Zur politischen Kultur von Computerspielen Die Verschränkungen von realen und virtuellen Welten nimmt zu, aber auch bei Online-Spielen funktioniert Demokratie immer noch anders als im wahren Leben
Der Verdacht, dass es sich bei Computerspielern um politikferne Zeitgenossen handelt, liegt nahe. Heißt doch einer der prominentesten Spieler Robert Steinhäuser, der dadurch traurige Berühmtheit erlangte, dass er am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt im April 2002 16 Menschen tötete und schließlich Selbstmord beging.
Dennoch widmeten sich die Teilnehmer am Workshop Konstruktion von Politik und Gesellschaft in Computerspielen in München kürzlich der Frage, ob man mit Computerspielen die Politikverdrossenheit von Jugendlichen bekämpfen kann. Mit organisiert wurde die Veranstaltung von der Bundeszentrale für politische Bildung, deren besonderes Interesse den so genannten "politikfernen Zielgruppen" gilt.
Computerspiele, so die gängige Meinung, fü
28;ngige Meinung, führen zu Abstumpfung, Realitätsverlust, wenn nicht gar in die Gewalttätigkeit. Spiele wie Grand Theft Auto: San Andreas machen immer wieder wegen plumper rassistischer und sexistischer Stereotype von sich reden. Vor diesem Hintergrund erscheint der Versuch, Computerspiele in der politischen Bildung einzusetzen, wie ein Experiment, bei dem der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden soll.Dabei muss jedoch auch in Betracht gezogen werden, dass anderenorts schon längst viel differenzierter über Computerspiele diskutiert wird. Seit Jahren mehren sich die Stimmen derer, die in Computerspielen ein Kulturgut sehen, dessen Aufnahme in den Kanon längst überfällig ist. In Hinblick auf die politische Bedeutung von Computerspielen kommen entscheidende Impulse von einer Gruppe von Ökonomen, Soziologen und Juristen, die 2003 erstmals auf der Konferenz State of Play in New York zusammentrafen, um die Auswirkungen virtueller Spielwelten auf die reale Welt zu diskutieren.So genannte "Massively Multiplayer Online Games" bieten Millionen von Spielern ein alternatives Leben - bezeichnenderweise heißt eines dieser Spiele Second Life. Und die Überschneidungen zwischen den virtuellen Welten, die diese Spiele schaffen, und der Realität sind nicht zu leugnen - insbesondere im Bereich der Wirtschaft. Denn so bizarr es klingt: Das Treiben der Spieler schafft reale Werte.Virtuelle Schwerter und Rüstungen, aber auch immaterielle Immobilien werden für echtes Geld über spezialisierte Handelsportale im Internet verkauft - sogar einen Finanzmarkt gibt es für die verschiedenen Währungen von World of Warcraft, Anarchy Online und Star Wars Galaxies. Nach Schätzungen von Experten werden auf diese Art und Weise Millionen umgesetzt.Der Handel mit virtuellen Rohstoffen sorgt auch für politischen Sprengstoff: im Spiel World of Warcraft beispielsweise haben sich einige Spieler darauf spezialisiert Gold abzubauen, das sie dann gewinnbringend verkaufen. Angeblich handelt es sich dabei hauptsächlich um junge Chinesen, die dieser Tätigkeit bis zu zwölf Stunden täglich nachgehen.Die Praxis des "Chinese Farming" spaltet die Welt des Spiels. Längst hat es sich etabliert darauf zu achten, ob die Mitspieler Englisch sprechen - tun sie das nicht, werden sie oft für "Chinesen" gehalten. Die Firma Blizzard, die das Spiel betreibt, sperrte erst im September 76.000 Spieler, die im Verdacht standen, sich als "Farmer" zu betätigen und beschlagnahmte elf Millionen virtuelle Goldstücke.Dies weist übrigens darauf hin, dass virtuelle Welten keineswegs demokratischen Staaten vergleichbar sind - vielmehr schalten und walten die Betreiber dieser Spiele wie absolutistische Herrscher. Aus diesem Grund beschäftigen sich mittlerweile auch Juristen wie Gregory Lastowka und Dan Hunter immer häufiger mit Online-Rollenspielen.Eines der Probleme, das Lastowka und Hunter in ihrer Studie ansprechen, ist das der Überwachung von Spieleraktivitäten durch den Spielbetreiber. Da diese Aktivitäten alle Bereiche des menschlichen Lebens umfassen - vom Pflanzen virtueller Apfelbäume bis zur Zeugung virtueller Nachkommen - werfen die Wissenschaftler die Frage auf, wie sich die Privatsphäre der Spieler schützen lässt. Während im Alltag dank öffentlicher Kameras, Biometrie und RFID die Orwellsche Vision des vollkommenen Überwachungsstaates immer mehr an Gestalt gewinnt, ist diese in virtuellen Welten längst Realität.Aber der "Realismus" von Online-Rollenspielen erschöpft sich nicht in der Nachbildung eines postmodernen Panoptikons. Bei näherem Hinsehen sind die Gesellschaften im Cyberspace unserer eigenen erstaunlich ähnlich. So müssen die Spieler in Spielen wie EverQuest sich etwa über Monate hinweg mühsam hocharbeiten, um in elitäre Gilden aufgenommen zu werden. Für manche Spieler ist das alternative Leben daher wie ein zweiter Job, in dem es darum geht, möglichst schnell Karriere zu machen.Vor