Lehren der Vergangenheit

Konferenz Bei der Heinrich-Böll-Stiftung diskutieren Zeitzeugen über die friedlichen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa - und suchen nach Mitteln gegen die Krisen von heute

Schon das Logo der Konferenz „20 Jahre 1989 – Europa im Aufbruch“ strahlte Optimismus aus. Schrittweise wandelte sich die letzte neun der Jahreszahl zu einem Schmetterling, der langsam nach oben weg schwebt. Doch der Untertitel der von der Heinrich-Böll-Stiftung organisierten Veranstaltung holte die zahlreichen Gäste wieder auf den Boden der Realität zurück: „Demokratie und Marktwirtschaft: Ideale von gestern“, stand in fetten Buchstaben auf der Teilnehmermappe.

Damit war das Spannungsfeld der Diskussion schon klar umrissen. Zum einen widmete sich die Konferenz den friedlichen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa im Jahr 1989. Zum anderen wurden aber auch die politischen und wirtschaftlichen Probleme erörtert, denen sich die jungen Demokratien durch den Übergang von Planwirtschaften zu Marktwirtschaften ausgesetzt sahen. Schlussendlich sollten auch Lehren aus den Krisen der Vergangenheit gezogen werden, die möglicherweise beim Überkommen der aktuellen Wirtschaftskrise hilfreich seien könnten.

Am Anfang stand jedoch das Schwelgen in Erinnerungen. Ralf Fücks,Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, führte schon in seiner Eröffnungsrede den Begriff des Annus Mirabilis ein – das Jahr des Wunders. „Die friedliche Revolution war ein Wunder, allerdings eines, das von Menschen gemacht wurde“, sagte er. Dieses Thema sollte im Folgenden immer wieder aufgenommen werden.

Ein bisschen weniger feierlich war hingegen das Grußwort von Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. „Freiheit war 1989 ein Kampfbegriff. Heute ist das anders. Wenn es heute um Freiheit geht, dann ist meistens die Freiheit der Wirtschaft gemeint“, so Künast. Dabei sei die soziale Marktwirtschaft „unter die Räder“ gekommen. Sie führ fort, multinationale Organisationen wie die WTO ohne ausreichende Legitimation gefährdeten die Demokratie. „So haben wir uns Freiheit und Marktwirtschaft 1989 nicht vorgestellt“, sagte Künast. Sie appellierte für eine „Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“. Diese müsse sozial und ökologisch sein.

Schizophrenes Jahrzehnt

Erst mit den nächsten beiden Diskutanten kehrte die Wärme in den großen Konferenzsaal der Heinrich-Böll-Stiftung zurück. Es folgen persönliche Rückblicke auf 1989 von Pavol Demes, Direktor für Zentral- und Osteuropa des German Marshall Fund of the United States, sowie György Dalos, Herausgeber des Freitag und freier Publizist,

„1989 war ich 33 Jahre alt – und ich dachte, ich würde immer in einem kommunistischen System leben“, setzte Demes an. Dann berichtete der Slowake von den Besonderheiten der „samtenen Revolution“ in der damaligen Tschechoslowakei. Unter dem Leitspruch „Zurück nach Europa“ hatten damals vornehmlich Künstler und Studenten den Umsturz organisiert, laut Demes eigentlich die „nutzlosesten Gruppen, wenn es um Revolutionen geht“. Doch nachdem der Protest das ganze Land ergriffen habe, dauerte es nur noch zwei Wochen, bis die Kommunistische Partei erodierte. „Wenn dieses Wunder damals passieren konnte, warum dann nicht auch heute?“, schloss Demes.

In Ungarn sei die Situation anders gewesen, wie György Dalos im Anschluss beschrieb. „In den Achtzigern waren wir vorsichtige Pessimisten mit ein bisschen Hoffnung“, so Dalos, der sich 1987 aus Ungarn nach Wien abgesetzt hatte. „Es war ein schizophrenes Jahrzehnt. Die Regierung hat ihre eigenen Argumente nicht mehr geglaubt und die Opposition glaubte nicht an sich“. Trotzdem habe es nach der Wende eine regelrechte Euphorie gegeben. „Wir dachen, jetzt kommen wir sofort in die EU“, doch dann habe allein das Anklopfen in Brüssel 14 Jahre gedauert. „Das war schon eine große Enttäuschung. Und dann kommt jetzt auch noch die Wirtschaftskrise dazu“. Diese habe allerdings das politische System Ungarns stabilisiert. „Die Regierung konnte sich an der Macht halten, da sie beweisen konnte, dass die Krise nicht ihre Schuld ist und die Opposition ist ganz zufrieden, dass sie in dieser Zeit nicht regieren muss“, so Dalos.

Wirtschaftspolitik des 21. Jahrhunderts

Die Wirtschaftskrise war auch Thema am zweiten Tag der Konferenz – und wurde durchaus kontrovers diskutiert. Insbesondere die Rolle der EU stand im Fokus der Diskussionsteilnehmer. Péter Ákos Bod, ehemaliger Präsident der ungarischen Nationalbank, beschrieb das besondere Ausmaß der Krise in seinem Heimatland. Ungarn steht derzeit kurz vor dem Staatsbankrott, da die Wirtschaft zu lange nur auf ausländische Investitionen ausgerichtet war. Da nun keine Devisen mehr ins Land kommen und Ungarn gleichzeitig hohe Schulden in ausländischen Währungen hat, droht die Zahlungsunfähigkeit. „Wir werden uns wohl an den Internationalen Währungsfonds wenden müssen“, so Bod. Ein Schritt, den er als Nationalbankspräsident zu Beginn der Neunziger schon einmal unternehmen musste – und hoffte es sei das letzt Mal gewesen.

Antje Hermenau, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag, sieht die strukturellen Probleme auch in ihrem Bundesland durch die Krise verschärft. „Der Aufbau Ost als Nachbau West muss ein Ende haben“, sagte sie. Die Infrastrukturrezepte der alten Bundesrepublik seien auf die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts nicht mehr zugeschnitten. Gleiches gelte für die Wirtschaftspolitik der EU. „Die Union ist wirtschaftspolitisch überdehnt. Sie handelt immer noch nach den Grundlagen der alten EG. Die funktionieren aber nicht mehr“. Hermenau forderte deshalb einen „Reboot der EU“.

Auch der emeritierte Professor für Sozialwissenschaften, Helmut Wiesenthal, forderte Reformen. Diese könnten sich allerdings nicht an denen in Mittel- und Osteuropa in den Wendejahren orientieren: „Diese Erfahrungen sind nicht übertragbar“, sagte er, „das soziale Gefüge dieser Zeit war einmalig“. Außerdem, so Wiesenthal, sei die aktuelle Finanzkrise auch noch mit den herkömmlichen Mitteln in den Griff zu bekommen: „In vielleicht drei, vielleicht auch fünf Jahren ist diese Krise überstanden. Sie bedingt also kein komplett neues Institutionensystem“. Allerdings sei der Abstieg der drei ehemaligen dominanten Wirtschaftsräume Japan, USA und EU-15 eine realistische Perspektive. „Darauf sollte man sich bei Zeiten vorbereiten“, so Wiesenthal.

So fand die Konferenz also den Grat zwischen Sorge und Hoffnung, den sie sich zum Ziel gesetzt hatte. Die ökonomische Realität hielt sie auf dem Boden, doch manchmal erlaubte sie sich auch durch die Erinnerung an die friedlichen Revolutionen vor 20 Jahren ein wenig zu fliegen.

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