Brüchige Idylle

Brandenburg Im Land herrscht Harmonie, keine Partei will sich unbeliebt machen. Doch es drohen viele Probleme
Ausgabe 37/2014
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kann entspannt auf die Wahl am Sonntag blicken
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kann entspannt auf die Wahl am Sonntag blicken

Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

Wilma Wels winkt. Es ist ein heißer Julitag in Brandenburg an der Havel. Wer es vermeiden kann, strengt sich nicht an. Für den Menschen im Wilma-Wels-Kostüm, ein hellblau-pinker Ganzkörperanzug mit riesigem Fischkopf, ist das jedoch keine Option. Minutenlang winkt er nun schon dem Dampfer „Brandenburg“ entgegen. An Bord ist Dietmar Woidke, seit einem Jahr Ministerpräsident des Landes. Doch das Anlegen des Dampfers zieht sich. Immer wieder muss das Boot vor und zurück setzen. Als der Dampfer endlich das Ufer erreicht, hat sich die Winkerei aber gelohnt. Woidke stürmt auf Wilma Wels zu und drückt den Plastikfischkörper an sich. Dann lächelt er mit der riesigen Fischmaske um die Wette. Die Kameras klicken. Wilma Wels ist das Maskottchen der Bundesgartenschau, die hier in ein paar Monaten eröffnet wird. Da können ein paar Werbebilder nicht schaden. Und auch Woidke kann sie brauchen – schließlich ist Wahlkampf.

Wenn die Brandenburger am 14. September einen neuen Landtag wählen, endet eine Legislaturperiode, die das Land heftig durchgeschüttelt hat. Während die Regierung noch versuchte, die weltweite Wirtschaftskrise abzufedern, musste sich die neu gestartete rot-rote Koalition mit der Stasi-Vergangenheit einiger Linken-Politiker befassen. Es folgte ein Reigen teils absurder Affären. Auch für den Großflughafen Berlin-Brandenburg International (BER) gibt es immer noch keinen Eröffnungstermin, ein Untersuchungsausschuss befasste sich mit höchst umstrittenen Immobiliengeschäften des Landes. Und im vergangenen Jahr trat dann auch noch der beliebte Ministerpräsident Matthias Platzeck aus gesundheitlichen Gründen zurück. Dietmar Woidke ist dennoch stets bester Laune.

Ribbeck im Havelland. Das Jackett hat der Ministerpräsident längst abgelegt, die Ärmel hochgekrempelt. Im Garten des frisch renovierten Schlosshotels schneidet er riesige Stücke aus einer gigantischen Birnentorte und verteilt sie grinsend an seine Begleiter. Kurz zuvor hat er im Dorf noch alte Bekannte getroffen – nicht das erste Mal an diesem Tag. Woidke herzt dann ausgiebig. Überhaupt sucht er den engeren Kontakt. Jedes Gespräch endet mindestens mit einem Schulterklopfer. Der 52-Jährige knüpft so an das Landesvater-Erbe seiner Vorgänger Platzeck und Manfred Stolpe an. Es gefällt ihm offensichtlich.

Modell „Brandenburger Weg“

Woidke wuchs auf einem Bauernhof in Forst nahe der polnischen Grenze in der Niederlausitz auf. Mit der DDR hatte der junge Dietmar nicht viel am Hut, die Biermann-Ausbürgerung und der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan politisierten ihn früh, wie er erzählt. Eine große Karriere kam damit nicht in Frage, also studierte er Landwirtschaft. Nach der Wende ging es für ihn dann aufwärts. 1993 trat er in die SPD ein und brachte es zum Landwirtschaftsminister, Fraktionschef und Innenminister, ehe er dann im vergangenen August Ministerpräsident wurde.

