Am 1. Dezember wollen in Berlin 3.000 Anhänger der NPD, darunter auch Rechtsextremisten aus Belgien und Spanien, gegen die neu konzipierte Ausstellung über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht demonstrieren, die seit Mitte der Woche in den Kunst-Werken der Hauptstadt zu sehen ist. In Wiesbaden und Bielefeld, wo die neue "Wehrmachtsausstellung" ab Ende Januar 2002 gezeigt wird, haben konservativ regierte Stadtparlamente (in Wiesbaden CDU, FDP und Republikaner, in Bielefeld CDU und Freie Wählergemeinschaft) eine vorgesehene Finanzierung wieder gestrichen. Alte geschichtspolitische Fronten, bevor die Ausstellung überhaupt das Licht der Öffentlichkeit erblickt.
"Geschichte", das zeigen diese Vorgänge, wird eben nicht nur wissenschaftlich erforscht; aus ihr werden Mythen und Legenden gemacht. Mit ihr wird Politik betrieben. Das gilt nicht nur für die Nachkriegszeit nach 1945, sondern auch für die Zeit nach 1990, die sich mehr und mehr als epochale Wende zeigt. Delegitimiert und revidiert werden Traditionen, Verhaltensweisen und Wissensbestände der Bonner Republik, "Lehren" aus der NS-Vergangenheit umgedeutet, schon überwunden geglaubte politische Theorien über den "Totalitarismus" erneuert. Hitler ist wieder das Erklärungsmodell für die Verbrechen des NS-Staates.
Ein pazifistisches oder antimilitaristisches "Sich-raus-halten" soll der neuen Rolle Deutschlands nicht mehr angemessen sein. Zur Rechtfertigung des Bundeswehr-Einsatzes im Kosovo-Krieg wurde auf Auschwitz verwiesen. Der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan wird gar nur noch damit gerechtfertigt, dass sich die weltpolitische Lage geändert habe und Deutschland zum Waffengang einfach verpflichtet sei. Also wieder unsere "Pflicht" tun? Eine selbstbewusste Nation sein, zur Normalität deutscher Macht zurückkehren? Tendenzen, denen die "Holocaust-Debatte" der neunziger Jahre noch entgegenzuwirken schien. Die alte, jetzt neu konzipierte Ausstellung über den Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht war ein Teil dieser Debatte. Was die Macher nicht wollten, noch wollen, lässt sich anscheinend nicht verhindern: die Politisierung der Ausstellung - die Politik mit der Geschichte. Letztere hat einen realen, interessengebundenen Kern: Mit der geschichtspolitischen Debatte über den Vernichtungskrieg und die Wehrmachtsverbrechen war auch die Bundeswehr und ist die neue Militärpolitik ins Fadenkreuz geraten.
Diener der "reinen" Wissenschaft
Jan Philipp Reemtsma, der Mäzen des Hamburger Instituts für Sozialforschung, will davon nichts wissen. Er lässt die historischen Verbrechen der deutschen Wehrmacht erforschen. Die "Kontinuitätsfäden" zwischen kaiserlicher Armee, Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr sind nicht sein Thema - die Involvierung der Bundeswehr in die Wehrmachtsdebatten fanden nicht sein Wohlwollen. Doch wie reagieren, wenn es geschieht? Jedenfalls nicht noch einmal mit einer erfolglosen Abwehr-Klage wie zu Zeiten gegen Rolf-Dieter Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, der eben diesen Zusammenhang behauptet hatte. Das Verhaftetsein in einem Versöhnungs- und Friedenspathos infolge geschichtlicher Erfahrung störe nur bei der "legitimen" Anwendung von Gegengewalt, erläuterte 1995 der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann.