allem ist aber die Merkantilisierung sämtlicher Lebensbereiche in Online-Rollenspielen weit fortgeschritten. Die Gesetze des Marktes beherrschen teilweise sogar den Umgang der Spieler miteinander wie das Beispiel der "Chinese Farmers" zeigt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Betreiber der Spiele die Spieler gewissermaßen für sich arbeiten lassen - und zwar gegen Bezahlung.Rund 13 Euro kostet ein Abonnement etwa bei World of Warcraft, aber damit erwirbt der Spieler nicht nur Rechte sondern auch Pflichten. Bei Spielbeginn akzeptieren die Spieler die Benutzungsordnung, die festlegt, dass Blizzard Handlungen, die gegen den "Geist des Spiels" verstoßen, disziplinarisch ahnden kann. Wer nicht spurt, fliegt.Die Medienwissenschaftlerin Sal Humphries merkt jedoch an, dass die Aktivitäten der Spieler in mehrerlei Hinsicht Werte für die Betreiber schaffen. Insbesondere hebt sie hervor, dass die Spieler durch die Errichtung sozialer Strukturen im Spiel selbst für eine enge Bindung an das Spiel sorgen. In anderen Worten: Dadurch, dass sie Hunderte von Stunden in das Spiel investieren, ihre Charaktere entwickeln und Freundschaften aufbauen, fällt es den Spielern immer schwerer auszusteigen.Das Konzept scheint aufzugehen. Erst im September meldete Blizzard, dass weltweit mehr als sieben Millionen Menschen World of Warcraft spielen. Angesichts dieser Größenordnungen ist es nicht überraschend, dass sich gerade Sozialwissenschaftler immer mehr für virtuelle Welten interessieren.Der Ökonom Edward Castronova postuliert gar, dass Online-Rollenspiele ideal für soziologische Experimente geeignet seien. Allerdings scheint die Experimentierfreude der Spieler selbst nur gering ausgeprägt zu sein. Jedenfalls sind bisher noch keine utopischen Gemeinwesen im Cyberspace entstanden. Ganz im Gegenteil: die meisten virtuellen Gesellschaften sind unter ihrer fantastischen Oberfläche durch und durch alltäglich.Allerdings könnte man gerade diese Alltäglichkeit als Vorteil begreifen, wenn es darum geht, das politische Engagement Jugendlicher und junger Erwachsener zu fördern. Denn in den virtuellen Welten der Spiele scheint es Vielen leichter zu fallen, die Interessen ihrer Gemeinschaft nach außen hin zu vertreten und Verantwortung für sie zu unternehmen.Ein beeindruckendes Beispiel sind etwa die Proteste der Berufsgruppe der Unterhalter in Star Wars Galaxies, die 2004 durch ein Update entscheidend benachteiligt wurden. Statt zu streiken, benutzten die betroffenen Spieler kunstvoll montierte Aufzeichnungen aus der Spielwelt, um ihrem Ärger Luft zu machen, und erzielten damit viel Aufmerksamkeit.Gelegentlich sind solche Proteste auch von Erfolg gekrönt. Denn anders als Literatur und Film sind Online-Computerspiele keine statischen Texte, sondern werden bei jedem Einloggen aktualisiert. Änderungen in der Struktur der virtuellen Gesellschaften sind also durchaus möglich.Die Spieler sind sich dieser Tatsache natürlich bewusst und nutzen alle zur Verfügung stehenden Mittel, um Druck auf die Betreiber auszuüben - von virtuellen Demonstrationen über "virale" PR bis hin zu organisierten Medienkampagnen. Dabei erweist sich die Profitorientierung der Betreiber als ihre Achillesferse: Um die Spieler bei der Stange zu halten, sind sie bereit, gewisse Zugeständnisse zu machen.Dennoch sollte man diese Tendenzen zur Demokratisierung nicht überbewerten. Denn von einem echten Mitspracherecht sind die Spieler noch weit entfernt. Aber immerhin ist hier das Potenzial vorhanden, demokratische Strukturen aufzubauen und spielerisch erfahrbar zu machen. Experten wie Castronova können sich durchaus vorstellen, dass in den nächsten Jahren auch Regierungen und NGOs als Anbieter von Online-Rollenspielen auftreten werden.Vor diesem Hintergrund erscheint die Diskussion hierzulande der Realität noch ein Stück weit hinterher zu sein. Auch auf dem Workshop in München, auf der die Möglichkeiten von Spielen in der politischen Bildung ausgelotet werden sollten, stand immer noch die Wirkungsdimension von Spielen im Vordergrund. Sicherlich sollten ideologische Inhalte in Computerspielen nicht ignoriert werden, aber der Anteil dieser Spiele am Gesamtmarkt ist klein und ihre Wirkung muss im Kontext anderer Medien gesehen werden.Dennoch sollte die Thematisierung des Zusammenhangs zwischen Politik und Computerspielen als ein Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden. Denn diese Spiele finden immer in ökonomischen, sozialen und politischen Kontexten statt und zeitigen ihrerseits Wirkungen auf viele Bereiche der Gesellschaft. Wie die Beispiele aus World of Warcraft und Star Wars Galaxies zeigen, etabliert sich hier eine lebhafte politische Kultur. Und die Verschränkungen zwischen virtueller und realer Welt werden in Zukunft weiter zunahmen. Es steht zu hoffen, dass beide Seiten davon profitieren.
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