Zwergpony

TONABNEHMER Element Of Crime:

Slipper, ein langflusiger Teppich, ein von blöden Blumen übersäter Sessel, ein in einer solchen Umgebung in seiner vollständigen Albernheit absolut entblößter Beistelltisch mit den obligatorischen hellrot bis hellgelben Zierfruchtstücken darauf, die Überflüssigkeit repräsentieren, und aus diesen Slippern ragen schwarze Socken, und darüber hängen eine hellblaue Stoffhose und ein hellblaues Hemd, und davon verkleidet findet sich ein Bierbauch, und eine Hand mit Siegelring ist noch zu sehen und eine zweite, die eine Zeitung hält - ein Bild des Grauens, mit reichlich Gemütlichkeit, fieser Unferne, eben das faßliche, das heile, echte Leben, wie jede und jeder es hassen gelernt hat. Doch das Bild ist verstörend und plötzlich brachial unstimmig, denn zu Füßen des Sessels liegt, zag wie ein Hund an die Schuhe des Herren sich lehnend, ein Pferd, ein Zwergpony, eines mit Zaumzeug noch dazu. Das zeigt das Cover von Psycho, der neuen Platte von Element Of Crime.

Ist das wirklich Psycho, ist das Janet Leigh, aufschreiend und erstochen von Norman Bates in der Maske der Mutter? Nö, wie die Band im Interview betont, eigentlich nicht, der Plattentitel war mehr ein Fake-Titel, weil die Leute ihnen so viel aberwarten und weil sie mit dieser Erwartung spielen wollten. Was so dann doch auch wieder nicht stimmt, denn anders als bei den Platten zuvor singt Sven Regner viel weniger bewußt, zieht die Töne nicht hoch, macht beim Singen keine Wellenbewegungen bis hin zum leisen Lallen, nein, hier geht es Zack auf Zack, diese Platte kommt auf den Punkt. Und ist damit, so vielbeschworen und leergeredet dieser Vergleich seit der Wiedervereinigung auch ist, den ach so vermißten Brecht/Weill-Songs näher, als das meiste, was unter deutschem Chansonismus oder einfühlsam rockendem deutschen Gesang verstanden werden kann - allerdings kann der Vergleich nur für die Gesangsbewegung gelten. Die Lakonie jedenfalls, mit der Element Of Crime auch auf dieser Platte wieder daherkommen, ist, gerade durch dieses Singen eine andere, zugleich tiefgründigere und gleichgültige geworden. Selbstverständliches wird dadurch allzu deutlich sichtbar.

Der hohe Ton des Liebenden und des Dich ters fehlt dieser Platte völlig. Aber was bleibt statt dessen? Wie gesagt, die Texte halten einem Vergleich mit den Brecht-Liedern nicht stand und sie münden in Weisheiten, die nicht überraschen. Aber auf die Texte wurde hier wohl auch nicht der Schwerpunkt gelegt. Die Band hat offenbar nach einer neuen musikalischen Ausdrucksform gesucht. Man scheint die Platte eher durch die für Element of Crime ungewöhnlich breite Instrumentierung und durch den Wert, der auf die Gitarre gelegt wird, verstehen zu können: die beiden Felder Rockmusik und das Schreiben von Songs werden zurückerobert, eine Band kehrt zu ihrer Arbeit zurück, nachdem das Singen auf Deutsch endlich kein Ausnahmefall mehr ist. Daher gleitet der Gesang zurück in die Musik, und das Wie des Gesangs ist genausosehr aussagekräftig wie die einzelnen Liedtextzeilen.

Damit erschaffen sich Element Of Crime allerdings ihr Dilemma: anders als früher sind sie keine Ausnahmeerscheinung mehr und müssen den internationalen Vergleich aushalten. Aber auch der Kritiker kommt anhand dieser Fragestellung zu sich: Will ich es überhaupt so, hat es noch genug Pathos für mich, und kann die Musik zum Knutschen gespielt werden? Also die Frage nach Originalität, persönlicher Wertschätzung und Gebrauchswert. In meinem Fall muß ich mich für die Schweiz erklären, ich bin da unentschlossen. Auf der einen Seite nämlich durchfließt die Platte zunehmend mein Zimmer, auf der anderen Seite finde ich sie unerheblich. Diese Platte zeigt gewissermaßen das Coverfoto, mit der angemessenen Distanz und Verwunderung, allerdings fehlt den Liedern das Pony und damit das Verstörende. Lediglich Desillusioniertheit macht sich breit. Was allerdings nicht das Thema der Platte ist, sondern ihr Inhalt. Gut. Doch gerade daher ist sie eben auf angenehme Art nichts besonderes.

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