Ganze drei Zuschauer (der Autor dieser Zeilen, seine Tochter und eine weitere Touristin) verloren sich in einem schön restaurierten Kinosaal an einem Juni-Samstag in Krakau, um abends zur besten Kinozeit die amerikanische Cheerleaderkomödie Bring it on zu sehen. Der Film trieb in Deutschland unter dem Titel Girls United Hunderttausende von jugendlichen Zuschauern in die Kinos, in Polen aber floppte er und ist damit ein Beispiel dafür, dass es Hollywoodfilme derzeit in Mitelosteuropa zunehmend schwerer haben, ein Publikum zu finden.
Diese Trendwende haben in Polen vor zwei Jahren aufwändig inszenierte nationale Epen eingeläutet: Andrzej Wajdas Pan Tadeusz und Jerzy Hoffmans Ogniem i mieczem (Mit Feuer und Schwert). Die Hälfte aller verkauften Kinotickets (knapp 15 Millionen) entfiel 1999 auf diese beiden Filme. Im ersten Halbjahr 2001 kamen hier erneut zwei lokale Prestigeproduktionen in die Kinos, die sämtliche Hollywoodfilme hinter sich lassen konnten. Präsident Kwas´niewski höchstpersönlich adelte im März die Premiere von Przedwiosnie (Vorfrühling), ein politisches Fresko von Regisseur Filip Bajon, dessen Handlung 1914 in Baku beginnt, bis ins Jahr 1925 nach Warschau führt und von der Liebe in den Zeiten von Aufständen und Revolutionen handelt. Das episch angelegte Werk mit Krystyna Janda und Daniel Olbrychski in prominenten Nebenrollen, von dem es auch eine sechsteilige Fernsehfassung geben wird, sahen bislang 1,6 Millionen Zuschauer. Damit wurden die - für einen polnischen Film relativ hohen - Produktionskosten von 12 Millionen DM bereits wieder eingespielt.
Noch erfolgreicher allerdings lief das hauptsächlich in Nordafrika gedrehte 10 Millionen Mark teure Remake W pustyni i w puszczy (Durch Wüste und Dschungel) nach einem Roman von Henry Sienkiewicz. Die erste Verfilmung dieser Geschichte um ein Geschwisterpaar, das entführt wird und sich selbst befreien muss, stammt aus dem Jahr 1973 und lief auch in der DDR damals im Kino. Das durchaus unterhaltsame Remake setzt auf imposante Schauwerte und lockte 1,8 Millionen Polen mit einem Einspielergebnis von 14,25 Millionen Mark in die Kinos.
Leinwandadaptionen nach Romanen von Sienkiewicz waren schon zu Volksrepublik-zeiten überaus erfolgreich; in der Gegenwart scheinen sie erneut den Erfolg an der Kinokasse zu garantieren. Im Herbst kommt mit Quo Vadis ein weiteres Werk des Nobelpreisträgers von 1896 heraus. Regiesseur Jerzy Kawalerowicz, einst (1966) mit Pharao für einen Oscar nominiert, hat auf seine alten Tage den teuersten polnischen Film aller Zeiten gedreht, unter anderem in Tunesien und Frankreich. Von geplanten 24 Millionen stiegen die Kosten auf 34 Millionen Mark. Die Produzenten dieser rein polnischen Produktion sind sich jedoch sicher, dass es Jerzy Kawalerowicz gelingen wird, an den Erfolg von Pharao anzuknüpfen, den damals 9 Millionen Zuschauer allein in Polen sahen.
Aber nicht nur der hausgemachte Kostümfilm feiert in Polen gute Erfolge, auch mit gut gemachten »B-Pictures«, in denen gestandene Schauspiel-Stars als Actionhelden auftreten, werden zunehmend Marktanteile besetzt. Der »Held« des erfolgreichsten polnischen Films des Vorjahres war allerdings ein Kardinal, der in den fünfziger Jahren von den Kommunisten festgehalten wurde. Prymas verdeutlicht aber auch, wie national bis nationalistisch das neue polnische Erfolgskino derzeit ist. International hat sich noch keines dieser Werke durchsetzen können.
Im viermal kleineren Tschechien haben seit dem Erfolg von Jan Sveráks Kolja 1996 eine ganze Reihe junger Regisseure so etwas wie eine zweite »neue Welle« begründet. In den letzten fünf Jahren konnte Hollywood nur einmal mit Titanic den besucherstärksten Film des Jahres stellen. Auch die internationale Anerkennung blieb dieser neuen tschechischen Welle nicht versagt: Kolja erhielt 1997 den Oscar für den besten ausländischen Film und Jan Hrebejks Kriegskomödie Musime si pomahat (Wir müssen zusammenhalten) wurde dieses Jahr nominiert.