Dass nun ausgerechnet ein Mann mit Woidkes Biografie der einzigen rot-roten Koalition Deutschlands vorsteht, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Andererseits war Brandenburg in dieser Hinsicht schon immer ein bisschen anders. Manfred Stolpe verstand es nach der Wende, mit den damaligen Oppositionsparteien CDU und PDS ein fast schon harmonisches Verhältnis zu führen. Er nannte es den „Brandenburger Weg“. Dazu gehörte auch, sich nicht mehr sonderlich für die jüngere Vergangenheit zu interessieren. Stasi-Überprüfungen fanden im Landtag nach 1991 nicht mehr statt und wurden erst 2009 wieder eingeführt. Als bekannt wurde, dass auch Stolpe selbst über 20 Jahre von der Stasi als „IM Sekretär“ geführt wurde, trat er nicht zurück. Nicht umsonst bekam Brandenburg schon bald den Spitznamen „kleine DDR“. Die Wähler dankten die Harmonie der SPD, die das Land seit der Wende durchgängig regiert. „Wir sind hier tief verwurzelt“, sagt Woidke. Die märkischen Sozialdemokraten seien die Partei, die sich vor Ort um die Probleme der Menschen kümmere. „Deshalb werden wir auch so wahrgenommen.“ Tatsächlich liegt die Partei in den jüngsten Umfragen wieder auf dem ersten Platz. Allerdings: Die CDU kommt langsam in Sichtweite.

„Es verändert sich gerade etwas“, sagt Michael Schierack. Der 45-Jährige ist der Hoffnungsträger der Brandenburger CDU. Es ist eine Rolle, um die man ihn nicht beneiden muss. Als Schierack 2012 den Parteivorsitz übernahm, war er der fünfte Landeschef in fünf Jahren. Die märkische CDU gilt als Haifischbecken – und als schlechtester Landesverband in ganz Deutschland. Nachdem der konservative Patriarch Jörg Schönbohm sich 2007 zur Ruhe setzte, beschäftigte sich die Partei ausgiebig mit sich selbst. Jetzt herrscht das erste Mal seit Jahren halbwegs Ruhe. Die guten Wahlergebnisse bei Bundestags-, Europa- und Kommunalwahl haben dabei sicher geholfen. Auch bei der Landtagswahl erwartet man erneut Zugewinne. „Das Land wird weltoffener“, sagt Schierack, „es wächst eine neue Generation nach, die keine Lust mehr auf die kleine DDR hat.“ Stolpe habe den Leuten das Gefühl gegeben, dass sich gar nichts in ihrem Leben ändern müsse. Doch diese Masche ziehe nicht mehr. Trotzdem war es in den zurückliegenden Wochen kein leichter Wahlkampf für den CDU-Spitzenkandidaten. Seine persönlichen Zustimmungswerte sind miserabel, bei den Wählern ist sein Name kaum bekannt.

Ein Rundgang im Tierpark Senftenberg. Junge Mütter schieben ihre Kinderwägen an den Gehegen vorbei. Der Tierpark gehört zu den örtlichen Integrationswerkstätten. Menschen mit Behinderungen arbeiten hier. Es gibt Ziegen, Lamas und Hausschweine zu sehen, aber auch Polarfüchse, Kängurus und Makaken. Der Höhepunkt sind aber die Roten Varis, eine Lemurenart aus Madagaskar. Schierack soll sie jetzt füttern. Vorsichtig hält der Politiker den Halbaffen Bananen und Physalis hin. Nur bei den Brombeeren sträuben die Roten Varis sich. „Nee, die will er nicht“, sagt Schierack. Mit schwarzen Inhalten tut der CDU-Mann sich auch hier schwer. Wie Woidke kommt Schierack aus Forst. Trotzdem trennen die beiden Welten. Schierack präsentiert sich mehr als Macher denn als Landesvater. Neben der Politik führt er seit 2005 eine Orthopädiepraxis in Cottbus und hat eine Honorarprofessur an der Hochschule Lausitz, auch wenn beides im Wahlkampf ruht. Wo Woidke umarmt, hält Schierack Distanz. Im Tierpark unterhält er sich viel mit seinen Parteifreunden. Die anderen Besucher behelligt er kaum.

Einen Weg an die Macht wird es für Schierack kaum geben. Für eine Koalition unter seiner Führung fehlt ihm der Partner. Die Grünen dürften den Einzug in den Landtag voraussichtlich nur knapp schaffen. Zu wenig für ein Bündnis. Und eine Zusammenarbeit mit der AfD hat die CDU ausgeschlossen. Dass die SPD nach der Wahl die Linkspartei gegen die CDU austauscht, ist kaum vorstellbar. „Aus der Erfahrung der aktuellen Regierungsarbeit gibt es keinen Grund, den Partner zu wechseln“, so Woidke.

