Grün, türkis, blau. Das ist für mich eine ideologische Diskussion“, sagt Thies Hansen, Betriebsratsvorsitzender bei dem städtischen Erdgasnetzbetreiber Gasnetz Hamburg. „Wasserstoff wird nach und nach Erdgas als Energieträger verdrängen. Und am Ende des Tages wird der Wasserstoff aus erneuerbaren Energien sein.“ Gasnetz Hamburg, zu 100 Prozent im Besitz der Freien Hansestadt, investiert gerade in den Aufbau eines zunächst 60 Kilometer langen Netzes zur Versorgung der acht größten lokalen industriellen Erdgasverbraucher mit grünem Wasserstoff. „Grün“ bedeutet, dass bei der Erzeugung des Wasserstoffs – durch Elektrolyse – kein CO₂ entsteht, weil die Energie dafür aus erneuerbaren Quellen kommt.
„HH-WIN“ – Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netz – heißt das ambitionierte Projekt. „Da hängen ein Stahlwerk und Aluminiumwerke dran.“ Thies Hansen ist überzeugt, dass Wasserstoff mittelfristig die Weichen für eine grüne Industrieproduktion stellen wird: „Wenn jemand CO₂-freien Stahl vermarkten möchte, was ein gefragter Rohstoff werden wird in Zukunft, dann braucht er dafür grünen Wasserstoff.“
Der Wunderstoff Wasserstoff hat mittlerweile eine eigene Farbenlehre: „Grauer“ Wasserstoff wird aus Erdgas gewonnen – dabei wird CO₂ freigesetzt, entsprechend schlecht ist die Klimabilanz. Wird das CO₂ abgeschieden und unterirdisch gespeichert, spricht man von „blauem“ Wasserstoff. „Türkis“ nennt man das Gas, wenn bei der Produktion kein CO₂, sondern Kohlenstoff in fester Form eingefangen wird.
Noch ist es eher ein Thema für Insider, im Alltag kaum sichtbar: Seit gut einem Jahr hat Deutschland eine „Nationale Wasserstoffstrategie“. Das leichteste Element im Periodensystem soll – neben der Elektrifizierung des PKW-Verkehrs – zu einem zentralen Baustein der Energiewende werden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sieht Deutschland schon in einer „globalen Führungsrolle“: „Wir wollen die Nummer eins werden.“
Die Wasserstoffbegeisterung führte dazu, dass von einem „schnellen Markthochlauf“, einem „Quantensprung“ in der Energieversorgung durch eine neue „Schlüsseltechnologie“ die Rede war. Folgerichtig gingen Ende vergangenen Jahres Wasserstoff-Aktien durch die Decke. Mittlerweile hat sich die Euphorie wieder gelegt, die Kurse fielen, aber nicht auf ihr altes Niveau. Die Märkte sind nervös und warten ab.
Denn noch ist ungeklärt: Kann sich die Technologie durchsetzen? Oder wird sie zum Flop, zum Milliardengrab? Öffentliche Fördermittel jedenfalls fließen nun: Acht Milliarden Euro wollen Bund und Länder im Rahmen des europäischen Programms „IPCEI Wasserstoff“ in 62 ausgewählte deutsche Großprojekte stecken – der erste Scheck über 10,9 Millionen Euro ging Ende Juli an das Vorhaben „Trailblazer“ von Air Liquide und Siemens Energy, die bei Oberhausen im Ruhrgebiet eine 20-MW-Elektrolyse-Anlage zur Erzeugung von Wasserstoff aus regenerativem Strom errichten und 2023 ans Netz bringen wollen.
Es ist ein Mix aus Subventionen und Goldgräberstimmung, aus im Großen und Ganzen vernünftigen Zielen und hochtrabender Technik-Euphorie, der die Energiewende von Anfang an kennzeichnet. Ein grün-kapitalistisches Biotop, in dem mitunter merkwürdige Pflanzen wachsen. Anfang April trat der damalige wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, nach Lobbyismusvorwürfen von seiner Funktion zurück. Spiegel, Zeit und die Stuttgarter Wochenzeitung Kontext hatten dem Politiker vorgeworfen, Abgeordnetenmandat und diverse Nebentätigkeiten in unzulässiger Weise verknüpft zu haben. Pfeiffer selbst bestritt alle Vorwürfe und sah sich als Opfer einer „Kampagne“ mit „konstruierten Behauptungen“. Abgesehen von seinen sonstigen Jobs saß Pfeiffer bis Ende 2020 im Beirat der Firma Hydroma aus Mali, die in dem westafrikanischen Land natürlich vorkommenden („weißen“) Wasserstoff erschließen und exportieren will. Da er im Gestein eingeschlossen ist, kann er nur durch „Fracking“ gefördert werden. Pfeiffer, der im Herbst nicht mehr zur Bundestagswahl antritt, hatte sich als Politiker immer wieder dafür starkgemacht, den künftigen Wasserstoffbedarf vorrangig durch Importe zu decken.
