Insgeheim hatten sie vielleicht sogar mit mehr gerechnet – trotzdem war die Stimmung prächtig, als auf der Wahlparty der Alternative für Deutschland um 18 Uhr die ersten Prognosen über die Bildschirme flimmerten. Höhnisches Gelächter begleitete das schwache Abschneiden der FDP, das eigene Ergebnis hingegen wurde mit lang anhaltendem Applaus gefeiert. „Es ist Frühling in Deutschland“, fasste Parteichef Bernd Lucke das Gefühl im Raum zusammen, „einige Blumen blühen auf, andere verwelken.“
Das Bild mag etwas schief sein, aber es beschreibt den Eindruck ganz gut, den man am Sonntagabend gewinnen konnte. Die FDP, seit der Niederlage bei der Bundestagswahl sowieso nur noch ein Schatten ihrer selbst, liegt nun endgültig am Boden, während mit der AfD eine neue Kraft heranwächst. Schon ist von einer Wachablösung die Rede, von einer Zäsur im deutschen Parteiensystem. Aber stimmt das überhaupt?
Auf jeden Fall muss man den Triumph der AfD ernst nehmen. War sie bei der Bundestagswahl noch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, holte sie bei der Europawahl stolze sieben Prozent. Bei diesen Zahlen muss man jedoch bedenken, dass die Wahlbeteiligung bei der Europawahl deutlich niedriger lag. In absoluten Zahlen konnte die Alternative für Deutschland ihre Stimmenzahl in etwa halten, also gut zwei Millionen Wähler an sich binden. Für die FDP, die bei sinkender Wahlbeteiligung im Vergleich zur Bundestagswahl sogar noch an Prozenten verlor, ist das ein deutliches Warnsignal.
Denn die AfD hat der FDP gegenüber einen klaren Vorteil: Die Wähler wissen, wofür sie steht. Während die Liberalen sich gerade erst daran machen, sich inhaltlich neu auszurichten, erfüllt die AfD mit ihrem europakritischen Programm eine klare Funktion im Parteiensystem. Sie gibt die klassische Protestpartei, die mal poltert und mal hetzt. Der große Unterschied zu anderen zum Populismus neigenden Parteien ist, dass sie dabei überwiegend die bürgerliche Fassade zu wahren weiß. Bernd Lucke ist kein Jörg Haider. Stattdessen gibt er den besorgten Biedermann, der auf der Wahlparty eingerahmt von seinen Kindern sorgenvoll in die Zukunft blickt. So schafft es die AfD, für Menschen wählbar zu sein, die sich angesichts der unterschwelligen Ressentiments, die die Partei bedient, eigentlich abwenden müssten.
Chauvinistisches Gefühl
Denn auch wenn die AfD immer wieder das Gegenteil behauptet: Ihre Kritik am Euro und der Europäischen Union kommt aus der rechten Ecke. Im Kern wirft die Partei den Euro-Krisenländern vor, Deutschland unterlegen zu sein, was sich in deren mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zeigt. Es ist eine Variation des guten alten „Wenn die sich mal anstrengen würden“-Populismus, der hierzulande gerade angesichts der guten Wirtschaftsdaten verfängt. „Die Folgen des ökonomischen Wettbewerbs ermöglichen die für jeden Identitätspopulismus zentrale Abwertung des Anderen“, fasst es eine Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zusammen. Die Autoren sprechen von „chauvinistischen Überlegenheitsgefühlen“.
Dazu passt, dass die Wähler der Lucke-Partei einen deutlich negativeren Blick auf Europa haben als der Rest der Bevölkerung. Etwa die Hälfte sieht Deutschlands Mitgliedschaft in der EU negativ. In der Gesamtbevölkerung teilen nur 15 Prozentdiese Meinung . Den Euro lehnt eine noch höhere Zahl ab. Das geht aus der Europawahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen hervor. Außerdem erfüllt die AfD für einen großen Teil ihrer Anhänger eine Art „Denkzettel“-Funktion. Fast 40 Prozent ihrer Wähler geben diese als Grund für ihre Wahlentscheidung an. Kein Wunder, dass fast die Hälfte der AfD-Wähler zudem der Aussage zustimmen: „Die Europawahl ist so unwichtig, dass man auch mal eine Partei wählen kann, die man ansonsten nicht wählt.“ In der Gesamtbevölkerung sehen das nur 20 Prozent so.
