Hierzulande versuchen die öffentlich-rechtlichen Sender mit Hilfe von Musikantenstadln und lustigen Volksmusikern mit den privaten Sendern quotenmäßig Schritt zu halten. Wenn also bei den Kollegen des tschechischen Staatsfernsehens ausgerechnet Karel Gott seine goldene Stimme in einer großen Fernsehshow am Freitagabend strapaziert, scheint sich Europa wenigstens im Kitsch zur besten Sendezeit zu vereinen.
Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Karel Gott pünktlich zum Kindertag in der Abschlussgala des ältesten Kinder-und Jugendfilmfestivals der Welt im mährischen Zlin mitwirkte, die dem tschechischen Fernsehen immerhin eine 45-minütige Liveübetragung wert war. Denn Karel Gott spielt im neuesten tschechischen Kassenhit Glück aus der Hölle 2 gleich eine Doppel-Rolle: als Luzifer und ... Gott. Im Film geht es um geklaute Babys, einen Königssohn und ein Drachenjunges, rachsüchtige Prinzessinnen und jede Menge netter Teufel. Die unterhaltsame Mischung, angereichert durch optisch überzeugende Special Effects, unterhält bereits seit drei Monaten das Publikum, war wochenlang die Nummer 1 der Kinocharts und brachte es bereits auf über 300.000 Zuschauer - für Tschechien ein überwältigendes Ergebnis. Glück aus der Hölle ist ein routiniertes Erfolgsmärchen aus der Hand von Regisseur Zdenek Troska, der bereits den erfolgreichsten tschechischen Film des Vorjahres Die Prinzessin Müllerin 2 (ebenfalls bereits das Sequel eines Kinohits) drehte.
Anders nämlich als in der amerikanischen Kinokolonie Deutschland, wo sich das junge Publikum an Disney-Dinosaurieren oder Cheerleaders erfreut und Hollywood dadurch Marktanteile von weit über 80 Prozent beschert, setzt man in Tschechien auf Unterhaltung aus eigener Produktion. Unter den Top 20 befinden sich derzeit immerhin acht einheimische Filme, vier davon waren in Zlin zu sehen. Die Genres reichen vom Musical mit historischem Hintergrund bis hin zum bitterbösen Gruselmärchen Otesánek von Jan S?vankmajer, in der ein Baumast zu einem gefräßigen Holzkind mutiert.
Die Gründe dafür, warum dieses tschechische Filmwunder vom Ausland bislang weitgehend ignoriert wird, lässt sich vielleicht an Rebelové (Die Rebellen) des 35-jährigen Videoclip-Spezialisten Filip Renc ausmachen. Gut gebaute schöne Mädchen und schöne Jungs trällern und tanzen sich 110 Minuten lang durch perfekt choreographierte Musicalnummern. Die Handlung - drei Deserteure werden kurz vor dem Einmarsch der Russen 1968 von der Liebe aufgehalten - gerät dabei völlig zur Nebensache. Rebelové ist überaus nett anzusehen, kann tschechische Versionen von Hits wie Downtown als Exotikfaktor aufbieten, bleibt jedoch im Vergleich zum großen Vorbild, Milos Formans Hair, politisch und filmisch belanglos. Die internationale Jury vergab für diesen Beitrag im Wettbewerb Jugendfilm für 13-18jährige (der deutsche Beitrag Crazy ging leer aus) immerhin den wichtigen zweiten Preis, der vom tschechischen Mediengiganten Bonton Film gesponsert wird und den eine extra aus Paris eingeflogene Emanuelle Béart übergeben durfte.
An Geld mangelt es nicht in Zlin, das Festival verfügt über ein komfortables Budget von 20 Millionen Kronen (weit über eine Million Mark). Der Staat und die veranstaltende Stadt bringen jedoch nur knapp 50 Prozent der Gesamtsumme auf, den größten Anteil bezahlen Sponsoren, die das Bild der Festivalstadt auch dementsprechend optisch prägen. Für ein so anspruchsvolles und reichhaltiges Programm (insgesamt 262 Lang- und Kurz-Filme), wie es in Zlin innerhalb einer Woche zu sehen war, nimmt man die immer gleichen Spots und Dankesreden jedoch gerne in Kauf. Zumal die Atmosphäre des Festivals vor allem durch sein Publikum bestimmt wird: Wenn weit über 1.200 Kinder vor Beginn jeder Vorführung im größten Einzelkino Tschechiens einen Riesenlärm veranstalten, darf wer will, sich ziemlich ungeniert wieder als Kind fühlen. Bei Filmen, in denen es etwas zu lachen gibt, ist das eine beeindruckende Atmosphäre, geht es ernster oder gar tragisch zu, wirkt das junge Publikum jedoch zuweilen unkonzentriert und überfordert.