Einige der tschechischen Filmemacher sind dabei ganz nah am Puls der Zeit, so wie David Ondricek oder Petr Zelenka. Mit skurrilen Komödien porträtieren sie die heutige Jugend zwischen Buddhismus, Hedonismus und Anarchie. Das in dieser Art bisher gelungenste Werk Samotari (Rumhängen) bündelt das Lebensgefühl einer ganzen Generation anhand eines Freundeskreises im heutigen Prag. Drehbuchautor Zelenka und Regisseur Ondricek gehen mit der eigenen Sprache und Kultur wohltuend ironisch um. So bittet in Samotári der ständig zugekiffte Jakub einen Taxifahrer, ihn doch ähnlich zu bescheißen wie die übrigen Touristen. Er wird daraufhin unsanft aus dem Taxi befördert. Seit seinem Kinostart im April 2000 haben 520.000 Tschechen diesen Film gesehen, der damit zum erfolgreichsten Film des Jahres avancierte.
Mit seinem fünften Film, Tmavomodry svet (Dunkelblaue Welt), ist es Oscarpreisträger Jan Sverák nun ein weiteres Mal gelungen, ein großes Publikum zu finden. Zunächst heiter und beschaulich erzählt er von tschechischen Piloten, die im zweiten Weltkrieg auf der Seite Englands gegen die Deutschen kämpfen. Besonders gelungen sind den Sveráks (Vater Zdenek schrieb das Drehbuch) die Szenen, die von den Unterschieden in Kultur und Temperament zwischen Briten und Tschechen berichten. Als zwiespältig kann man die Szenen der Rahmenhandlung empfinden, in denen die einstigen Helden im stalinistischen Gefängnis gezeigt werden. Amerikanischen Verleihern waren diese Szenen schlicht zu düster. Sie baten den Regisseur, sie für einen eventuellen Kinostart in den USA heraus zu schneiden, was Jan Sverák jedoch ablehnt.
Seit Mitte Mai, also in nur sechs Wochen, wollten in Tschechien über 530.000 Zuschauer Dunkelblaue Welt sehen, ein absoluter Rekord. Doch selbst wenn der Film am Ende des Jahres die magische Besuchermillion erreicht haben wird, kann er auf dem kleinen tschechischen Markt bestenfalls die Hälfte seiner Kosten einspielen. So bleibt Sveráks Film, was seine hohen Produktionskosten anbelangt, eine Ausnahme. Das durchschnittliche Budget für einen tschechischen Film liegt zwischen zwei und vier Millionen Mark.
Ganz anders sieht die Lage des nationalen Kinos in Ungarn aus. Hier haben es die einheimischen Produktionen bislang immer noch sehr schwer, sich auf dem Markt zu behaupten. Eine neue Generation mit Draht zum Publikum wie in Tschechien existiert nicht. Viele der Altmeister drehen tapfer alle zwei bis drei Jahre einen Film, der jedoch in der Regel kaum mehr als 20.000 Zuschauer erreicht. Allein dem fast 80jährigen Miklos Jancsó gelingt es noch, mit seinen ironischen Filmessays auch jüngere Besucher in die Kinos zu locken.
Der anhaltende Misserfolg der ungarischen Filmproduktion rief die neokonservative Regierung auf den Plan. Ein neues staatliches Filminstitut wurde geplant, das, direkt dem Kultusministerium unterstellt, mittels »Skriptdoktoren« und Top-Produzenten die Qualität der Drehbücher verbessern helfen sollte. Die Branche zeigte sich jedoch undankbar und verglich die Regierungspläne mit den dunkelsten Rakosi-Zeiten. Seit der nationalen Filmwoche im Februar diesen Jahres verhärteten sich die Fronten sogar noch, zum Nachteil der Filmemacher, da das Staatsbudget für Filmförderung auf niedrigem Niveau eingefroren bleibt. Nur für besondere Prestigeprojekte werden Sonderzuwendungen locker gemacht: 14 Millionen Mark darf Regisseur Géza Bereményi ausgeben, um in Hidember (Der Mann auf der Brücke) das Leben des Grafen Széchenyi, eines der wichtigsten ungarischen Denker und Politiker des 19. Jahrhunderts, zu verfilmen. Das Geld stammt hauptsächlich vom Kulturministerium.
Das zweite Millionenprojekt dieser Art ist die Verfilmung einer Oper von Ferenc Erkel, Bank Bán, mit einem Budget von 4 Millionen DM, wofür sogar der 1956 emigrierte Starkameramann Vilmos Zsigmond (der für Steven Spielbergs Unheimliche Begegnungen der 3. Art den Oscar erhalten hat) aus Hollywood zurück kehrte. Pikant ist die Wahl des Regisseurs: Csaba Kael, bisher lediglich als regierungstreuer Werbe- und Medienfachmann bekannt, dreht mit Bank Bán sein Debüt. Sein Partner András Wermer - ein gelernter Filmemacher - ist der Regierungssprecher von Ministerpräsident Viktor Orban.
Ungarische Monumentalfilme waren bislang alles andere als Erfolgsgaranten. Ein Historienschinken mit Franco Nero und dem bescheidenen Titel Sacra Corona brachte es in diesem Frühjahr auf nicht einmal 100.000 Zuschauer, die zudem hauptsächlich aus der Provinz kamen. So bleibt abzuwarten, ob sich der »polnische Weg« auch auf die kleinen Länder mit nur 10 Millionen Einwohnern wie Tschechien und Ungarn übertragen lässt.
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