Als BDI-Chef Hans-Olaf Henkel in jener berühmten Wahlnacht dem SPD-Kandidaten gratulierte, kommentierte Schröder: »Den haben wir fertig.« Es ist zu hoffen, daß er das nicht einmal in der verständlichen Sektlaune wirklich dachte. Es lief zu glatt für den Shareholder Value, als daß jene, die heftig eingestrichen haben, plötzlich die grundgesetzliche Sozialverpflichtung des Eigentums zur Corporate Identity erklären würden. Was geschieht, faßte die Wirtschaftswoche Anfang März so zusammen: »Das Crescendo der Kritik, des Ärgers, ja der Wut, das derzeit aus Deutschlands Unternehmen schallt, ist bitterer Ernst: Das Kapital probt die Revolution.«
Die Situation wäre heute nur marginal anders, hätte es handwerkliche Unzulänglichkeiten und handfesten regierungsamtlichen Bockmist nicht gegeben. Es ist ja nachvollziehbar, daß Interessengegensätze sich bisweilen heftig äußern, das macht Standpunkte deutlicher. Verständnisvoller Diskurs wie beim gemeinsamen Müsli-Essen ist langweilig. Warum aber die Regierung - wie gesagt: Handwerk einmal ausgeklammert - so schlecht aussieht, hat wenig mit der Aussagekraft der Argumente zu tun. Vielmehr stellen all jene, die rot-grün nicht wollten, unter Beweis, was ihnen niemand zugetraut hätte: Sie sind kampagnenfähig.
Beide Regierungsparteien und die Gewerkschaften - die mehrheitlich für diese Wende gekämpft haben - wurzeln in der sozialen Bewegung oder sind eine solche und werden nun auf ihrem ureigenen Feld in die Defensive gedrängt. Ihre Gegner drechseln, manipulieren, schüren Ängste.
Ein Beispiel, weil gerade wieder der Energiekonsens gescheitert ist. Wegen der in der letzten Woche beschlossenen Steuerreform, die den Gewinn etwas schmälern würde, droht etwa Manfred Timm von den Hamburgischen Electrizitätswerken: »Ohne Änderung der jetzigen Reform gibt es keinen Konsens.« Wie der noch nicht erreichte Konsens aufgekündigt wurde, erläutert Veba Chef Ulrich Hartmann: »Keine Regierung kann uns zwingen, in Deutschland zu investieren.« Und: Wir können »genausogut ein Kraftwerk in Holland, in Dänemark oder in Polen bauen«. Edmund Stoiber hatte gewarnt, auf dem Weg des Ausstiegs werde kein industrialisiertes Land folgen.
Als Antwort auf Stoiber ein Satz aus einem Bericht der Financial Times: »Deutschland ist nur die letzte einer langen Reihe westlicher Regierungen, die Pläne angekündigt hat, Investitionen in die Nuklearenergie auslaufen zu lassen oder zu stoppen.« So gesehen haben wir über den Kompromißweg möglicherweise den Anschluß verpaßt. Was die Flucht über die Grenze angeht - Veba kann vieles im Ausland bauen, Kernkraftwerke nicht. In ganz Westeuropa und Nordamerika ist derzeit nur ein Kernkraftwerk im Bau, in Civaux nahe Poitiers. Mit Ausnahme Finnlands denkt kein Land über neue AKW nach, auch nicht die Kernkraft-Freaks in Britannien und Frankreich. Die letzte Bestellung der USA stammt aus dem Jahr 1978 und ist abgearbeitet.
Argumentationen auf der Basis falscher Fakten - Demagogie also -, gepaart mit der Drohung abzuwandern, schüren die Angst, das Land könnte von der industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden, und gefährden die zivile Kultur. Wem das eine Nummer zu groß ist: Sie fördern die Bereitschaft nachzugeben. Zum Beispiel wenn es heißt, ein Atomausstieg brauche wegen der technischen Probleme seine Zeit. Es gibt jenseits der Technik ein anderes Problem. Der spanische Nuklearexperte Adolfo de Ubieta - kein Grüner, sondern Chef eines AKW - hat ausgerechnet, daß wegen der hohen Investitionen und geringen Betriebskosten ein AKW nach frühestens zehn Jahren schwarze Zahlen schreibt. Bei einem Erdölkraftwerk sind die Investitionen weitaus geringer, die laufenden Kosten höher. Ergebnis: schwarze Zahlen nach zwei Jahren. Es ist also klar, warum AKW nur langsam abgeschaltet werden können - ein Schelm, der Schlechtes denkt.
Am schnellsten sind solche Kampagnen beim Thema Arbeitsplätze zu mobilisieren: Vor jeder Runde des Bündnisses für Arbeit kommt die Drohung auszusteigen. »Sollten die Gewerkschaften weiter die Stimmung anheizen ..., plädiere ich bei den Bündnisgesprächen für eine Denkpause.« So DIHT-Chef Hans-Peter Stihl vor dem Metall-Abschluß. Die Kampagnen-Munition ist dieselbe, die 16 Jahre lang Kohl den Rücken freihielt, ohne daß dies als Kampagne klar genug erkannt wurde. Was man täglich lesen kann: Das Jobwunder in den USA gibt es »vor allem auch, weil die Lohnspreizung nach unten nicht wegtarifiert wurde«. »Geringere Gewinne aber führen zu geringeren Investitionen, die dringend benötigten neuen Arbeitsplätze werden nicht geschaffen.« Nötig seien »Reparaturmaßnahmen samt Einschnitten in den Sozialsystemen«. Die dahinterstehenden Vorschläge wurden reichlich erprobt. Zumindest in der zweiten Hälfte der Kohl-Ära gab es massiven Sozialabbau und dennoch die größte Arbeitslosigkeit nach 1945.
Investoren - wie Kapitalisten heute heißen - haben nach offiziöser Auffassung nichts anderes im Sinn, als sich Tag und Nacht den Kopf zu zermartern, wie sie mit ihrem Geld Arbeitsplätze schaffen. Der banalen Betriebswirtschaftslehre zufolge ist ihre Funktion, Gewinne zu erwirtschaften, ob sie nun nette Leute sind oder Fieslinge. Die Tatsache, daß bei Massenentlassungen die Aktienkurse steigen, zeigt, daß sie ihren Job verstehen. Nur muß dann auch mal klar sein, daß Menschen in Lohnarbeit andere Interessen haben.
Einen bemerkenswerten Knick erhielt die Kampagnenfähigkeit des Kapitals bei den Tarifverhandlungen im Bankenbereich. Der ohnehin geringe Organisationsgrad hatte es den Gewerkschaften schwer gemacht, sich zu behaupten. Ein Angebot mochten die Arbeitgeber nicht vorlegen, dafür aber den Samstag als Regelarbeitstag fordern. Und intern schob die Deutsche Bank hinterher, daß ein Betriebsteil, der zum Outsourcen vorgesehen ist, nicht in den Arbeitgeberverband geht - also nicht tarifgebunden ist -, wenn die Gewerkschaften nicht spuren. Als die Gewerkschaften die Verhandlungen für gescheitert erklärten, war es dem Kapital nicht mehr so ernst: War alles nicht so gemeint. Ende März auf ein neues, tarifgebunden - klar, wir sind doch zivilisiert. All das zeigt nur eines: Man kann outsourcen, verlagern, Investitionen nicht tätigen - eines aber bleibt: Wenn Gewinne erwirtschaftet werden sollen, ist nach wie vor lebendige Arbeit nötig. Das mal wieder ins Bewußtsein zu bringen, wäre eine Kampagne von Regierung und Gewerkschaften wert.
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