So herrschte ausgerechnet beim Festivalsieger Ali Zaoua, einem marokkanischen Film über Straßenkinder in Casablanca beispielsweise ein ständiges Kommen und Gehen. Auf noch mehr Desinteresse stieß eine anspruchsvolle Nebenreihe des Festivals, die mit acht Filmen aus den sogenannten Vis?egrad-Ländern Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien bestückt war. Bestenfalls eine Handvoll meist ausländischer Gäste versammelten sich so bei den ungarischen und polnischen Beiträgen in der großen Aula der nach dem Schuhfabrikanten und Stadtgründer Tomas Bata benannten Universität. Während der Vorführungen strömten wieder und wieder Jugendliche in Gruppenstärke in den Saal, die sich lautstark unterhielten und ihre Anschlussfähigkeit an Europa unter Beweis stellten, indem sie pausenlos ihre Mobiltelefone klingeln ließen.
Dabei hatte sich Programmdirektor Pavel Melounek gerade von dieser Filmreihe gewiss eine andere Art der Völkerverständigung erhofft. Konnte man doch in den ganz unterschiedlichen Beiträgen gewisse Tendenzen im osteuropäischen Kino feststellen: Dass es in Polen beispielsweise ein funktionierendes Starkino um Mimen wie Cezary Pazura, Boguslaw Linda oder Marek Kondrat herum gibt. Letztere haben sich nun auch als Regisseure in politisch angehauchten Thrillern versucht. In Kondrats Regiedebüt Prawa ojca (Das Recht des Vaters) geht es vordergründig um die Rache eines Vaters, dessen 16jährige Tochter in einer Disco von drei jungen Männern vergewaltigt und fast ermordet wurde. Was sich zuerst wie eine reaktionäre polnische Variante von Ein Mann sieht rot anließ, entpuppte sich als relativ anspruchsvolles, clever gemachtes Unterhaltungskino.
Die beiden einzigen slowakischen Filme dagegen setzten auf osteuropäisch Bewährtes. Hannah und ihre Brüder ist eine krude durchgeknallte Farce, die mit viel Hysterie, Sex und Symbolismus aufwartet - eine filmische Zumutung. Martin Sulik, der mit Der Garten schon einmal einen gesamteuropäischen Erfolg feierte, vermittelt dagegen meisterhaft große Geschichte anhand von Miniaturen in seinem neuesten Werk Krajinka (Landschaft). In dem bereits auf der Berlinale gezeigten Film geht es um ein Jahrhundert slowakischer Geschichte in einem gottesvergessenen Landstrich. Komplizierte historische Zusammenhänge wie der schnell wechselnde Einmarsch von ungarischen, deutschen und russischen Truppen in die Slowakei während des Zweiten Weltkriegs handelt Sulik zum Beispiel an Hand von zwei kleinen Jungs und ihren Abenteuern mit den jeweiligen Soldaten ab. Das bleibt immer menschlich und wird nie denunziatorisch oder ideologisch, wie etwa im polnischen Beitrag An der Pforte Europas, in dem wild grimassierende Bolschewisten sich ständig an aufrechten polnischen Katholiken vergehen und als primitive Anti-Christen schablonenhafte Züge tragen.
Komplettiert wurde diese Reihe von zwei charmanten, kleinen Filmen aus Ungarn, die beide nicht mehr ganz neu waren. Eszak, Eszak (Norden, Norden) lief bereits beim Festival des Osteuropäischen Films in Cottbus 1999 und ist ein reizvolles Roadmovie über eine junge Frau in einer kargen Schneelandschaft, die mit ihrem Fahrrad eigentlich nur den Akku für die Eisenbahn des kleinen Bruders aufladen will. A kis utazas (Die kleine Reise) führt in die DDR der achtziger Jahre in ein Ferienlager mit Ernteeinsatz. Voller lustvoller Ost-Klischees bietet der Film amüsant Nostalgisches in einer Art Sonnenallee-Variante.
Kinderfilme gibt es in Ungarn schon lange keine mehr, aber auch im Märchenland Tschechien hat es diese Genre schwer. Lediglich das Fernsehen produziert moralisch Wertvolles. Ein kleiner Lichtblick war da Kruh (Der Kreis), ein Film über eine 11jährige Spitzengymnastin, die nach einem Unfall im Rollstuhl landet. Ob sie jemals wieder laufen wird, bleibt im halben Happy-End offen. Für den Programmchef Pavel Melounek ist Der Kreis ein erstes Zeichen dafür, dass vielleicht in Tschechien auch wieder Filme für Kinder und Jugendliche entstehen, die zeitgenössische Themen aufgreifen. Da sieht der Journalist und gleichzeitig erfolgreiche Produzent von Glück aus der Hölle 1 2 noch viel Nachholbedarf.
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