Nur der Dumme zahlt

Vermögen Karlsruhe könnte bald die nächste Reform der Erbschaftssteuer fordern. Doch der Staat wird sich weiter zurückhalten
Ausgabe 29/2014

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts sind gemeinhin nicht als Klassenkämpfer bekannt – umso erstaunlicher war es, mit welchen Worten sie sich in der vergangenen Woche das Erbschaftssteuergesetz vorknöpften. Im Kern ging es um die zahlreichen Ausnahmeregeln, mit denen etwa Unternehmer von der Erbschaftssteuer entlastet oder ganz befreit werden können. „Sie fördern damit schlicht und einfach Großkapital, das sich da ansammelt“, ließ Verfassungsrichter Reinhard Gaier den Parlamentarischen Staatssekretär im Finanzministerium, Michael Meister (CDU), wissen. Im Herbst wird das Urteil erwartet. Nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass das Gericht zumindest Teile des jetzt gültigen Erbschaftssteuerrechts für verfassungswidrig erklären wird.

Damit geht der Streit um die Erbschaftssteuer – und die mit ihr verbundene Schenkungssteuer – in eine neue Runde. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die Erbschaftssteuer ist so etwas wie der Berliner Großflughafen der deutschen Finanzpolitik: eine Dauerbaustelle. Seit ihrer Einführung 1906 wurde sie immer wieder grundlegend überholt – in den vergangenen 20 Jahren bereits zweimal. Traditionell kochen die Emotionen hoch, wenn wieder eine Reform ansteht. Kein Wunder, schließlich berührt die Erbschaftssteuer ganz wesentliche Fragen des Zusammenlebens. Viele Menschen fühlen sich beim Thema Erbe angesprochen – schließlich wird den meisten Deutschen etwas vermacht, auch wenn es natürlich nur in den seltensten Fällen Vermögen sind. Dennoch wirkt das Thema für viele greifbar. Zudem ruft die Erbschaftssteuer in der öffentlichen Debatte sehr widersprüchliche Reaktionen hervor. Ihre Befürworter sehen in ihr die beste Chance für eine gesellschaftliche Umverteilung, die gleichzeitig die zunehmende Konzentration von Vermögen verhindern könnte. Ihre Gegner halten sie hingegen für einen ungerechten Eingriff in Familienangelegenheiten und eine Gefahr für Arbeitsplätze.

In der Vergangenheit hatte sich vor allem letztere Lesart durchgesetzt. Als die damalige Große Koalition im Jahr 2008 die Erbschaftssteuer reformierte, wollte sie auf jeden Fall verhindern, dass die Steuer Unternehmer zu stark belasten würde. Sie räumte Erben riesige Freibeträge ein. Besonders großzügig zeigte sich der Staat bei Unternehmensvererbungen. Wer einen geerbten Betrieb fünf Jahre weiterführt, darf sich auf einen Abschlag von 85 Prozent freuen. Behält der Erbe das Unternehmen gar sieben Jahre, wird gar keine Erbschaftssteuer fällig. Die Logik hinter dieser Regelung ist, dass der Staat so den Erhalt von Arbeitsplätzen sichern will. In der Theorie ein sinnvolles Ziel, doch in der Ausgestaltung könnte der Gesetzgeber übers Ziel hinausgeschossen haben. Das zumindest findet der Bundesfinanzhof, der die Erbschaftssteuer jetzt wieder vor das Bundesverfassungsgericht brachte.

Amerikanische Verhältnisse

Das Ergebnis dieser Politik: Der Staat kassiert bei Erben kaum ab. Zwar gibt es auf dem Papier durchaus Fälle, in denen Erben eigentlich die Hälfte ihres Erbes an den Staat abtreten müssten, doch die Politik hat durch ein Geflecht von Ausnahmefällen dafür gesorgt, dass solche Fälle so gut wie nie eintreten. So wundert es nicht, dass der Professor für Steuerrecht Joachim Wieland die Erbschaftsteuer eine „Dummensteuer“ nennt – schließlich müsse nur der zahlen, der keinen guten Steueranwalt habe. Die Einnahmen des Staats aus der Erbschaftssteuer sind gemessen an den Vermögen in Deutschland dann auch mickrig. Nicht einmal fünf Milliarden Euro fließen dem Fiskus jährlich zu. Das ist weniger als ein Prozent des gesamten Steueraufkommens und nur ein Bruchteil dessen, was in Deutschland Jahr für Jahr vererbt wird, selbst wenn man den niedrigeren Schätzungen wie etwa der des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW glaubt.

