Die Logik des Krieges

Koha Ditore

Am 10. Dezember 1998, zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die UNO-Generalversammlung, lud die amerikanische Schauspielerin Vanessa Redgrave einige Künstler, Professoren und Anwälte aus dem Kosovo zu einem Informationsgespräch in eine New Yorker Privatwohnung. Bei dieser Gelegenheit lernte ich den Anwalt Bajram Kelmendi kennen, der sich im Kosovo der politischen Gefangenen annahm und auch der einzig verbliebenen albanisch-sprachigen Zeitung, Koha Ditore, juristisch zur Seite stand. Herr Kelmendi erzählte von den Schikanen der serbischen Behörden, die ihm seine Tätigkeit schwer machten und ihn oft daran hinderten, seine Klienten überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Die Professoren erzählten, daß sie ihre Seminare in Wohnungen abhielten, da die albanische Mehrheit in der Universität von Pristina nicht mehr geduldet war. Als es jedoch um die politischen Perspektiven des Kosovo ging, wurde die Runde kleinlaut und zerfiel in Privatgespräche.

Zu dieser Zeit waren die Auseinandersetzungen im Kosovo schon so weit eskaliert, daß kein Zweifel am wahren Wunsch der albanischen Mehrheit bestehen konnte. Achtzig Prozent der Bevölkerung, so versicherte mir Herr Kelmendi, will nicht einfach nur das Selbstbestimmungsrecht, sondern strebt eine Vereinigung mit Albanien an.

Wir sprachen dann darüber, daß diese Situation dem serbischen Präsidenten Milosevic sonnenklar sein dürfte, aber merkwürdigerweise von der internationalen Gemeinschaft nicht offen angesprochen wird. Man tat immer noch so, als könnte es im Kosovo eine albanische Autonomie mit Loyalität zu Serbien geben. Diese Weigerung, der Realität ins Auge zu sehen, hat die UÇK - oder KLA, Kosovo Liberation Army, wie sie im Westen genannt wird - erst zu einem entscheidenden politischen Faktor werden lassen.

Die Ziele der KLA sind klar: 1) Die Vertreibung der Serben aus dem Kosovo. 2) Die Errichtung eines großalbanischen Staates. Wenn man - nur als Gedankenspiel - statt Serben Albaner sagt und statt großalbanisch großserbisch, hat man damit nicht genau das definiert, was man als das Grundübel der Politik von Milosevic bezeichnet?

Ein friedvolles Zusammenleben im Kosovo würde nicht nur den Abzug der serbischen Truppen verlangen, sondern auch die Entwaffnung der KLA. Von letzterem ist aber nicht mehr die Rede. Indem die NATO ein Ziel herbeibomben will, das im Kosovo in Wirklichkeit niemand vertritt, macht sie sich zur Luftwaffe der KLA. Einflußreiche amerikanische Politiker fordern eine massive Aufrüstung der KLA, um die eigenen Jungs bei der Dreckarbeit am Boden zu schonen.

Der Kosovo-Krieg hat seine eigenen Ziele gefressen. Ein multiethnisches Zusammenleben, das scheint mittlerweile allen klar zu sein, ist dort mit militärischen Mitteln nicht erreichbar. Bleiben als Kriegsziele der Sieg gegen Milosevic und die Beendigung des Mordens. Welchen Mordens, muß man freilich fragen, je länger der Krieg dauert.

Am 24. März, an dem Tag, an dem die NATO-Luftangriffe begannen, wurde die Zeitung Koha Ditore von der serbischen Polizei geschlossen. Am nächsten Morgen kamen Polizisten ins Haus von Herrn Kelmendi. Er und seine beiden Söhne Kastriot und Kushtrim wurden geschlagen und mitgenommen. Als seine Frau, die Anwältin Nekibe Kelmendi, sich bei den serbischen Behörden nach dem Verbleib ihres Mannes und ihrer Kinder erkundigte, wurde ihr gesagt, sie solle sich an die NATO wenden. Einen Tag später wurden sie erschossen bei einer Tankstelle zwischen Pristina und Kosovo Polje aufgefunden.

Ich erwähne Herrn Kelmendi, weil er von den mittlerweile Hunderten Toten seit dem Beginn der NATO-Luftangriffe der einzige ist, den ich gekannt habe. Er und seine Söhne wurden von den Serben getötet. Hätte es das NATO-Bombardement nicht gegeben, würde er vermutlich genauso noch leben wie die 17 Bewohner des Bergmannsdorfes Aleksinac, die versehentlich zum Ziel einer Bombe wurden, oder wie die Menschen in jenem Zug, der zufällig in dem Moment eine Brücke überquerte, als eine Rakete einschlug. Während die NATO in Novi Sad, vierhundert Kilometer nördlich des Kosovo, Fabriken und Brücken bombardierte, wurden in der Stadt Djakovica, im südwestlichen Kosovo, massenweise Zivilisten und Flüchtlinge niedergestreckt. Und ausgerechnet dort warf ein NATO-Pilot seine Bombe versehentlich in einen Flüchtlingskonvoi. Von Djakovica waren vor den Luftangriffen keinerlei Kämpfe berichtet worden.

Wieviele der im Kosovo geschlachteten Albaner zu retten gewesen wären, kann niemand sagen. Aber sicher ist, daß die Luftangriffe den serbischen Polizisten und Soldaten offenbar jede Hemmung genommen haben. Nur Stunden, nachdem die ersten Bomben gefallen waren, wurden im Dorf Bela Crkva als Vergeltungsaktion 62 ethnisch albanische Männer erschossen. Die Namen der Ermordeten wurden kürzlich von Human Rights Watch nach intensiven Zeugenbefragungen veröffentlicht. Es geht nicht darum, daß unklar wäre, wer hier die Schuldigen sind. Es geht darum, daß man diesen Verlauf der Ereignisse hätte wissen müssen oder auch tatsächlich wußte und in Kauf genommen hat.

Wenn Milosevic, so hoffte man, nach Monaten des Taktierens, endlich einmal sehen kann, wie ernst es den Alliierten ist, würde er schnell einlenken. Einem Bericht der New York Times zufolge, schätzte jedoch der amerikanische Geheimdienst schon am zweiten Tag der Bombardements die Lage so ein, daß Milosevic mit Luftangriffen allein nicht zu bezwingen sei. Was folgerte man daraus? Aufzuhören und andere Mittel zu suchen? Das sehe dann ja wie ein Sieg von Milosevic aus. Man folgerte, daß der Geheimdienstbericht nicht stimmen darf.

Der Krieg erzeugt eine eigene Logik. Sie hat nichts mit dem Lösen von Konflikten zu tun, sondern zielt auf das Zerstören ihrer Ursachen, die jedoch, wenn man sie nicht ganz zerstören kann, um so stärker werden.

Zur Logik des Krieges gehört es, daß die Feinde einander nicht nur bekämpfen, sondern viel mehr noch einander als Feinde hervorbringen.

Der Krieg hat das, was er bekämpfen wollte, ins Vielfache gesteigert. Entweder man folgt der Kriegslogik, nimmt noch viele Menschenopfer in Kauf und sucht mit Bodentruppen Kontrolle über das Land zu gewinnen, oder man gönnt dem neu entbrannten Serbischen Nationalismus den Triumph, die halbe Welt besiegt zu haben.

Gönnt den Serben diesen Triumph, wenn dadurch Menschen zu retten sind. Verlaßt die Logik des Krieges. Macht ein großzügiges Hilfsangebot. Es wird langfristig mehr bewirken als Bomben.

Der vollständige Text erscheint am 26. April im Wiener Nachrichtenmagazin Profil

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