Beim Holzwirt in Kirchgrub droben saß an einem helllichten Werktag, unangekränkelt von irgendwelchen Selbstzweifeln, mittendrin unter den Stammtischlern – die teilweise schon im Austrag waren, zum Teil aber auch arbeitslos, weil sie wegen ihres Alters oder wegen chronischer körperlicher Beschwerden oder auch aufgrund irreversibler Alkoholsucht die volle Leistungsfähigkeit nicht mehr erbringen konnten – der Gastwirt und Zugehmetzger Zuber Storch und führte da das große Wort. Das Mittagläuten vom Kirchgruber Kirchberg herüber war bereits wieder verklungen, und der Zuber Storch sollte eigentlich schon seit zehn Uhr beim Seewirt in Seedorf unten die mit 100 Kilogramm Lebendgewicht fertig gemästete und schon in die Steige zum Hinaustragen verfrachtete Sau schlachten – so war es jedenfalls mit dem Seewirt seit vierzehn Tagen ausgemacht –, hatte sich aber an diesem Tag beim Frühschoppen, mit dem er, wenn er zum Schlachten ausrückte, seinen Arbeitstag beginnen ließ, derart festgesessen, dass es noch lange nicht so aussah, als ob er bald aufbrechen würde. Zweimal schon war beim Holzwirt angerufen worden, und zweimal schon hatte der Holzwirt dem anrufenden Seewirt gegenüber den Zuber Storch verleugnet: Dass der hier bei ihm in der Gaststube heute noch nicht aufgetaucht sei und dass er ihn aber selbstverständlich, sollte er demnächst noch vorbeikommen, an die Verabredung erinnern und gleich losschicken werde nach Seedorf hinunter. Wenn der Seewirt noch ein drittes Mal anruft, hatte der Holzwirt nach dem zweiten Anruf zum Storch gesagt, und du immer noch da hockst, dann werde ich nicht mehr lang herumreden, dann hol ich dich ans Telefon, und wenn es sein muss mit dem Flaschenzug.
Ja, das ist gut, das machst, hatte der Zuber geantwortet, den nehm ich dann gleich mit, den Flaschenzug, dem Seewirt seiner taugt nichts mehr, weil der ist noch vom Ersten Weltkrieg; mit dem haben sie noch die Franzosen aus die Keller herausgezogen, wo die sich versteckt haben vor die Unsrigen vor lauter Hosenschiss. Aber eine hafergefutterte bayrische Sau kriegst du mit dem nicht mehr in die Höh.
Lautes, meckerndes Lachen der umsitzenden Bierdimpfel dankte ihm diesen formalpatriotischen Spruch.
Der Zuber war, wie immer, wenn ein paar zusammensaßen und ihm zuhörten, voll in seinem Element. Gerade war er dabei, breit vorzutragen, wie ungerecht doch seit einem halben Jahr sein Sohn, der ein Autogeschäft von seinem vorherigen, selbst kinderlos gebliebenen Chef geerbt hatte, vom zentralen VW-Konzern in Wolfsburg behandelt werde. Er, sein Sohn, müsse beim Verkauf eines Neuwagens diesen zuerst beim Generalverkäufer für Volkswagen, dem Autogroßhändler Brenner, einkaufen und könne ihn erst danach an seinen Kunden weiterverkaufen. Das heißt, sagte der Zuber bitter, der andere, der Brenner, der kassiert die Prämien für den Verkauf und meim Buben bleiben nur eine paar geschissene Einnahmen aus dem Kundendienst und, wenn es hoch kommt, vielleicht nach Jahren mal, noch die eine oder andere Reparatur. Wisst ihr, was das ist?!, fragte er in die Runde und schaute aggressiv in die teils hämischen, teils verständnislos leeren Gesichter der anderen, das ist ein Monopol, was der Brenner da hat, und ein Monopol ist was Kommunistisches. Russisch. Breschnew. So, jetzt wisst ihr es, wie weit es schon gekommen ist, seit die Sozi bei uns mitregieren.
Ein Monopol ist also kommunistisch! Aha.
Das nahmen sie beim Holzwirt ohne Widerspruch zur Kenntnis.
Wird schon stimmen, was der Storch da sagt, dachten sie stillschweigend, der muss es wissen, denn der kommt herum. Unsereiner hat dafür keine Zeit. Und das Wort Monopol hatten einige auch schon mal gehört. Aber wie es auszudeuten sei, das wusste keiner. Dem Klang nach schien es hohl, dunkel und tief und tatsächlich eher lichtscheu, gesindelhaft zu sein, und da könnte es schon sein, dass es was Kommunistisches ist.