Der Wahlerfolg der AfD zeigt aber auch, dass es in der Bevölkerung ein Bedürfnis gibt, dass eine kritische Haltung gegenüber Euro und EU ernst genommen wird. Für die etablierten Parteien ist das eine Herausforderung – schließlich haben sie alle erneut Stimmen an die AfD verloren. Besonders viele kamen diesmal von der Union, die über 500.000 Wähler an die neue Partei abgab. Das zeigt, dass die Strategie, die neue Konkurrenz einfach totzuschweigen, nicht funktioniert. Das sehen immer mehr Unionspolitiker so. Schon kurz nach Schließung der Wahllokale brachten die ersten CDU-Politiker, wie etwa der Euro-Kritiker und Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch, eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien ins Spiel. Die CDU-Führung ist allerdings bemüht, solche Bestrebungen noch im Keim zu ersticken.
Achtungserfolge gab es oft
Das dürfte der Union im Moment noch leicht fallen, doch wenn sich die AfD tatsächlich als feste Größe im deutschen Parteiensystem etablieren sollte, wird es ihr schwer fallen, diesen Kurs durchzuhalten. Ob es jedoch dazu kommt, ist längst nicht ausgemacht. Achtungserfolge haben schließlich schon andere Parteien erzielt. Die Republikaner holten bei der Europawahl 1989 ebenfalls sieben Prozent und saßen in mehreren Landesparlamenten. Statt- und Schill-Partei regierten jeweils für ein paar Jahre sogar in Hamburg mit. Und schließlich sitzen auch die Piraten noch in vier Landtagen.
Dass auch die AfD durchaus anfällig für interne Streitereien ist, zeigte sich in den vergangenen Wochen an vielen Beispielen. Grundsätzlich geht es um den Kurs, den die Partei künftig einschlagen soll. Schon an den sieben Abgeordneten, die die AfD ins Europaparlament entsenden wird, sieht man, welche unterschiedlichen Strömungen die Parteiführung künftig unter einen Hut bekommen muss. Da sitzen Wirtschaftsliberale wie der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel mit nahezu bibeltreuen Wertkonservativen wie Beatrix von Storch zusammen. Kaum abzusehen, zu welchen Konflikten diese Mischung noch führen wird. Parteichef Lucke baute dann auf der Wahlparty am Sonntag zur Sicherheit schon einmal vor. Die AfD sei eine freiheitliche, eine soziale und eine wertorientierte Partei, rief er seinen Anhängern zu, auf dass sich bloß niemand ausgeschlossen fühle.
Trotzdem zeichnet sich schon der erste Streit ab. Denn noch ist nicht geklärt, mit welchen anderen Parteien die sieben AfD-Abgeordneten künftig im Europaparlament zusammenarbeiten wollen. Lucke will wohl eine Fraktion mit den Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) gründen, andere gewählte Abgeordnete sehen das anders. Etwa Marcus Pretzell, der auf Listenplatz sieben den Einzug ins Parlament gerade noch schaffte. Ihm werden Sympathien für eine Zusammenarbeit mit den britischen Rechtspopulisten der UKIP nachgesagt.
Sollte es der AfD jedoch gelingen, diese Differenzen zu überbrücken, dann hat sie durchaus Chancen, sich zumindest mittelfristig im deutschen Parteiensystem zu etablieren. In Brandenburg, Thüringen und Sachsen, wo im Herbst gewählt wird, holte die Partei jeweils überdurchschnittlich gute Ergebnisse. Zur „neuen Volkspartei“, zu der Bernd Lucke die AfD am Sonntag gleich ausrufen wollte, macht sie das aber noch lange nicht.
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