Lutz Hachmeister, einst Direktor des Grimme-Instituts, heute Chef des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, weiß, was ein Interview ist, wie es zustande kommt, wie es geführt wird, wie es ins Blatt kommt. Kaum jemand könnte geeigneter sein, ein Buch über eines der berühmtesten Interviews zu schreiben, die je in Deutschland geführt wurden. Es handelt sich um das Interview, das der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein mit dem Philosophen Martin Heidegger 1966 führte, das aber vereinbarungsgemäß erst nach dem Tod Heideggers 1976 erscheinen durfte. Rasch bezeichnete man es als das „Testament“ des Philosophen und von dorther bezieht Hachmeister den Titel seines Buches. Ein „Interview“ hätte er schwerlich ankündigen können, denn eben dieses Stück enthält sein Buch gerade nicht.
Damit ist schon einiges angedeutet, was dieses Buch einerseits in hohen Maße lesenswert macht, andrerseits aber auch in seiner Aussagekraft begrenzt. Hachmeister hat offenbar die Rechte zum Abdruck des einst publizierten Textes nicht bekommen – er zitiert aus nicht publizierten Teilen der Tonbandabschrift, die beim Spiegel liegen. Dass er die Rechte nicht bekommen hat, könnte an Vorbehalten des Klostermann Verlags, in dem die Werkausgabe erscheint, und der Heidegger-Erben gegen das Unterfangen liegen. Aber warum hat der Spiegel nicht die Rechte? Weil er sie, wie der Autor mitteilt, vor Jahrzehnten abgegeben hat. Ein einmaliger Fall und das ausgerechnet bei dem berühmtesten Spiegel-Interview, das es gibt. Wie konnte es dazu kommen?
Eben das – und weniger Heideggers Denken – erläutert Hachmeister auf packende Weise. Die Lektüre des Buches ist ein einziger Lesegenuss und ein Musterbeispiel für die höchst lehrreiche Präsentation einer zeitgeschichtlichen Konstellation, wie sie für die frühe Geschichte der Bundesepublik - vor dem Jahr 1968 – typisch war. Viele derer, die damals im Land eine Rolle spielten, hatten Ärger mit ihrer Vergangenheit. Bei Heidegger war das seine Hitler-Begeisterung während seines kurzen Rektorats an der Universität Freiburg. Bei Augstein war das die intensive Zusammenarbeit mit alten Nazis und SS-Leuten beim Aufbau des Spiegels. Der für Geisteswisssenschaften zuständige Ressortleiter Georg Wolff, der sich heftig um das Zustandekommen des Interviews bemüht hatte und auch von Anfang bis Ende dabei war, war SS-Hauptsturmführer gewesen.
Für Augstein allerdings war es vor allem eine „journalistische Trophäe“, dieses Interview zu bekommen. Er bewunderte große Männer und Heidegger verabscheute die Presse. Beide allerdings waren sich einig in der Ablehnung des CDU-Staats und seiner Hauptakteure, bei Adenauer angefangen.
So näherte sich der sonst ganz anders beschriebene Augstein dem Denker demütig und bescheiden. Heidegger nahm das dankbar an und äußerte sich gerade in den die unerfreuliche Vergangenheit beteffenden Teilen des Gesprächs grade so und erfreulich ungestört, wie er es immer tat. So kam seine Sicht der Dinge in das „Testament“ und wurde im Spiegel mit bestmöglichem Verbreitungsgrad geadelt.
Dass da etwas falsch gelaufen war, merkte Augstein bald. Für den Abdruck nach dem Tod Heideggers wurde etwas an den Fragen geändert, wodurch die Tonlage hier und dort eine andere wurde. Ob Heidegger das mitbekommen hat, ist eine ungeklärte Frage. Trotzdem, das Gesamtergebnis wurde in Hamburg, je länger seine Entstehung zurücklag, umso mehr als peinlich empfunden. Augstein hätte Heidegger anders angehen müssen, hatte es aber nicht getan. Das wurmte ihn mächtig.
Aus dieser Bredouille kann ihm auch Hachmeister nicht heraushelfen, obwohl er in seinem Buch die Akzente so setzt, dass der Spiegel-Herausgeber darin so gut wegkommt, wie es möglich ist, und Heidegger so schlecht, wie es in Deutschland seit langem der Brauch ist. Aber das macht nichts. Sokrates in Athen und Seneca in Rom sind von ihren Zeitgenossen schlechter behandelt worden. Man kann sogar die These vertreten, dass Heideggers ungebrochene Aktualität – bald vierzig Jahre nach seinem Tod – mit der Zählebigkeit der politischen Vorwürfe gegen ihn zusammenhängt, deren meiste und wichtigste spätestens seit 1962 bekannt sind und von denen einige der bösesten längst widerlegt sind. Hachmeister tut gern so, als seien sie nicht oder nicht so ganz widerlegt. Die im Krieg gestrichene Widmung von Sein und Zeit an Husserl führt Hachmeister an, verschweigt aber dass der Dank an Husserl wenige Seiten später im Buch verblieb. Der Philosoph Gadamer bemerkte dazu: So weit blätterten die Nazis nicht. Hachmeister wohl auch nicht. Umgekehrt schreibt er: „die Korrekturen des Spiegel nach der von Heidegger unterschriebenen Fassung waren kosmetisch und änderten kaum etwas an Sinn und Gehalt des Interviews.“ Das sollte der Medienprofi besser wissen. Aber das Interview hat er ja nicht. Ein Glück.
Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS Lutz Hachmeister Propyläen Verlag 2014, 368 S., 22,99€
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