Viel TTIP, ein bisschen CETA und so gut wie überhaupt nichts zu TiSA – so lässt sich die gegenwärtige Debatte über den Freihandel beschreiben. Während die Freihandelsabkommen der Europäischen Union (EU) mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) eine lautstarke öffentliche Debatte ausgelöst haben, rankt sich um das „Trade in Services Agreement“ (TiSA) weiter eine Mauer des Schweigens. Am vergangenen Montag trafen sich Unterhändler der USA, der EU und 21 weiterer Staaten – darunter Australien, Kanada, Japan und viele lateinamerikanische Staaten – in Genf, ein öffentlich beachtetes Thema war das kaum.
Der Widerstand gegen das Dienstleistungsabkommen formiert sich langsam und sehr spät. Seit 2012 wird verhandelt, erstmals fanden sich am Montag rund 250 Demonstranten vor der australischen UN-Botschaft ein. Sie überreichten eine Petition mit 300 000 Unterschriften - „Geheimes Abkommen TISA stoppen“.
Ganz dicke Freunde
Wie schon bei TTIP und CETA inszenieren sich die Verhandlungspartner als Wohlstandsbringer. Ganz unironisch bezeichnen sie sich selbst als „wirklich gute Freunde der Dienstleistungen“.
Ihr Ziel: den Handel mit Dienstleistungen so weit wie möglich zu liberalisieren. Das birgt ähnlich existenzielle Fragen wie die zu Arbeits- und Verbraucherrechten sowie Rechtsstaatlichkeit bei TTIP und CETA. In den Kampagnen von NGOs wie Campact spielt TiSA bisher aber eine eher untergeordnete Rolle.
Dabei sind die Szenarien, die durch TiSA drohen könnten, nicht minder gruselig als gentechnisch veränderte Lebensmittel in Europa und eine Aushöhlung nationalstaatlicher Rechtsprechung durch Lobby-gesteuerte Schiedsgerichte: Schulkantinen unter der Regie von McDonalds, Trinkwasser von Nestlé, Gesundheitstourismus in arme Länder.
Klar erkennbares Ziel des Dienstleistungsabkommens sind die Gemeingüter, die heute zumindest partiell noch unter öffentlicher Kontrolle stehen: Kindergärten, Altenheime, Strom, Wasser, Bildung, Gesundheit.
Für multinationale Konzerne ist der öffentliche Sektor eine Goldgrube, ihn nicht kommerziell auszuschlachten eine unverzeihliches Unterlassungsdelikt. Es wundert daher kaum , dass die Initiative für TISA von Unternehmen ausging: Ihnen gingen entsprechende Verhandlungen über die multilaterale Deregulierung des Dienstleistungssektors im Rahmen der WTO zu langsam. Aus Frustration über das Scheitern der Doha-Runde 2008 übernahmen die Konzerne selbst die Initiative. Die Global Service Coalition, ein internationaler Zusammenschluss von Lobbyisten aus den USA, Europa und mehreren Schwellenländern drängten ihre Regierungen zu einem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen außerhalb des multilateralen Rahmens der WTO. Seit 2012 wird nun verhandelt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Verhandlungsort ist die australische Botschaft in Genf.
Gleiches Recht für alle?
Inhaltlich geht es um die altbekannte Liberalisierungsagenda: Bei der Vergabe von Aufträgen und Konzessionen, beim Zugang zu Märkten und in der Rechtssprechung soll TISA gleiche „Bedingungen“ zwischen inländischen und ausländischen Marktteilnehmern schaffen. Kritiker befürchten folglich, dass gestärkte Zugriffsrechte privater Akteure auf bisher öffentlich kontrollierte Bereiche Sozialstaatlichkeit und Demokratie weiter erodieren lassen.
In der reinen Logik der TISA-Befürworter sollte eine US-amerikanische Privatuniversität Anspruch auf die gleiche Förderung wie eine staatliche Universität haben, will sie etwa in Deutschland einen Ableger eröffnen. Regierungen könnten sich in der Folge vor die Wahl gestellt sehen: Aufteilung öffentlicher Gelder auf neue private Anbieter einer- und die ohnehin schon chronisch unterfinanzierten staatlichen Hochschulen andererseits. Oder eben die Aufgabe jeglicher Subventionierung, egal für wen. Um die Hochschulbildung kümmert sich dann der freie Markt.
Auch deutschen Sparkassen kann TiSA nicht gefallen, sind sie in Freihandelslogik doch staatlich geförderte Banken mit öffentlichem Auftrag - und damit übervorteilt.