Dann muss er dir halt hin und wiedermal beim Schlachten helfen, dein Bub, damit er nicht verhungert, mitten unter seinem neuen Auto drin, spottete mit seiner heiser leisen Stimme, in der vom Rauchen und vom Saufen schon der Rachenkrebs sein Recht auf Zukunft angemeldet hatte, der arbeitslose Zimmerergeselle Müller Heinz vom Nebentisch herüber. Wirt! Bring mir noch ein Weißbier, rief er hinter die Schänke, damit ich nicht verdurstet bin, bevor dem Zuber sein Bub verhungert ist.
Der Zuber nahm dem Müller seinen Spott nicht übel. Im Gegenteil! Er blühte auf, wenn andere ihn mit ausgefeilten Sprüchen reizten. Dann fühlte er sich eingeladen, mit hart geprägter Münze heimzuzahlen.
Brauchst keine Angst nicht haben, Heinze, sagte er vergnügt zum Müller, verhungern tut mein Bub noch lange nicht. Wenn es für den knapp wird, kann er den Betrieb verkaufen, weil der ihm ja gehört. Aber was machst du, wenn dir das Arbeitslosengeld zum Saufen ausgeht? Verkaufst dann deine Kinder, deine ledigen, damit du weiter saufen kannst? Oder schickst lieber deine Alte am Wochenend nach Seestadt hinunter, damit sie was dazuverdient?
Seestadt war noch sehr weit weg. Und was weit weg war, galt immer als verrufen. In Kirchgrub meinten viele, auch in Seestadt gäbe es schon Freudenhäuser, nicht nur in der Hauptstadt.
Lass meine Kinder draußen! Die gehn dich einen Scheißdreck an, schrie der Heinze ohne Witz rüber. Kümmer du dich um dein eigenes Gschwerl, ich kümmer mich um meins.
Wie ich das gemeint hab? Ja wie denn schon!
Damit sank er wieder zurück auf seinen Platz, von dem er sich kurz erhoben hatte, sank zurück und sank, versank immer tiefer und tiefer, versank in verständnislosem, leiser und heiserer werdendem, dumpf grollendem Lallen. Er hatte bereits den Grand ziemlich voll, und beleidigen konnte ihn nichts mehr. Nichts Konkretes. Trösten aber auch nicht. Er war mittlerweile so gesunken, im Leben und am Biertisch, dass ihm seine ganze Existenz und alles, was um sie herum geschah und Einfluss auf sie nahm, wie eine einzige, nie mehr zu entschuldigende Beleidigung vorkam.
Der Zuber aber hatte schnell erkannt, wie es schon wieder um den Heinze stand, und seine Lust aufs Weitermachen war dahin. Einen, der sich mit einer schon beinahe triebhaften Lebensuntüchtigkeit selber so sehr heruntergewirtschaftet hatte wie der Müller, so einen wollte er nicht noch demütigen. Er hatte es vorgehabt. Für ihn war eine verbale Auseinandersetzung dieser Art immer erst dann beendet, und er selbst zufrieden, wenn sein Gegner vor den anderen blamiert war. Aber das schien ihm jetzt zu unwürdig. Damit wäre er jetzt nicht zufrieden gewesen. Drum schraubte er sich herunter und verlangte beim Wirt nach einem doppelten Obstler.
Wie hast jetzt du das vorher gemeint, Storch, dass die Kommunisten vom VW mit ihrem Monopol deinem Buben das Geschäft ruinieren?
Diese Frage kam vom alten Zacher, der seinen Hof vor einem Jahr an seinen Sohn, den jungen Zacher, übergeben hatte und seitdem immer gerne mal am Tag auf eine Halbe oder zwei zum Holzwirt kam, auch wochentags.
Wie ich das gemeint hab? Ja wie denn schon! Wenn einer schon was hat, dann kriegt er immer noch mehr. Wo der Teufel einmal hingeschissen hat, da scheißt er immer wieder hin. So hab ich das gemeint. Der Brenner hat ja seinen Diridari schon. Jetzt pfuscht er aber bei meim Buben auch noch ins Geschäft hinein. Und das ist alles ganz legal. Da kriegt er keinen Strafbefehl dafür.
Aber es ist doch noch nicht so, bohrt der Zacher weiter in den Zuber, dass der ihm seine ganze Werkstatt nehmen kann, der Brenner deinem Buben seine, mein ich?
Nein, nein, natürlich nicht! Die Werkstatt muss er ihm schon lassen. Damit muss er ja die Prämien erwurschteln, die der Brenner nachher wieder abkassiert.
Ja dann is schon gut. Das wollte ich nur wissen, beruhigte sich der Zacher. Dann is ja nicht so schlimm. Ich hab jetzt grad schon fast gemeint, die könnten meinem Buben schon den ganzen Hof und Grund wegnehmen. Dann hätte ich ihm nämlich sagen müssen, dass er einen Zaun um alle Äcker und die Wiesen baut.