Das heute immer wieder verkündete Ende der Nachkriegspolitik ist zur beliebten Metapher und zum Machtwortgeworden. Das hatte Reemtsma schon 1991 erkannt, als er während des Golfkriegs in der Zeitschrift konkret konstatierte, die Linke habe "ihren Ort" verloren, mit allen für sie bitteren Konsequenzen. Mit dem Ende deutscher Machtbeschränkung, die zur "Etappe der deutschen Nachkriegspolitik" geworden ist, haben sich unübersehbar auch die Fragestellungen in den historischen und Sozialwissenschaften verändert: Viele Akteure, die vor 1989 der herrschenden Politik kritisch gegenüberstanden und im Zuge dessen Geschichtsfragen als politische Gegenwartsfragen verstanden, sind jetzt Diener der "reinen" Wissenschaft geworden und haben sich zur Konformität bekehrt. Theorien und Methoden wurden weniger durch sachliche Überlegenheit als durch Macht entsorgt - durch Mythisierung und Ideologisierung. Die Renaissance der Totalitarismustheorie ist ein Beispiel. So "legitimiert" auch das Machtwort vom Ende deutscher Nachkriegspolitik die neue Militärpolitik; es wird nicht gefragt, ob die Schlussfolgerung zwingend ist. Allein der heftige Streit um den Bundeswehreinsatz im "Anti-Terror-Krieg" belegt ja das Gegenteil. Während durch die Ausstellung die Legende von der "sauberen" Wehrmacht widerlegt wird, werden neue Tabus aufgerichtet, die Antworten auf unerwünschte Fragen verhindern sollen. Die Wehrmacht habe nichts mit der Bundeswehr, der Vernichtungskrieg nichts mit dem "normalen" und "humanitären" Krieg zu tun. Es sind aber Kontinuitäten von der Wehrmacht zur Bundeswehr gerade im Rückgriff auf deutsche Militärdoktrinen der Vernichtungsschlacht belegt.
Mit einem Male galt nicht mehr "der Friede ist der Ernstfall" - sondern der Krieg. Innerhalb der Bundeswehr wurde der neue militärische Auftrag, "deutsche Interessen" weltweit zu sichern, mit historischen Rückgriffen begründet, aber zugleich aus dem Kontext gerissen - der Geschichte aggressiver Eroberungen. Unter neuen militär- und sicherheitspolitischen Voraussetzungen und Anforderungen ist der Mythos Wehrmacht für die Bundeswehr weiterhin traditionsbildend. Die Verbrechen der Wehrmacht wurden bald nach 1945 nicht nur beschönigt - unter maßgeblicher Beihilfe der Westalliierten im Kampf gegen den Kommunismus -, sondern die Führung der Bundeswehr setzte sogar auf Rehabilitierung. Der für Kriegsverbrechen verurteilte, 1952 begnadigte Generalfeldmarschall Kesselring konnte unwidersprochen die deutschen Soldaten für ihre Kriegführung nach "humanen, kulturellen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten" loben - "trotz des blutigen Kriegshandwerks". Im Angesicht des kommunistischen Feindes wurden eigene Verbrechen kaschiert. Manipulation und Lügen sind hier Funktion der Legende.
Tabuzone Völkerrecht
Die neue Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944 beleuchtet die deutsche Aggression auf der Folie damals gültigen Völkerrechts. Insoweit dürfte die Dokumentation mit weiteren Legendenbildungen aufräumen. Manche behaupten ja, erst 1945 in der Konstituierung der UNO seien Menschenrechtsnormen nachträglich gesetzt und illegalerweise rückwirkend angewendet worden. Dass es schon vorher Völkerrechtsnormen gab, wird dabei gern übergangen.
Aktuell neigt die herrschende Denkroutine dazu, die Anwendung prinzipieller Fragen des Völkerrechts auf den Bundeswehreinsatz abzuwehren, ja mit einem Tabu zu belegen. Dass es keine Alternativen gebe zu den Methoden der Kriegführung gegen die Taleban und die von ihnen beherbergten Terroristen, ist eine Sprachregelung derjenigen, die diesen Krieg als Verteidigungskrieg führen. Einwände renommierter Friedensforscher konnten weder im Fall Kosovo noch heute beim "Bündnisfall der NATO" an der Argumentation der USA und ihrer Alliierten irgendetwas ändern. Die Argumente, die von deutscher Seite geäußert werden, denken den Kontext der deutschen Militärvergangenheit nicht mehr mit. Nur deshalb können sie den Bundeswehreinsatz, der jetzt begonnen hat, als alternativlos zwingendes Erfordernis hinstellen. Ist die Gegenwart einmal enthistorisiert, gibt es keine politische Basis mehr, von der aus friedenspolitische Alternativen zur neuen Militärpolitik legitimiert werden könnten.
Es ist die Stärke der neuen "Wehrmachtsausstellung", dass sie die völkerrechtliche Dimension der Verbrechen betont. Es ist umso gefährlicher, dass sie der Enthistorisierung nicht entgegentritt. Die Frage nach den gesellschaftlichen Voraussetzungen des Hitlerfaschismus und seiner Menschheitsverbrechen verschwindet.
Die Ausstellung ist ab 28. November in den Berliner Kunstwerken, Auguststraße/Berlin-Mitte zu sehen. Soeben ist vom Autor wie von Detlef Bald und Wolfram Wette ein Buch zum Thema erschienen: Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege. AtV Berlin 2001, 16,90 DM.
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