Anfang Juni haben sie es wieder einmal versucht: Mit einem „Denkanstoß“ versuchten die drei Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe (SPD), Lisa Paus (Grüne) und Axel Troost (Linke) eine Alternative zur Euro-Politik der Bundesregierung aufzuzeigen. Sie beschrieben, welche „enormen Opfer die Austeritätspolitik den Menschen in den Krisenstaaten bisher abverlangt“ habe, und forderte eine „sozial-ökologische Transformation“ der europäischen Wirtschaft. Es war einer der wenigen inhaltlichen rot-rot-grünen Impulse, die es seit der Bundestagswahl in die Öffentlichkeit geschafft haben. Das Echo blieb gleichwohl verhalten.
Es läuft nicht rund für das vermeintliche rot-rot-grüne Projekt. Rund neun Monate nach der Bun
ch der Bundestagswahl liegen die Vorbereitungen für eine solche Mitte-links-Koalition praktisch auf Eis. Da hilft es kaum, dass die SPD-Linke gerade angekündigt hat, 2015 auf einem Reformkongress Debatten über Mehrheiten links der Union „beflügeln“ zu wollen. An den entscheidenden Stellen der drei Parteien tut man sich nach wie vor schwer mit einer rot-rot-grünen Position. Vor allem die Linke hat noch nicht entschieden, in welche Richtung sie sich künftig entwickeln will.Das ist erst einmal überraschend. Schließlich hatten nicht wenige erwartet, dass sich in der Linken jetzt die Reformer durchsetzen würden. In diesem Jahr fiel die Sonderbestimmung aus der Gründungszeit der Partei, die den vermeintlich radikaleren westdeutschen Verbänden ein größeres Stimmrecht auf Parteitagen zusicherte. Die scheinbar pragmatischen Ostdeutschen sollten in der Partei wieder das Kommando übernehmen. Auf dem Europa-Parteitag in Hamburg zeigte der pragmatische Flügel dann seine Macht und setzte zahlreiche Kandidaten und Inhalte durch. Doch schon auf dem Berliner Parteitag im Mai schlug das Pendel wieder zurück. Die Reformer verloren wichtige Wahlen und Abstimmungen. Die Niederlage geht so tief, dass der Zusammenschluss der Reformer, das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS), eine außerplanmäßige Tagung einberufen hat. Ende Juni sollte das weitere Vorgehen besprochen werden. Man entschied sich, erstmal weiter zu machen.„Wir müssen akzeptieren, dass wir keine Mehrheit in der Partei haben und darum kämpfen, dies zu ändern“, sagt Stefan Liebich, der ehemalige Sprecher des FDS. Seit Jahren arbeitet er für eine Regierung links der Mitte. Er war einer der Architekten der rot-roten Koalition in Berlin. Mittlerweile sitzt er im Bundestag und als Obmann für seine Fraktion im Auswärtigen Ausschuss. Die Themen für eine Regierung links der Mitte liegen für ihn auf der Hand: eine größere Umverteilung von Reich zu Arm, der Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte, ein liberales Gesellschaftsbild. Mit diesen Themen identifiziert sich zumindest auf dem Papier das gesamte rot-rot-grüne Lager. Trotzdem scheiterten die Reformer schon dabei, mehr Einfluss auf die Parteispitze der Linken zu gewinnen. Liebich zieht daraus jetzt seine Konsequenzen: Beim FDS-Treffen trat er nicht mehr für den Sprecherposten an.Gesprächskreis statt StrategieIst es also der Streit zwischen den Strömungen, der eine rot-rot-grüne Regierung nach der nächsten Bundestagswahl verhindern könnte? Dietmar Bartsch glaubt das nicht. Lange Jahre hat er als politischer Geschäftsführer den Kurs der Partei mitbestimmt. Aus seinem Interesse an einer Regierungsbeteiligung hat er dabei nie eine Hehl gemacht. 2009 leitete Bartsch den Wahlkampf der Linken. Mit den Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi holte sie das beste Ergebnis ihrer Geschichte – 11,9 Prozent der Stimmen. Heute ist Bartsch einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, doch die Parteiarbeit lässt ihn nicht los. Auf dem Schreibtisch in seinem Büro steht heute noch ein roter Spielzeug-LKW, der an den Wahlkampf von vor fünf Jahren erinnert.„Ich wünsche mir die Auseinandersetzungen, den Streit der Strömungen – wenn er um Inhalte geführt wird“, sagt Bartsch, „wir müssen uns auf unserer programmatischen Grundlage neu ausrichten – politisch und strategisch.