Ja, bau nur einen Zaun um alle Äcker und die Wiesen, äffte der Zuber da den Zacher nach, dass keiner deine Wiesenampfer klaut!, und hatte jetzt nicht die geringste Lust mehr darauf, mit diesem Thema weiter Stammtischpolitik zu treiben, bei so viel tauben Nüssen und verschrumpeltem Verstand um ihn herum. Hans, bring mir noch an Doppelten!, rief er dem Holzwirt in die Küche nach, einen Doppelten und noch ein kleines Bier. Und nachher zahl ich.
Als Stacheldrahtzaunpfosten hatte er die N-Partei sich vorgestellt
Die vorübergehende Aufregung am Stammtisch hatte sich wieder gelegt, die Ellenbogen der Umsitzenden stützten sich wieder mit vollem Gewicht auf den Tisch auf, und die aufgescheuchten Gedanken zogen sich langsam wieder in die verengten Blutwege der Hirnwindungen zurück, um gleich hinter der Stirn hängen zu bleiben. Dösend und ein wenig müde schon, wartete ein jeder auf eine neue brauchbare Eingebung oder den nächsten krachenden Witz eines anderen.
Und wenn dein . . . dein Bub da . . . wenn der mit die Ko. . . ko. . .Kommunisten da . . . ja . . . wenn er mit die allein nicht fertig . . . fertig . . . also . . . ja . . . wird, gell, dann kannst du . . . kannst du ihm ja einen Au. . .au. . .ahhh. . .au. . .Aufnahmeantrag . . . also Au. . .Aufnahmeantrag für unsere Pa. . .Pa. . .Partei mitnehmen . . . Ja . . . kannst du machen . . . Ob mir den dann aber dann aufnehmen . . . haha . . . gell . . . das ist noch lang nicht au au ausgemacht. Gell! Da. . .da. . .damit das klar ist. Gell. Weil Gr. . .Gr. . .Grrrr. . .Grrrr. . .Groß. . .Grrrroßkopferte . . . ja . . . die werden normalerweise ah . . . n. . .n n n nicht zugelassen [...].
Alle schauten jetzt den Müller Heinze an. Alle schauten sie mit Nachsicht. Keiner schaute feindlich. Sie wussten alle, was er meinte, auch wenn er sich grad schwergetan hatte, sein Angebot zu offerieren. Sie wussten alle, dass der Heinze erst vor kurzem aus der Christ-Partei herausgetreten war, als man ihm die Arbeit aufgekündigt hatte, aus der Partei, in der sie selber alle drinnen waren oder die sie, sagen wir, zumindest immer wählten, und in die neue National-Partei hineingetreten war. Das wussten alle. Aber das war weiter auch kein Drama. Die neue NPD-Partei war ja im Grunde auch nicht anders als die alte christliche Partei. Sie war nur kleiner. Und deshalb war man lieber bei der alten, weil man sich da zu den Mehreren gesellen konnte. Obwohl die NPD-Partei schon manchmal besser war für manche Sachen. Die redeten viel deutlicher daher in vielen Dingen. Und auch der Zacher hatte, als er von dem Zaun sprach vorher, den man gegen monopole Kommunisten würde bauen müssen, wenn sie einem den Besitz wegnehmen wollten, an die NPD-Partei gedacht. Als Stacheldrahtzaunpfosten hatte er die N-Partei sich vorgestellt. Der Stacheldraht hätt ruhig ein christlicher sein dürfen, der schaut ja eh wie eine Dornenkrone aus. Nur die Pfosten halt, die den Draht auf Spannung halten, die hätte er sich schon stabil gewünscht, wenn es so weit kommen sollte. Aber solange es so weit noch nicht gekommen war, langte ihm die Christ-Partei auch für die Pfosten. Hauptsache, die Kommunisten und die Fremden kommen nicht zu nah heran.
Denn jeder hatte mindestens schon einmal, wenn er auf dem Amt was unterschreiben musste oder neue Schuhe fällig waren oder wenn er sich beim Arzt den Blutdruck messen ließ oder in der Baywa ein Ersatzteil für den Bulldog kaufte, einen Itaker gesehen in der Kreisstadt unten. Es wurden neue Häuser hingebaut, fast überall, in und um die Kreisstadt rum, und da konnte man sie sehen, diese Italiener, mit den glatt zurückgekämmten schwarzen Haaren auf dem Kopf, wie Dachpapp auf dem Häusl, und den gekräuselten auf ihrer Brust, wie bei die Affen. Und in Seedorf hatte sich der Zehment Jackl als Hilfsarbeiter einen Griechen kommen lassen für sein Baugeschäft, weil der viel anspruchsloser und vor allem auch viel billiger als auf dem Arbeitsamt die deutschen Arbeitslosen war, denen er auch noch die Krankenkasse und Sozialversicherung hätte zahlen müssen.
Josef Bierbichler wurde 1948 als Sohn eines Gastwirts und Bauern am Starnberger See geboren. Zahlreiche Auszeichnungen als Film- und Theaterschauspieler. Lebte mit Herbert Achternbusch in einer WG
Mittelreich erscheint am 12. September im Suhrkamp Verlag.
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