Wir erleben die Endphase der Briefkultur. Ist das zu viel gesagt, zu pessimistisch geurteilt? Bei jeder Neuerscheinung von Briefwechseln bedeutender Menschen – und es erscheinen viele seit Jahren – legt man jedenfalls das Exemplar nach der Lektüre beklommen aus der Hand und fragt sich: Wie wird das in Zukunft sein? Was wird man von der Kommunikation der Großen und Gelehrten noch studieren können? Denn es werden ja kaum noch Briefe geschrieben, und Mails auszudrucken, Twitter oder Facebook irgendwie festzuhalten, ist so, wie Telefongespräche aufzunehmen, also pfui.
Jetzt aber gibt es sie noch, die Briefe derer, die wir kannten. Sie kommen kontinuierlich als Bücher heraus und sind oft zu lesen wie Romane. So der Briefwechsel zwischen dem Philosophen Hans Blumenberg – zuletzt Professor in Münster in Westfalen – und Jacob Taubes, Professor für Religionswissenschaft und Hermeneutik an der Freien Universität in Berlin. Beide sind seit Langem tot. Über 20 Jahre, von 1961 bis 1981, schrieben sie einander. Der Briefwechsel ist nichts Geringeres als der Entwicklungsroman einer Freundschaft bis zu ihrem Ende. Aber dieses Ende ist nicht das, was besondere Aufmerksamkeit verdient. Es kam zwangsläufig, konnte aber nicht allem, was vorher war, den Rang nehmen.
Blumenberg stammte aus Lübeck, er war Halbjude und durfte nach dem Abitur nur, aber immerhin, seine Konfession war katholisch, im Priesterseminar studieren, was er zunächst in Paderborn tat. Dann ging er nach Frankfurt zu den Jesuiten, dann wurde ihm auch das verboten. Er kam in ein Arbeitslager und überlebte mit knapper Not. Nach dem Krieg nahm er das Studium der Philosophie auf, veröffentlichte früh im Philosophischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft einen hinreißenden Aufsatz über Pascal, rezensierte im katholischen Hochland einige der besten Romane der Zeit, schrieb aber bis zu seiner Bestallung als Ordinarius in Gießen vor allem für die Zeitschrift Studium generale. Dabei interessierte ihn besonders Wissenschaftsgeschichte der frühen Neuzeit, ihr Zusammenhang mit der Theologie und das, was als Säkularisation aktuell diskutiert wurde.
Das interessierte auch Jacob Taubes. Taubes war in Zürich mit einer Arbeit über Abendländische Eschatologie promoviert worden, hatte eine Ausbildung als Rabbiner erhalten und sich danach an den besten amerikanischen Universitäten herumgetrieben. In Jerusalem hatte er Krach mit Gershom Scholem bekommen, und jetzt stand er vor dem Ruf nach Berlin an die Freie Universität. Da fand er in der Wohnung des Philosophen Dieter Henrich ein Buch von Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, blätterte darin, las sich hier und da fest und schrieb an den Autor: „Es ist großartig“. Sodann bat er ihn um Zusendung von Sonderdrucken seiner Aufsätze nach New York. Blumenberg tat wie geheißen – so muss man es wohl nennen. Und das war der Anfang. Blumenberg war in dieser Zeit damit beschäftigt, zusammen mit Gießener Kollegen eines der, wie sich bald zeigen sollte, fruchtbarsten Unternehmungen der Geisteswissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg zu starten: die Kolloquien der Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik“.
Pioniere im Interdisziplinären
Die Gruppe betrieb damit, ohne dass dies eigens programmatisch wurde, ein konservatives Unternehmen, das freilich höchst innovativ war, weil es auf die damals an den Hochschulen noch verpönte Interdisziplinarität setzte, es war fächerübergreifend.
Blumenberg zog sofort Taubes zu dieser Gruppe hinzu, sicherlich aus dem Bedürfnis, einen Menschen mit ähnlicher Lebenserfahrung dort zu haben. Denn sein Problem war eines, das etliche hochgebildete Juden in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland hatten: Vom historisch-politischen Empfinden her orientierten sie sich nach links, trafen dort aber zumeist auf Leute mit etwas beschränktem Horizont. Gesprächspartner, die sie sich vom geistigen Niveau her wünschten, trafen sie bei den Konservativen, doch die waren oft wegen der Anfänge ihrer Karrieren vor 1945 belastet.
Das traf auch für Mitbegründer der Forschungsgruppe zu. Blumenberg hatte früh gelernt, sich den Einzelnen genau anzuschauen und nicht schematisch zu verfahren. Dennoch hat es ihn nachlesbar gefreut, mit einem wie Taubes in diesem Kreis zusammenzuarbeiten. Diese Freude indes blieb nicht ungetrübt. Zunächst versäumte es Taubes hartnäckig, dem Brieffreund ebenfalls Sonderdrucke zu schicken, die dieser mehrfach erbat. Vermutlich hatte er keine. Dann irritierte er den deutsch-gründlichen Gelehrten mit Formulierungen in seinen für den Druck abgegebenen Diskussionsbeiträgen zu dessen Referaten. Blumenberg witterte Widerspruch und Missachtung, aber es war, wie er überzeugt werden konnte, nur Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit. Das war zwar weniger schlimm, aber doch ungeeignet, sich den Respekt Blumenbergs zu erhalten. Der zog sich, nach seinem Ruf nach Münster, immer mehr auf sich selbst zurück und arbeitete an seinem Werk.
Zum Suhrkamp-Verlag
Taubes indes verstrickte sich mehr und mehr in die von der Studentenrevolte geprägte Universitätspolitik. Mit seiner wissenschaftlichen Arbeit eröffnete er viele Diskussionen und freute sich daran, wie sie weitergingen. In Harvard war über ihn eine charakteristische Geschichte erzählt worden. Er habe einmal – tückisch befragt – einen brillanten Kommentar zu einem Text geliefert, den es gar nicht gab. So konnte man nicht Blumenbergs Freund bleiben.
Der Briefwechsel wird von Jahr zu Jahr förmlicher, bis in die Anreden hinein – Taubes große Leistung für Blumenberg war und blieb, dass er ihn zum Suhrkamp-Verlag gebracht hatte. Dort war es für den anspruchsvollen Autor nicht leicht, und in einem seiner letzten Briefe an den einstigen Freund verweist er unbehaglich darauf, dass „die Verbindung zum SV durch mein Vielleicht-Lebenswerk unauflöslich gemacht“ worden sei: „Sie befinden sich in der beneidenswerten Lage, als Lieferant von Ideen und Graswurzelhörer den Dienstherrn jederzeit leerlaufen lassen zu können. Ich muss mich bescheiden und leise halten, wenn ich den Zusammenhang meiner Bücher nicht gefährden will.“
Briefwechsel Hans Blumenberg/Jacob Taubes Herbert Kopp-Oberstebrink, Martin Treml (Hg.). Suhrkamp 2013, 349 S., 39,95 €
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