Beispiel Wuppertal
Dass Wasserstoffwirtschaft auch anders geht, zeigen die Wuppertaler Stadtwerke (WSW). 2014 beschloss das kommunale Unternehmen, sein Steinkohlekraftwerk am Standort Elberfeld stillzulegen. 72 Arbeitsplätze fielen damit weg. „Wir haben uns Qualifizierungen überlegt, um die Kolleginnen und Kollegen an anderen Standorten unterzubringen“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Sonja Detmer. Das Konzept ging auf, weil die WSW den Ausstieg aus der Kohle mit dem Einstieg in ein innovatives Projekt verknüpften: Statt aus Kohle wird Fernwärme in Wuppertal jetzt aus einem Müllheizkraftwerk erzeugt, was praktisch ist, denn die Stadtwerke betreiben selbst auch die Müllabfuhr. Doch damit werden nicht nur Haushalte und ein öffentliches Schwimmbad beheizt. Mit Strom aus der Müllverbrennung wird Wasser durch Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten.
Mit dem Wasserstoff betreiben die WSW, die in Wuppertal auch den öffentlichen Personennahverkehr organisieren, Stadtbusse. Bislang erst zehn, bald sollen es 20 sein. Auch wenn das nur zehn Prozent ihrer Busflotte ausmacht, gilt das Wuppertaler Projekt als Beispiel für eine gelungene „Sektorenkopplung“ – die Idee einer nachhaltigen Verbindung von Energieversorgung und Mobilität. Sonja Detmer hat als gelernte Maschinenbauerin früher selbst im Kohlekraftwerk gearbeitet. „22 Jahre lang, die Arbeit hat Spaß gemacht.“ Dennoch hadert sie nicht mit der Energiewende: „Das ist auf jeden Fall der richtige Weg“, ist sie sich sicher. „Wir können die Veränderungen nicht aufhalten. Aber wir wollen sie mitgestalten, im Interesse der Beschäftigten.“
Das Beispiel der Wuppertaler Stadtwerke wirft eine Frage auf, die in den Debatten um den „Green New Deal“ bislang nur am Rande vorkommt: Könnten und sollten gemeinwirtschaftlich organisierte Unternehmen bei der Energiewende eine stärkere Rolle spielen? Ja, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Kommunale Versorger sollten eine stärkere Rolle spielen, weil sie eben auch eine Schnittstellenfunktion haben. Und wenn man jetzt Geld investiert im Rahmen dieser Wasserstoffstrategie, kann man da zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: einmal die Kommunen stärken und gleichzeitig Modellprojekte unterstützen, die auch wirklich zukunftsfähig sind.“ Wichtig sei allerdings, dabei von Anfang an einen konsequent „grünen“ Pfad einzuschlagen: „Wenn wir jetzt erst einmal in CO₂-Pipelines und Infrastrukturen für ‚blauen Wasserstoff‘ investieren, verlieren wir wertvolle Zeit und ketten uns wieder an fossile Energieträger, von denen wir uns jetzt so schnell wie möglich verabschieden müssen.“
Für Thies Hansen vom Gasnetz Hamburg klingen solche Festlegungen zu strikt. Der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft müsse jetzt passieren, findet er, das sei im Moment das Wichtigste. „Aus Sicht der Beschäftigten in der Erdgaswirtschaft in Deutschland ist die Umstellung auf Wasserstoff einfach zwingend notwendig“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. „Ansonsten droht ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen.“ Wenn man erst mal mit Wasserstoff anfange, der ohnehin da sei, ohne zu genau auf die Farbenlehre zu achten, sei das kein Drama, meint er. Nach und nach werde der Anteil des regenerativ erzeugten Wasserstoffs von selbst zunehmen.
„In zehn Jahren wird durch Nord Stream 2 grüner Wasserstoff aus Russland nach Deutschland transportiert“, ist sich Hansen sicher. „Die Russen leben seit 70 Jahren vom Energie-Export, und sie werden nicht sehenden Auges zuschauen, wie eine ihrer größten Einnahmequellen versiegt, weil Erdgas aus dem Markt gedrängt wird.“ Tatsächlich wird der größte Teil des russischen Wasserstoffs bislang nicht mit erneuerbarem Strom produziert – doch die ersten größeren Projekte mit Windparks in Sibirien laufen an. Könnte also sein, dass manche Kritiker von Nord Stream 2 ihre Einwände am Ende aus ökologischen Gründen noch einmal überdenken.
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