Christian Görke kann das nur recht sein. Er ist Vorsitzender und Spitzenkandidat der Linken in Brandenburg. Außerdem führt er seit Januar das Finanzministerium. Keine lange Zeit, trotzdem hat er sich schon eingerichtet: Hinter Görkes Schreibtisch hängt ein gerahmtes Foto von Manfred Stolpe und Lothar Bisky. Stolpe hält ein Straßenschild in der Hand. „Brandenburger Weg“ steht darauf. Als Finanzminister hätte Görke sich für seine Amtsübernahme wohl kaum einen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Das Land erwirtschaftete 2013 einen größeren Haushaltsüberschuss als alle anderen Bundesländer – über eine halbe Milliarde Euro. Es wird in diesem Jahr erstmals Altschulden zurückbezahlen.

Streitpunkt Braunkohle

„Links an unserer Finanzpolitik ist, dass sie soziales Augenmaß wahrt“, sagt Görke. Ein ziemlicher Allgemeinplatz, zumal die politische Wahrheit anders aussieht: Rot-Rot hat den Haushalt mit harten Maßnahmen saniert. Die Koalition baute Stellen im öffentlichen Dienst ab und senkte die Investitionen in die Infrastruktur. Dafür erhöhte sie die Grunderwerbssteuer und steigerte die Investitionen in Wissenschaft und Bildung.

Die große Unbekannte im Haushalt ist aber nach wie vor der Großflughafen BER. Durch den Stillstand auf der Baustelle musste das Land eingeplante Zahlungen noch nicht überweisen. Sollten die Bauarbeiten aber irgendwann weitergehen, wird es für das Land teurer werden. Görke, der für Brandenburg im Aufsichtsrat des BER sitzt, hofft trotzdem, dass es bald losgeht – wenn auch mit Einschränkungen: „Der Flughafen soll endlich ans Netz“, sagt er, „aber mit mehr Nachtruhe und ausreichendem Schallschutz.“ Die Linkspartei habe den Airport an diesem Ort nie gewollt – trotzdem arbeite er jetzt an seiner schnellstmöglichen Fertigstellung.

Es gehört zu den Geheimnissen der Koalition, wie sie trotz des Flughafen-Desasters relativ reibungslos weiterarbeiten konnte. Nur einmal knirschte es in den vergangenen Monaten: als es um die Ausweitung des Braunkohleabbaus in der Lausitz ging. Die Linke hatte sich mehrfach dagegen ausgesprochen – im Bund wie im Land gab es harsche Kritik. Immerhin werden durch die Pläne 800 Menschen ihr Zuhause verlieren. Die SPD verwies jedoch auf die bedrohten Arbeitsplätze und pochte auf den Koalitionsvertrag. Die Linke stimmte schließlich zu – begleitet von wütenden Protesten. Greenpeace besetzte zeitweise das Karl-Liebknecht-Haus, die Bundeszentrale der Partei in Berlin. Bei der Braunkohlepolitik gebe es tatsächlich Unterschiede zwischen den Koalitionären, so Görke. Ansonsten überwögen aber die Gemeinsamkeiten.

Diese Harmonie schätzen die Brandenburger. Rot-Rot war hochumstritten, als das Bündnis vor fünf Jahren an die Macht kam. Heute sind 56 Prozent der Wähler mit der Regierung zufrieden – trotz aller Turbulenzen. Ruhiger dürfte es allerdings kaum werden. 2019 läuft der Solidarpakt aus. Was das für den Landeshaushalt bedeuten wird, ist unsicher, vor allem, da ab 2020 eine Schuldenbremse im Land gilt. Und auch der BER wird die Politik weiter beschäftigen. Trotzdem plätscherte der Wahlkampf vor sich hin. Es scheint, als hätten sich die Parteien in ihren Rollen eingerichtet. Die Brandenburger Fassade wird noch eine Weile stehen.

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