobilfetischisten mit Hang zur Destruktion gesehen. Das jedoch entlarvt nichts und kann weder die Selbstinszenierung Degenhardts als »Väterchen« noch die wilde Liebe der Lehrerschaft zu ihrem Liedermacher erklären, die mit roten Schals ihre SDAJ- oder Juso-Vergangenheit feiert. Es ist die Verknüpfung eines »Wir« mit einer vor Jahrzehnten untergegangenen deutschen Wandervogel-Landschaft, die die meisten Lieder und Bücher Degenhardts so scheußlich macht - der Feind ist dort, wir hier, und je öfter wir die linke Faust recken, desto eher erhalten wir »unsere« Heimat zurück. Aus diesem Grund sind Degenhardts Gegenutopien auch immer völkisch - er ist bekannt dafür, daß er schon mal per Leserbrief interveniert, wenn sein Leib- und Magenblatt für die Arbeiterklasse zu kompliziert geschrieben wird -, denn im Volk ist ihm ein Rest dieser Heimat geborgen. So entpuppt Degenhardt sich letzten Endes als Großbürger, der sich der Geknechteten als Mittel zur Herbeiführung von Authentizität und Weltflucht bedient.Doch, wie gesagt, mit Für ewig und drei Tage verhält es sich anders. An die Stelle der Schwarz-Weiß-Zeichnung von Gut und Böse, zu denen sich liberale Bürger zu verhalten haben, ist eine altersmilde Wehmut getreten, die über das Verschwinden eben dieser Entscheidungsmöglichkeiten spricht und offenbar auch sprechen muß. Dafür ist es nötig, die Welt, wie sie ist, ohne großen Fluchtwillen erst einmal anzuerkennen.Die Handlung des Romans ist einfach: In der auf einem Hügel über der Stadt liegenden Familienvilla der Zur Lindens wird im August 1991 der fünfundneunzigste Geburtstag des Sippenoberhauptes, Karl-Walter, vorbereitet, während zeitgleich in Moskau zunächst geputscht und in Folge die KPdSU verboten wird und die Ära Jelzin beginnt. Karl-Walter überlebt diesen Geburtstag, anläßlich dessen sich die gesamte Familie versammelt hat, nur knapp, erliegt kurze Zeit später einem Schlaganfall infolge sexueller Überanstrengung. Auch andere Familienmitglieder sterben im folgenden halben Jahr entweder an Sex, Selbstmord oder Tollwut, bis der Roman endet, wie er beginnt, und Hans-Walter, der Nachfolger Karl-Walters, in einer neugeordneten Welt seinen sechzigsten Geburtstag begehen kann.Der Wechsel an der Familienspitze (Hans-Walters Tochter Anne-Catherine löst ihren Vater parallel als geschäftliches Oberhaupt ab) macht zugleich den gesellschaftlichen Wandel erkennbar, der sich mit dem Ende der DDR und der Sowjetunion abgezeichnet hat. Das liberale Bürgertum ebenso wie ein sozialdemokratisches Proletariat sind überholte Modelle, die in der Bundesrepublik durch Wirtschaftsliberalismus und verschärfte Trennung zwischen Arm und Reich ersetzt wurden.In gewisser Hinsicht ist Für ewig und drei Tage also der Abgesang des Kommunisten Degenhardt auf die alte BRD, in der sich 1848er-Traditionen des bürgerlichen Miteinanders in Opposition zu Faschismus und DDR länger hatten halten können als anderswo. So verlassen etwa die Kröttmanns, Jugendfreunde Hans-Walters, die als eine Art Hausmeisterpaar bei ihm fungiert haben, das Zur Lindensche Anwesen. Auf die Vorwürfe Hans-Walters, sie hätten doch »jeder von jedem Schwanz und Möse im Mund oder auch anderswo gehabt! Und wieviel Male hätten sie zusammengelegen bei Kälte und Hitze in Bomben- und Gewitterhagel, gelacht, gesungen, gekalwert, gemeinsam gekämpft...« entgegnet der desillusionierte Benno Kröttmann: »Das Bündnis, oder wie man's nennt, gibt's nicht mehr (...) weisse genauso wie wir...«In der Melancholie gleicht Degenhardt hier schon fast dem Filmemacher Emir Kusturica, dem gleichfalls die Mittel fehlen, die Gegenwart aus der Vergangenheit heraus schlüssig erklären zu können. Da bleibt nichts als Wehmut.Franz Josef Degenhardt: Für ewig und drei Tage. Aufbau Verlag, Berlin 1999, 352 Seiten, 39,80 DM
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