Sind die Parteien erschöpft? Erschöpfungszustände setzen Anstrengungen voraus und stellen Erholungsmöglichkeiten in Aussicht. Beides trifft auf das Parteienspektrum, welches die Debatte im Auge hat, nur bedingt zu.
Einige arbeiten hart an ihrem Untergang, wie die Grünen, oder sind am Ende, wie die FDP. Sie haben ihre gesellschaftliche Rolle verspielt, ihre historische Aufgabe erfüllt. Die PDS hat den ungeheuren Vorteil, als gemeinsam von allen aus dem Buddelkasten Geworfene, noch nicht gänzlich Teil des geschäftsführenden Ausschusses des Kapitals geworden zu sein, auch wenn sie es kaum erwarten kann, ihren integrativen Beitrag zu leisten.
Die SPD wird nur noch von Traditionsbewussten gewählt, obwohl sie sich am Ende dieses Jahrhunderts endgültig auch von den letzten sozialdemokratischen Traditionen verabschiedet hat. Die CDU profitiert von beidem und das, obwohl oder gerade weil die derzeitige Regierung beste CDU-Politik macht.
Im Großen und Ganzen lässt sich mit Johannes Agnoli sagen, es regiert die pluralistische Einheitspartei. Parlamentarische Opposition ist nur schwer auszumachen. Kein Wunder, Oppositionsparteien sind nur so stark wie die Bewegung, die sie trägt. Die großen sozialen Bewegungen, die einst die Grünen getragen haben, wie die Friedensbewegung, die Anti-AKW-Bewegung oder die Frauenbewegung haben erheblich an gesellschaftlicher Bedeutung eingebüßt. Personen, die sie zu repräsentieren glaubten, sitzen nun selbst "an den Hebeln der Macht" und halten diese um jeden Preis fest. Viele der Kriegs treiber von heute waren Teil der Friedensbewegung der achtziger Jahre. Argumente von einst dienen heute zur Legitimierung neuer Kriege, wegen Auschwitz fliegen (wieder) deutsche Bomber über Belgrad. Und das von der Regierungspolitik seit Jahrzehnten unterstützte deutsche Kapital verdient nicht nur am Rüstungsexport, sprich Aufrüstung, sondern gleichzeitig an der Ausrüstung derer, die "abrüsten" sollen. Und nach den Kriegen, wie in Jugoslawien, verdienen sie auch noch am Wiederaufbau ziviler Strukturen. Ja, Deutschland als Verfechter der Menschenrechte weltweit.
Großzügig gegenüber den "SED-Opfern", stark gegenüber Krenz und Kleiber, und vor allem hart gegenüber den Forderungen der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen, so äußert sich das neue deutsche Selbstbewusstsein großer Teile der politischen Klasse, die sich schon für neue Kriege moralisch und technisch aufrüstet.
Die Erwartung, dass eine rot/grüne Regierung eine starke außerparlamentarische Bewegung provoziert, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil. Die Grünen sind bei ihrem Marsch durch die Institutionen selbst zu einer geworden.
Von einer Bewegungspartei zu einer Partei von FunktionsträgerInnen, Schmiere im Getriebe statt Gegenkraft. Selbsterhaltung als Antrieb. Die Zeiten des parlamentarischen und außerparlamentarischen Standbeins sind vorbei. Man orientiert sich an der Mitte, wo auch immer diese zu finden ist, in einer Gesellschaft, die mindestens ein Drittel an den Rand und mindestens ein weiteres Drittel durch permanent steigende Selbstausbeutung an den Rand des Nervenzusammenbruchs drängt.
Angesichts dieser Zustände hat es immer weniger Bedeutung, welche Parteien den nächsten deutschen Angriffskrieg führen. Es ist auch nicht mehr wichtig, wer den Niedriglohnsektor mit Arbeitspflicht, die Rentenkürzungen oder den unendlichen Ausstieg aus der Atomenergie durchsetzt.
