Bonum

BLOCH ODER NAUMANN Mit wem verhindert man das Kultursterben?

Es müssen "effizientere Theater" her, so fordern Staatsminister Naumann und der neue Berliner Kultursenator Stölzl. Dabei blicken sie allein auf den Geldsack, dessen großes Loch sie flicken wollen. 50 Millionen Mark fehlen allein den Berliner Theatern. Der Streit ums Geld, bei dem ja alle heftig mitstreiten können, die des Rechnens fähig sind, deckt aber mehr auf, als manchem homo oeconomicus lieb sein dürfte. Er zeigt die Haltung zur Kunst.

"Kunst", so Naumann in seiner Eröffnungsrede zur Berliner Kunstausstellung, "Das XX. Jahrhundert", erwarte von seinen Betrachtern "eine immer noch nicht gestillte Hoffnung auf das ›Bessere‹, das schlechthin Schöne." Gestillte Hoffnung? Das "Bessere"? Das sich so richtig in der "subjektiven Rätselhaftigkeit der Moderne". entfalte? Die sich "übersetzen und bewahren" möge "im Alltagsleben, im Politischen, im Schöpferischen, im Risiko." Mut zum Risiko! Sich selbst gut verkaufen! Sich selbst gut darstellen! Mit dem "Prinzip Hoffnung", das man bei Naumanns Formel automatisch assoziiert, hat dieser neoliberale Kurs, der im gestelzten Vokabular philosophisch daherkommt, nichts gemeinsam.

Wenn Ernst Bloch von dem "Prinzip Hoffnung" sprach, dann war das "antizipierte Bonum" gemeint, also das Gute, das etwas anderes meint als Naumanns "Besseres". Denn für Bloch ist der Einzelne stets gleichzeitig auch Gattungswesen. Während das "Bessere" eine Auswahl durch Einzelne voraussetzt. Als Einzelner ist der Mensch für Bloch "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse". Dieses Sein selbstbewusst zu fassen ist der Kunst eigenste Fähigkeit. Kunst defetischisiert den Mythos von der "rätselhaften Subjektivität", die ja eben nicht rätselhaft, sondern durch die gesellschaftlichen Beziehungen geprägt wird. "Marketingcharakter" nannte das Erich Fromm. So schillernd die Tauschwerthüllen der Waren über ihrem eigentlichen Inhalt schweben, so schwebt auch die "Moderne" über ihrem Inhalt, den sie nicht bewusst als menschlichen zu greifen versteht. Doch was in der Kunst bleibt, so Max Liebermann, ist das Menschliche.

Und das ist eben keine "rätselhafte Subjektivität", sondern meint die ständige Bemühung der Menschen, sich mit den permanent verändernden Entfremdungen in der Arbeit, im Handel, im Leben auseinander zu setzen. Dazu braucht es Kunst. Und die braucht Schauplätze.

Dieses "antizipierte Bonum" das in der Kunst erscheint, war für Ernst Bloch die Basis einer "konkreten Utopie" in der der Mensch die Theorie vom menschlichen Leben nicht als Traum einer "Realpolitik" gegenüberstellt, so wie Gregor Gysi dies auf dem letzten PDS-Parteitag tat, sondern als Antizipation der Möglichkeiten, die wir Menschen uns im Reich der globalisierten Arbeit, von Handel und Produktion geschaffen haben, ohne sie jedoch zu nutzen. Das lächerliche Missverhältniss zwischen den Theatersubventionen und den gigantischen Ausgaben des Staates für bauliche Fehlplanungen sei da nur noch als Hilfsargument hinzugefügt. Doch Kunst ist im Verständnis der Ökonomen und Politiker "brotlose Kunst". Ihr klarer Verstand beweist ihnen täglich, dass Kunst keine neuen Tauschwerte schafft, in deren Hüllen stets ein Mehr an Geld steckt, als man investierte. Mit Kunst, besser: mit einem gattungsmäßigen Selbstbewusstsein, kann man sich subjektiv nicht bereichern und über andere erheben.

Gegen die Verstandesmenschen steht Blochs "Prinzip Hoffnung", das dem trivialen Verstand des Geschäfts durch Vernunft entkommt. Während der Verstand, den wir heute als "Speicher", "Leistungsfähigkeit", "know how", "Intelligenz" mit der Vernunft identisch setzen, formalistisch und von allen Inhalten abstrakt bleibt, ist die Vernunft konkret. "Vernunft dagegen," so Bloch, "ist zum konkreten Inhalt so wenig fremd und gleichgültig, dass sie ihn als ihre Bestimmung selbst erzeugt und entfaltet. Vernunft kann daher der Erkenntnis des Weltinhalts gar nicht entsagen, außer wenn sie ihrer selbst entsagt." Diese Entsagung findet in Naumanns "Gestillter Hoffnung" statt, die besser im "Adlon" gesättigt und befriedigt wird als in der Kunst, die keine Kiton-Anzüge trägt und keinen Chianti schlürft. Wo Theater zerstört werden, wo Kunst mit der Eitelkeit der "Besseren" verwechselt wird, zerstört man die Vernunft. Nur Vernunft, die sich nicht als Verstand platt bürsten lässt, kann Theater und Kunst retten.

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