Dessen Wissenschaftler berechneten, dass in Deutschland jährlich etwa 62 Milliarden Euro vererbt würden. Andere Institute gehen von deutlich mehr aus. Die Schätzungen reichen bis zu 250 Milliarden Euro pro Jahr. „Wir haben für unsere Schätzung die Erbschaftssteuerstatistik verwendet und kleinere Erbschaften, die dort nicht erfasst sind, aus dem sozioökonomischen Panel ergänzt“, sagt Stefan Bach vom DIW, wie sein Institut auf die niedrigere Zahl kommt. Mit dieser Datengrundlage habe man eine seriöse Schätzung, was auch künftig besteuert werden könne. „Diese Basis enthält natürlich kein Schwarzgeld und kann durch Steuerhinterziehungen gemindert sein im Vergleich zum tatsächlichen Erbschaftsvolumen“, erklärt Bach weiter. Andere Schätzungen versuchten auch diese steuerlich nicht erfassten Erbschaften miteinzubeziehen. So komme es zu den höheren Zahlen. Diese seien aber unsicher. So oder so: Es geht um sehr viel Geld. Die vermutlich anstehende Reform könnte die Chance bieten, endlich substanzielle Einnahmen aus der Erbschaftssteuer zu generieren. Vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr gehörte dies zu den zentralen Wahlversprechen von SPD und Grünen.

Prinzipiell sind zwei Wege denkbar, um dieses Ziel zu erreichen: Man könnte die Erbschaftssteuer auf eine breitere Basis stellen und dafür nur niedrige Steuersätze erheben. Das Problem mit diesem Ansatz ist, dass er auch kleinere Vermögen von Privatpersonen treffen würde. Auch Mutters Häuschen wäre vor dem Zugriff des Staats nicht mehr sicher – für die öffentliche Akzeptanz der Steuer wäre das tödlich. Eine andere Möglichkeit wäre es, wie heute hohe Freibeträge einzuräumen, dafür aber die Steuersätze deutlich zu erhöhen. Hohe Freibeträge bringen jedoch immer auch die Möglichkeit mit, sich arm zu rechnen.

Für Lisa Paus ist trotzdem klar, dass etwas passieren muss. Sie ist die steuerpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. „Wir haben in Deutschland ein Gerechtigkeitsproblem“, sagt sie. Die Konzentration der Vermögen nehme immer weiter zu, weil die die Kapitaleinkommen der wenigen Reichen schneller wachsen als die Arbeitseinkommen. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn Geld von Generation zu Generation weitergegeben werde. „In Deutschland wird reich, wer viel erbt“, sagt Paus, „wir haben nicht viele Unternehmer wie Bill Gates, die es nur durch ihre Leistung geschafft haben.“ Die Grünen wollen deshalb die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer verdoppeln, damit in Deutschland nicht bald amerikanische Verhältnisse drohen „und unsere Gesellschaft in Klassen zerfällt“, so Paus. Über das Wie sind sie sich allerdings noch nicht einig.

Trotzdem reichen die Meldungen der vergangenen Tage, um die Unternehmer im Land aufzuschrecken. „Sehr aufmerksam und auch mit Sorge“ beobachtete beispielsweise der Präsident des Verbands der Familienunternehmer, Lutz Goebel, die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in der vergangenen Woche. Auch der BDI warnt: „Sollte die geltende Regelung gekippt werden, droht vielen Familienunternehmen ein Ausverkauf.“ Andere wollen nicht darauf warten, was der Politik als nächstes einfällt, und handeln. In den Medien finden sich viele Berichte über Unternehmer, die ihre Betriebe jetzt schnell noch legal und steuersparend an ihre Kinder übertragen – und seien sie auch noch minderjährig. Zu groß ist die Angst, dass der Fiskus demnächst ordentlich zulangen könnte.

Schwedische Verhältnisse

Begründet scheint die Panik allerdings nicht. Schließlich hat Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag ausgeschlossen, die Steuern zu erhöhen. Für die Union steht eine Änderung sowieso nicht zur Debatte. „Wir werden im Falle eines Verfassungsgerichtsurteils sicherstellen, dass der Generationenübergang in Familienunternehmen weiter funktioniert. Die Übertragung von Betriebsvermögen darf für die Erben künftig steuerlich nicht teurer werden“, meint etwa der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Ralph Brinkhaus. Auch die SPD will an diesem Kompromiss vorerst nicht rütteln. In der nächsten Legislaturperiode könne man sich allerdings vorstellen, sich des Themas erneut anzunehmen, heißt es dort – allerdings nur, wenn man dann nicht mehr mit der Union regiere.

Dass über die Erbschaftssteuer also in naher Zukunft ordentlich Geld ins deutsche Steuersäckel fließt, ist eher unwahrscheinlich. Ähnliche Erfahrungen haben beispielsweise die Schweden gemacht. Vor zehn Jahren entschloss sich die dortige Regierung schließlich dazu, die Erbschaftssteuer endgültig abzuschaffen. Die staatliche Umverteilung findet dort über die hohe Einkommenssteuer statt. Diese ist deutlich leichter zu erheben als die Erbschaftssteuer, legale Schlupflöcher gibt es kaum. Deutschland wird sich dieses Modell allerdings kaum zum Vorbild nehmen. Eine höhere Einkommenssteuer hat schließlich noch weniger Rückhalt in der Regierung, als es eine höhere Erbschaftssteuer hätte.

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