Der gnadenlose Blick der Öffentlichkeit

RAF Der Haftbefehl gegen die Ex-Raf-Terroristin Verena Becker wurde vom BGH aufgehoben. Aber ihre Vorverurteilung in den Medien kann von keiner Instanz beseitigt werden

Verena Becker ist frei. Einen Tag vor Heiligabend hob der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe den Haftbefehl gegen die ehemalige RAF-Terroristin auf. Zwar bestehe immer noch ein dringender Tatverdacht gegen Becker, am Attentat auf den ehemaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Jahr 1977 beteiligt gewesen zu sein. Das Gericht sah aber keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr.


Damit erhalten die Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft unter Leitung von Monika Harms einmal mehr einen Dämpfer durch die Gerichte. Es ist noch keine Woche her, dass Harms ankündigte, gegen Becker im März Anklage erheben zu wollen. Zwar musste die Generalbundesanwältin einräumen, dass es keine neuen Erkenntnisse über die Identität des Schützen gebe, der Buback vom Soziussitz eines Motorrads aus erschossen hatte, trotzdem wollten die Bundesanwälte Becker wegen Mittäterschaft anklagen.


Diesen Vorwurf strich der BGH jetzt zusammen. Man könne im besten Fall nachweisen, dass Becker die eigentlichen Täter „psychisch bei Begehung der Tat“ bestärkt hatte. Das könne aber höchstens zu einer Verurteilung wegen Beihilfe führen. Das klingt juristisch vielleicht spitzfindig, kann sich auf das Strafmaß bei einer möglichen Verurteilung aber durchaus auswirken.


Doch egal welchen Verlauf das Verfahren im kommenden Jahr nehmen wird – über Verena Becker ist schon geurteilt worden. Becker war Mitglied der RAF. Sie war Terroristin. Bei Anschlägen, die sie mit plante und ausführte, kamen unschuldige Menschen ums Leben. Dafür musste sie bestraft werden – und dafür wurde sie bestraft.


1977 verurteilte sie ein Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen versuchten Mordes an einem Polizisten. Sie saß zwölf Jahre hinter Gittern ehe Bundespräsident Richard von Weizsäcker sie 1989 begnadigte. Danach lebte sie zurückgezogen in Berlin-Zehlendorf. Mit dieser Ruhe dürfte es vorbei sein – egal wie das Urteil am Ende lauten wird.


Verena Becker ist erneut zur öffentlichen Person gemacht worden. Zeitungen druckten aktuelle Fotos der heute 57-jährigen ab, zeigten Bilder ihres Wohnhauses mit kaum verschlüsselten Wegbeschreibungen. Es dürfte schwer werden für Becker, sich erneut aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, sollte das ihr Wunsch sein.


Damit gefährdete das Vorgehen mancher Medien, gedeckt durch die halböffentlichen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, die Resozialisierung der ehemaligen Terroristin. Ja, der Tatverdacht gegen sie besteht auch aus Sicht des BGH noch. Und es ist auch verständlich, dass Buback-Sohn Michael endlich die Umstände des gewaltsamen Todes seines Vaters erfahren will. Doch eine öffentliche Treibjagd wie im Fall Becker dient der Wahrheitsfindung sicher nicht.


Der Prozess im Frühjahr wird Klarheit schaffen. Wird Becker freigesprochen, haben die Bundesanwaltschaft und bestimmte Medien die mühsam aufgebaute bürgerliche Existenz einer ehemaligen Gewalttäterin unachtsam zum Einstürzen gebracht. Sollte Becker hingegen verurteilt werden, ist das der richtige Zeitpunkt für ausführliche Berichterstattung – dann auch mit Foto.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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