Goldgrube Gesundheitssystem
Die größten Gewinne wittern Lobbyisten allerdings in der weiteren Kommerzialisierung des Gesundheitssystems. TISA soll den Weg ebnen für einen „Gesundheitstourismus“ zwischen den Staaten. Für Hüft-OPs oder Kniegelenke sollten Menschen dann in Länder reisen, wo es diese billiger zu haben gibt. Zahlen würden dies weiterhin die Krankenkassen des Heimatlandes. In einem geleakten TISA-Dokument der Verhandlungen vom September 2014 in der Türkei heißt es: Es gibt ein großes, ungenutztes Potenzial für die Globalisierung von Gesundheitsdiensten, vor allem weil diese vom Staat oder Wohlfahrtsorganisationen angeboten werden. Für ausländische Konzerne bestehen aufgrund dieses fehlenden Wettbewerbs zu geringe Anreize“.
Dr. Odil Frank, der das Dokument für die internationale Gewerkschaftsorganisation Public Services International (PSI) analysiert hat, meint: „Der Vorstoß würde Kosten für Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern in die Höhe treiben und die Qualität in westlichen Staaten senken“.
Dass demokratische Institutionen und Regeln nur lästige Einschränkungen wirtschaftlichen Potentials sind, damit hat weder Friedrich August von Hayek hinter dem Berg gehalten, noch tun es Bundeskanzlerin Angela Merkel („Marktkonforme Demokratie“) oder Bundesbank-Präsident Jens Weidmann heute. Deswegen zielen die TiSA-Architekten gleich auf eine Konstruktion ab, die spätere Änderungen am Vertragswerk ausschließen sollen. Eine Liberalisierung soll – ist sie einmal in Kraft getreten - nicht zurückgenommen werden dürfen. Sogenannte Stillstandsklauseln sollen staatliche Regulierung von vornherein erschweren oder gleich ausschließen. So sollen Unabwägbarkeiten wie der Wahl einer Regierung wie der aktuellen in Griechenland von vornherein mit Folgenlosigkeit versehen werden. Bestrebungen, öffentliche Daseinsvorsorge wie Strom oder Wasser zu rekommunalisieren – wie sie auch im Land des deutschen Liberalisierungsmusterknabens immer wieder lokale Bewegungen von unten anzuschieben versuchen – würden unter TISA nahezu unmöglich
Tschüss Datenschutz, Tschüss Finanzmarktregulierung
Im Zuge der TTIP-Verhandlungen ist die Europäische Kommission stark unter Druck geraten. Gebetsmühlenartig versucht sie den Bürgern weiszumachen, Regulierungen würden nicht gelockert, weder beim Datenschutz noch auf den Finanzmärkten. Bei TISA dürfte eine ähnliche Rethorik schwierig werden: Denn hier geht es ja gerade darum, Regulierung zurückzudrehen und auszuschließen. Soll Blockupy sich in Frankfurt vor den Banken austoben, oder halb Deutschland den Whistleblower Snowden zum Helden erklären - in Genf schert das niemanden. Europäischer Datenschutz gilt hier vor allem als eines: ein Handelshemmnis. Aus geleakten TISA-Dokumenten geht hervor, dass kein Land mehr das Recht haben soll, Firmen zu verbieten, Daten außer Landes zu schaffen. US-amerikanische Firmen könnten dann deutsche Daten ungehindert in die USA transferieren. Dieser Dammbruch ließe die – ohnehin zaghafte – Empörung über den NSA-Skandal zur reinen Makulatur verkommen.
Anstalten, die Finanzmärkte oder gar den Schattenbankensektor zu regulieren, soll TISA Kritikern zufolge einen Riegel vorschieben. Die Finanztransaktionssteuer wäre damit schon vor ihrer – immer noch höchst hypothetischen - Einführung Geschichte. Sie wäre als neues Handelshemmnisse vor internationalen Schiedsgerichten anfechtbar.
All das hört sich bekannt an, deckt es sich doch in vielen Punkten mit der Kritik an TTIP. Aber das Dienstleistungsabkommen ist noch weitreichender. Europäische Staaten hätten dann nicht nur mit laschen Standards der USA in Arbeits- oder Umweltschutzfragen zu kämpfen, sondern auch gleich noch mit denen von Paraguay oder Chile.
In einem toppt TISA sowohl TTIP als auch CETA um Längen: Das Maß an Geheimhaltung ist unübertroffen. Lediglich einige geleakte Dokumente gab es im vergangenen Jahr. Das Treffen in Genf seit vergangenen Montag ist bereits die 16. Zusammenkunft der potentiellen Vertragspartner. Höchste Zeit also den Druck auf die „wirklich guten Freunde“ zu verstärken und TISA die gleiche Aufmerksamkeit zu widmen, wie seinen Brüdern TTIP und CETA.
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