“ Tatsächlich hat die Partei in den vergangenen zwei Jahren programmatisch wenig Neues auf die Beine gestellt. Nach dem Parteitag von Göttingen, als die Linke sich um ein Haar gespalten hätte, war es für die Vorsitzenden das Wichtigste, die Ruhe in der Partei zu bewahren. Auch nach der Bundestagswahl fand keine größere Diskussion um die Ausrichtung der Partei statt – der scheinbare Erfolg verhinderte das. Schließlich war die Linke größte Oppositionskraft geworden. Gysi antwortet seitdem im Bundestag auf die Kanzlerin. Im Parlament gibt es theoretisch sogar eine rot-rot-grüne Mehrheit. Doch das überdeckt, dass das linke Lager die Wahl eigentlich verloren hat, am meisten die Linkspartei, die im Vergleich zu 2009 mehr als drei Prozent der Stimmen abgab: „Rot-Rot-Grün hat im Plenum deshalb eine Mehrheit, weil FDP und AfD den Einzug knapp verpasst haben“, sagt Bartsch. Eine gesellschaftliche Mehrheit hat die Konstellation nicht.Nicht jeden scheint das zu stören. Fragt man Linken-Chef Bernd Riexinger nach den Zielen seiner Arbeit, dann spricht er nicht von Koalitionen. Es gehe ihm vielmehr darum, eine „gesellschaftliche Hegemonie“ herzustellen. Dafür hat Riexinger mehrere Gesprächskreise eingerichtet. Er will, dass die Linke mit den sozialen Bewegungen im Austausch bleibt. Aber das ist nicht alles. Seit einigen Monaten trifft sich die Linken-Spitze mit einem Zirkel linksintellektueller Denker – einer „Runde der kritischen Köpfe“, wie Riexinger sie nennt. Sie sollen die inhaltlichen Debatten in der Partei beleben, aber auch darüber hinaus ausstrahlen. So will Riexinger ein Meinungsklima schaffen, das linke Inhalte auch ohne eine linke Regierungsmehrheit durchsetzen kann. „Schauen Sie sich den Mindestlohn an“, sagt Riexinger, „den haben wir zehn Jahre lang gefordert. Und jetzt muss ihn eine konservative Bundeskanzlerin umsetzen.“ Es ist ein sehr langsames Bohren dicker Bretter, dass sich der Linken-Chef vorgenommen hat. Aber auch er weiß, dass die Partei sich inhaltlich fortentwickeln muss: „Die Agenda 2010 liegt über zehn Jahre zurück“, sagt Riexinger, „wir brauchen einen neuen strategischen Anker für die nächsten Jahre.“Ob dieser neue Gesellschaftsentwurf schnell genug erarbeitet wird, um eine Koalition für 2017 vorzubereiten, ist jedoch mehr als fraglich. Die Parteiführung will im kommenden Frühjahr zu einem Zukunftskongress einladen, auf dem neue Themen diskutiert werden sollen. Doch das dürfte zu spät sein. Vorbereitende Gespräche über eine Koalition müssten „eigentlich ab Herbst“ beginnen, ist Gregor Gysi überzeugt. Doch dass die Linke sich so schnell auf eine gemeinsame Verhandlungsposition geeinigt haben könnte, ist kaum vorstellbar – selbst wenn solche Gespräche von SPD und Grünen gewünscht wären. Doch das Klima unter den potenziellen Partnern ist derzeit – wieder einmal – giftig.Angst und DenunziationParteichefin Katja Kipping wehrt sich gegen Vorwürfe, in ihrem Umfeld sei ein Papier entstanden, das einen wenig zimperlichen Umgang mit einigen dem Reformerflügel zugeordneten Parteifreunden fordert. Eine der Betroffenen, die Berliner Abgeordnete Halina Wawzyniak, trat aufgrund des Papiers von ihrem Amt als stellvertretende Fraktionsgeschäftsführerin zurück. In einem Namensbeitrag beschrieb sie ein „Klima der Angst und Denunziation“ in der Partei. Ein „Friedensgipfel“ sollte verlorenes Vertrauen wiederherstellen, ein „Ehrenkodex“ Standards für die Erstellung künftiger interner Papiere und Vorlagen festlegen. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um über die künftige strategische Ausrichtung der Linken zu diskutieren.Damit steht ein mögliches rot-rot-grünes Projekt schon unter Druck, bevor es überhaupt begonnen hat. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass die drei Parteien auch im nächsten Bundestag die Mehrheit stellen. „Wir werden bei der nächsten Wahl wieder zulegen“, erklärt Dietmar Bartsch. Im Herbst werde die Große Koalition ihr Pulver verschossen haben, dann dürfte sich langsam Unzufriedenheit ausbreiten. Gute Zeiten für die Opposition also. Mehr Sitze allein werden für eine Machtübernahme aber nicht reichen. Im Land muss eine Wechselstimmung aufkommen, wie 1998 nach 16 langen Jahren Kohl. Die muss jedoch erst einmal herbeigeführt werden, das weiß auch Bartsch: „Wir müssen alles tun, dass die Menschen 2017 Merkel nicht mehr wollen, sonst können wir uns einiges sparen.“
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