Parteien als Interessenvertretung, als Transmissionsriemen einer antimilitaristischen, antirassistischen und emanzipatorischen Bewegung haben endgültig ausgedient. Die "Erschöpfung" der Parteien erschöpft die mündige BürgerIn und noch mehr das Gerede von ihr. Leider erwächst aus dieser Erschöpfung bislang nur wenig soziale Gegenwehr. Mit "Geduld" und mit oft weniger als mehr Theorie und oft noch weniger distanzierender Ironie überwintern die Keime potenzieller sozialer Gegenmächte in dieser Zeit der Restauration.
Eingefahrene Gruppenstrukturen funktionieren zwar noch, aber gesamtgesellschaftlich fällt die Arbeit, die dort geleistet wird, kaum ins Gewicht.
Aktuell geht es darum, sich nicht dumm machen zu lassen, nicht dem moralischen Gewäsch der Kriegstreiber sein Ohr zu leihen, nicht den Missionaren der Standortoptimierung zu folgen und nicht denen auf den Leim zu gehen, die nicht oft genug das Wort Verantwortung im Munde führen können, um ihrem mittigen Opportunismus ein schöneres Kleid zu geben. Sich nicht blenden lassen, wenn "politischer Pazifismus" (Ludger Vollmer) vorgegeben wird, was letztlich "Deutsche ans Gewehr" und Krieg meint, oder wenn unter dem Stichwort "Ziviler Realismus" (Wolfgang Gehrke) dem deutschen Soldaten ein blauer Helm verpasst werden soll.
Es geht auch darum, die aktuelle Wirtschafts- und "Arbeitsmarktpolitik" als soziale Ausgrenzungsstrategie zu erkennen und sie so auch zu benennen, da mit dieser Politik lohnabhängig beschäftigte NiedriglohnarbeiterInnen, Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen - und das mit der Begründung, ihnen die Integration in die Arbeitsgesellschaft zu ermöglichen - in neue Pflichtarbeitsprogramme gezwungen werden sollen.
Die Linke muss sich wieder organisieren, nicht damit alle ParteibuchinhaberInnen werden, sondern um die Linke praktisch und theoretisch wieder auf die Beine zu bringen. Die Verhältnisse schreien nach Veränderung, nach einer starken außerparlamentarischen Opposition. Die Herausbildung neuer Solidaritäten ist dafür die Voraussetzung. Linke emanzipatorische Politik muss sich dadurch auszeichnen, dass die strukturellen Zusammenhänge offengelegt, gemeinsame Interessen erkannt und gemeinsam eingeklagt werden.
Ein naheliegendes gemeinsames Ziel sollte es sein, dem anmaßenden Arbeitsethos der pluralistischen Einheitspartei und dem Ruf nach lohnabhängiger Arbeit für alle entschlossen entgegen zu treten. Arbeit für alle heißt Pflichtarbeitsmaßnahmen und 630-Mark-Jobs für viele. Die kapitalistische Verwertungslogik hat Millionen "Überflüssige" produziert, deshalb geht es um ein Auskommen für alle und ein Selbstwertgefühl, das nicht an eine lohnabhängige Arbeit geknüpft ist.
Judith Demba ist Mitbegründerin der "Grünen Partei der DDR" im Herbst 1989. Seit Dezember 1990 war sie für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie wurde als Koordinatorin der Anti-Olympia-Kampagne bekannt. 1999 hat sie die Partei Bündnis 90/Die Grünen verlassen. Die Entscheidung fiel in der Nacht des 15. April 1999, als die Grünen jene meist jungen Besetzer ihrer Geschäftsstelle in Berlin, die gegen den Kosovo-Krieg protestieren und darüber diskutieren wollten,durch die Polizei gewaltsam entfernen ließen.
Bisherige Beiträge:
Ausgabe 43: Parlamentarier
Ausgabe 43: Schön, wenn Kapitalparteien "erschöpft" wären
Ausgabe 44: Locker bleiben!
Ausgabe 46: Des Parteiengesetzes streichen Bündnis 90/Die Grünen
Ausgabe 47: Des Parteiengesetzes streichen Bündnis 90/Die Grünen
Ausgabe 48: Fraktionszwang
Ausgabe 48: Fraktionszwang und Geschlossenheit
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.